Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wahlen in der Halbkolonie

Griechenland: Linkspartei Syriza will bei Wahlsieg Kürzungs- und Sparpolitik beenden. Doch da müssten auch EU, Europäische Zentralbank und IWF mitspielen

Von Andreas Wehr *

Alexis Tsipras, Spitzenkandidat der linken Partei Syriza bei den anstehenden Parlamentswahlen in Griechenland am 25. Januar, will der »gesellschaftlichen Tragödie sowie dem Alptraum der Austerität und des Autoritarismus ein Ende« setzen. In seiner Rede zur Eröffnung des Wahlkampfs versprach er, Griechenland »wieder zu einem Land zu machen, das auf den eigenen Beinen steht«.

Diesen Worten entspricht das Wahlprogramm von Syriza, das »Programm von Thessaloniki«. Angekündigt werden darin eine »kostenfreie Stromversorgung und Lebensmittelgutscheine für mindestens dreihunderttausend Haushalte, eine 13. Monatsrente für Niedrigrentner mit einer Rente unter 700 Euro, kostenfreie medizinische und medikamentöse Versorgung und die Abschaffung der Sondersteuer für Heizöl«.

Versprochen werden »die Wiederherstellung des Arbeitsrechts, das die unter dem Memorandum verabschiedeten Gesetze abgeschafft haben«, die »Wiedererhöhung des Mindestlohns auf 751 Euro für alle« und die »sofortige Schaffung von 300.000 Arbeitsplätzen im Privatsektor, im öffentlichen Sektor sowie im Sektor der Sozialwirtschaft«. Die »verfassungswidrig Entlassenen« sollen rehabilitiert werden. All das wird von Tsipras ausdrücklich als »nicht verhandelbar« bezeichnet.

Doch zur Realisierung des Programms bedarf es nicht nur einer eigenen Mehrheit im Athener Parlament. Die neue Regierung muss vor allem Herr im eigenen Land sein. Das wird sie aber sowenig wie die gegenwärtige Regierung sein, denn in Athen führt die Troika das Wort. Sie repräsentiert dabei die wichtigsten internationalen Gläubiger Griechenlands, die Europäische Kommission, die Europäische Zentralbank und den Internationalen Währungsfonds. Sie halten Griechenland im Status einer Halbkolonie. Seit Mai 2010, seitdem sich Griechenland nicht mehr an den Kapitalmärkten finanzieren konnte, ist ihre Macht stetig gewachsen, wurde doch ihr Anteil an den griechischen Auslandsschulden beständig größer, während es gleichzeitig den Banken gelang, ihre griechischen Schuldtitel an die öffentliche Hand und damit an den europäischen Steuerzahler weiterzureichen. Von der Gesamtschuld in Höhe von 321,7 Milliarden Euro halten öffentliche ausländische Gläubiger inzwischen 260 Milliarden Euro, dies sind etwa 80 Prozent. Allein die Euro-Hilfsfonds haben 141 Milliarden vergeben, der IWF 35 Milliarden und 53 Milliarden die übrigen Euro-Länder. Die Macht dieser Gläubiger ist erdrückend, wissen sie doch, dass Athen ihnen ausgeliefert ist. An die Kapitalmärkte kann das Land nicht zurückkehren, denn die dort zu zahlenden Zinsen wären utopisch hoch, und andere institutionelle Gläubiger, etwa Russland oder China, sind nicht in Sicht. So kann die Troika heute offen damit drohen, die Auszahlung einer für Februar vorgesehenen Tranche von Hilfskrediten zu verweigern, sollte eine linke Regierung den Kurs der Kürzungspolitik aufgeben. Es wäre dann unmöglich, auch nur die Gehälter für die öffentlich Beschäftigten zu zahlen.

Alexis Tsipras will daher die Bürde der Schulden und mit ihr die Kürzungspolitik loswerden. Er setzt dabei auf die Einsicht, dass ein Land mit einer Verschuldungsrate von 176 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht mehr alleine auf die Beine kommen kann, ein erneuter Schuldenschnitt also unausweichlich ist. Und tatsächlich wird diese Position von immer mehr Politikern und Ökonomen in der EU geteilt. Da aber ein solcher Verzicht riesige Löcher in die Haushalte der übrigen Euro-Länder reißen würde, ist nicht damit zu rechnen, dass man dort zugleich bereit wäre, auf die Forderungen einer linken griechischen Regierung nach Rückgängigmachung der von der Troika verordneten Kürzungspolitik einzugehen. Überhaupt spricht nichts dafür, dass man ausgerechnet Griechenland künftig von jener Austeritätspolitik ausnehmen wird, die auch für die anderen Memorandumsländer Portugal, Irland und Zypern gilt und die Brüssel mit Hilfe des Stabilitäts- und Wachstumspakts, des Euro-Plus-Pakts, des Fiskalpakts sowie mit dem Europäischen Semester mehr und mehr auch den übrigen EU-Ländern diktiert. Tsipras ignoriert diese Lage, wenn er ankündigt: »Durch eine intensive Verhandlung der Schuldenfrage gewährleisten wir eine tatsächlich gleichwertige Teilnahme unseres Landes an der Euro-Zone, ohne die Austerität, die nicht durch die europäischen Verträge auferlegt wird und die dem Land soviel Leid zugefügt hat.«

Anders wäre es hingegen, würde eine von Syriza geführte Regierung glaubhaft damit drohen, im Falle einer unveränderten Politik der europäischen Gläubiger die Euro-Zone oder gar die EU zu verlassen, um einen eigenen Weg jenseits von äußerer Bevormundung zu gehen. Dies wäre ein wirksames Mittel, um Brüssel und Berlin zum Einlenken bewegen zu können, denn ein Austritt auch nur eines Landes aus dem Euro kann zu unabsehbaren Kollateralschäden für die gesamte Währungszone führen. Dies hat die in den letzten Wochen in Berlin geführte Debatte über den Austritt Griechenlands, den »Grexit«, gezeigt. Angesichts der Gefährlichkeit auch nur einer Debatte darüber wurde sie schnell mit einem Machtwort der Kanzlerin beendet.

Eine solche Drohung schließt Alexis Tsipras aber ausdrücklich aus. Er hat sich mit Blick auf Mitglieder und Wähler seiner Partei festgelegt, auf jeden Fall in der Euro-Zone zu bleiben. Viele von ihnen gehören der Mittelschicht an und haben noch gestern sozialdemokratisch gewählt. Sie wollen zwar die Kürzungspolitik loswerden, aber nicht auf den Euro verzichten. Der Preis dafür ist, dass Tsipras bei einem Ringen mit den europäischen Gläubigern über keine echte Verhandlungsmacht verfügen wird. Auf der Kapitalseite hält sich daher die Furcht vor einer Syriza-Regierung in Grenzen. Über die Stimmung an der Athener Börse konnte die FAZ bereits am 14. Januar melden: »Der Aktienindex ASE legte binnen zwei Tagen bald acht Prozent zu.« Direkt nach der Ankündigung von Neuwahlen Ende Dezember war er noch stark eingebrochen.

Mehr unter: www.andreas-wehr.eu

* Aus: junge Welt, Dienstag, 20. Januar 2015


Alexis Tsipras als europäischer Linker

Hoffnungsträger

Von Andreas Wehr **


Alexis Tsipras ist nicht nur Spitzenkandidat von Syriza. Er ist auch Hoffnungsträger der in der Europäischen Linkspartei (ELP) zusammengeschlossenen moderaten Linken. Ausdruck dieser Wertschätzung war seine Kandidatur für die Funktion des Kommissionspräsidenten bei den Europawahlen im Mai 2014. Zwar hatte sie nur symbolische Bedeutung, da die europäische Linke nie eine Chance hatte, eine Mehrheit im Europäischen Parlament zu erreichen und damit den Anspruch erheben zu können, den Kommissionspräsidenten vorzuschlagen. Doch Tsipras gelang es dabei, die Europäische Linkspartei zu prägen.

Dieser Rolle entsprechend versucht Alexis Tsipras, die in Griechenland von Syriza verfolgte Strategie in Übereinstimmung mit der Politik der europäischen Linken zu bringen. Ein möglicher Erfolg seiner Partei wird von ihm als Beginn einer europaweiten Wende hin zu einer anderen Politik angesehen, die die Austeritätspolitik in der gesamten EU beenden soll.

Auf dem Berliner Parteitag der Linkspartei am 11. Mai 2014 kündigte er an, dass eine von ihm geführte griechische Regierung, »das verspreche ich, (…) auch für eure Interessen verhandeln wird. Unser Streit mit Frau Merkel hat keinen nationalen Charakter, es ist ein politischer und sozialer Streit. (…) In Griechenland begann der Teufelskreis von Austerität und sozialer Verzweiflung. In Griechenland wird nun die Veränderung beginnen.«

Und in seiner Rede zum Auftakt des griechischen Wahlkampfes erklärte Tsipras: »Am 25. Januar findet die notwendige Wende in Europa hier in Griechenland ihren Anfang. Und unser Wahlsieg wird Ende des Jahres auch zum Sieg des spanischen Volkes. Mit Podemos und Izquierda Unida an der Regierung. Und ein Jahr später zu einem Sieg des irischen Volkes. Mit der Sinn Fein von Gerry Adams. Und schrittweise wird daraus eine Angelegenheit von immer mehr Menschen werden.«

Es ist aber fraglich, ob von einem Syriza-Wahlsieg die Initialzündung für ein Ende der Austeritätspolitik in der EU ausgehen kann. Eine linke Regierung in Athen wird angesichts der für sie schwierigen Situation froh sein müssen, wenn sie überhaupt etwas von ihrem Programm durchsetzen kann. Und selbst wenn sie sich behauptet, so wird Griechenland als nun einmal kleines und schwaches EU-Land nicht die europäische Agenda verändern können. Dies wird erst dann möglich sein, wenn es zu Linksentwicklungen in einem oder mehreren der großen Staaten kommt, in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder Italien. Danach sieht es heute aber nicht aus.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 20. Januar 2015


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Griechenland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage