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SYRIZA will Votum über Kürzungen verschieben

Bericht: Abstimmung über Rentenkürzung und Steuererhöhung für Landwirte erst im Herbst / Unterschiedliche Auffassungen über Zeitplan "in der letzten Gerade" / Juncker spricht schon über neue Brückenfinanzierung *


Berlin. Wie schnell ist ein Abschluss in den Verhandlungen zwischen der griechischen Regierung und den Gläubigern möglich? Darüber gibt es abermals Streit - und während in Berlin einmal mehr Zweifel gestreut werden, zeigt man sich in Brüssel und Athen eher zuversichtlich.

Der Premier der SYRIZA-geführten Regierung, Alexis Tsipras, sagte am Mittwoch, man sei »in der letzten Geraden« bei den Gesprächen über ein neues Kreditprogramm. »Trotz der Schwierigkeiten hoffen wir, dass diese Einigung die Ungewissheit über die Zukunft Griechenlands und der Eurozone beendet.« Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte, die Gespräche liefen nach ersten Anlaufschwierigkeiten für beide Seiten »befriedigend«. Alles deute »auf eine Einigung diesen Monat hin, vorzugsweise vor dem 20.« hin.

Die Zielmarke hat einen Hintergrund: Griechenland muss dann 3,4 Milliarden Euro an die Europäische Zentralbank zurückzahlen. Sollte keine Einigung bis zum 20. August gelingen, so Juncker, »werden wir eine neue Brückenfinanzierungsrunde arrangieren müssen«. Bereits Mitte Juli waren Athen sieben Milliarden Euro zur Begleichung fälliger Kredite überwiesen worden.

Die Bundesregierung ließ derweil über die »Bild«-Zeitung streuen, sie habe starke Zweifel daran, dass das dritte Kreditprogramm vor dem 20. August vereinbart werden kann - die Kredite werden weiterhin in den meisten Medien trotz der verheerenden Bilanz der vorausgegangenen Programme und der umstrittenen Auflagen, »Hilfspaket« genannt.

Unter Berufung auf Regierungskreise hieß es, in Berlin werde mit einer weiteren Brückenfinanzierung für Athen gerechnet - was EU-Kommissionschef Juncker bereits angedeutet hatte. Eine Vereinbarung müsse aber vom griechischen Parlament und den nationalen Parlamenten von sechs Euro-Ländern, darunter Deutschland, nach Abschluss der Verhandlungen noch beraten und abgestimmt werden. »Das ist nicht zu schaffen«, zitierte die Zeitung einen hochrangigen Regierungsvertreter.

Ein Streitpunkt bleiben die besonders stark umstrittenen Kürzungsauflagen der Gläubiger bei Renten und Steuervorteilen für Landwirte. Die SYRIZA-geführte Regierung will eine Beschlussfassung darüber auf den Herbst zu verschieben - es geht um den Stopp der Frühverrentungen und die Streichung von Steuervorteilen für Landwirte. Auch innerhalb von SYRIZA ist das stark umstrittenen, Tsipras wird dafür keine eigene Mehrheit im Parlament bekommen. Die Bundesregierung hatte bisher immer erklärt, dass sie neuen Krediten nur zustimmt, wenn alle als »Reformen« bezeichneten Auflagen der Gläubiger vom Parlament in Athen auch beschlossen worden sind. Der Katalog der Kürzungen, Deregulierungen und Privatisierungen ist am 13. Juli auf einem Euro-Gipfel festgelegt und von SYRIZA akzeptiert worden, weil andernfalls ein Grexit gedroht habe.

Eine Verschiebung der Abstimmungen in den Herbst könnte darauf spekulieren, dass zuvor Neuwahlen in Griechenland stattfinden. Diese sind nach Einschätzung der griechischen Regierung »wahrscheinlich«, wie es Regierungssprecherin Olga Gerovasili formuliert. »Es hängt hauptsächlich davon ab, wie stabil die Regierung in der kommenden Zeit sein wird«, sagte Gerovasili dem Radiosender Vima. Premier Tsipras hatte vergangene Woche gesagt, er sei zur Abhaltung von Wahlen bereit, um eine Mehrheit im Parlament zurückzuerlangen.

Teile des linken Flügels der SYRIZA-Partei sehen die Zustimmung von Tsipras zu den umstrittenen Auflagen im Gegenzug für ein drittes Kreditprogramm als Abkehr von seinen Wahlversprechen und eine grundsätzlich falsche Kursentscheidung. Mehr als 30 Abgeordnete stimmten deshalb bei zwei Abstimmungen über Auflagen der Gläubiger gegen die Regierungslinie - die Gesetze wurden daher mit Stimmen der Opposition verabschiedet.

Die EZB beließ unterdessen die Notkredite für griechische Banken unverändert. Wie AFP aus informierten Kreisen erfuhr, beantragte die griechische Notenbank auch keine weitere Erhöhung. Nach Medienberichten war das Kreditlimit für die sogenannten ELA-Hilfen zuletzt am 22. Juli um eine Milliarde auf 90,5 Milliarden Euro erhöht worden.

Die Aktienkurse der griechischen Banken befinden sich derweil weiter im freien Fall. Der Bankenindex an der seit Montag wieder geöffneten Athener Börse brach am Mittwoch um 24,52 Prozent ein. Dadurch wurde auch der Leitindex Athex erneut ins Minus gezogen. Er schloss um 2,53 Prozent tiefer als am Vortag.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 6. August 2015


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