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Fischen am rechten Rand

Griechenland: Syriza führt in Umfragen. Samaras setzt nun auf Rassismus

Von Heike Schrader, Athen *

Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras scheint in der Europäischen Union (EU) Verbündete zu verlieren. Statt des von Athen lancierten Drohszenariums eines »Grexit«, eines Austritts aus der Währungsunion, diskutiert man in Berlin und Brüssel bereits über einen Schuldenschnitt, wie vom Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras gefordert. Dies ist ein deutliches Signal, dass man sich in der Führungsriege der EU mit der Möglichkeit einer Linksregierung in Griechenland vertraut macht. Gleichzeitig ist es ein Eingeständnis, dass die über 300 Milliarden Euro Schulden nicht eintreibbar sind.

Vor diesem Hintergrund ändert Samaras seine Taktik und setzt auf Stimmen von ganz rechts. Bereits am Tag nach dem Attentat auf die Satirezeitung Charlie Hebdo in Paris trumpfte Samaras mit einer an Rassismus kaum noch zu überbietenden Demagogie auf. Während Frankreich nun mit Polizei und Militär seine Bürger schütze, so der Ministerpräsident, habe Syriza die »ungesteuerte und massenhafte Legalisierung illegaler Migranten« im Programm. Samaras ehemaliger Fraktionssprecher Antonis Georgiadis, der ursprünglich aus der ultrarechten LAOS-Partei stammt, warnte zudem zu Wochenbeginn, der türkische Ministerpräsident würde die Gelegenheit eines Siegs der als antimilitaristisch geltenden Linkspartei nutzen, um in Griechenland einzumarschieren.

Samaras versicherte, im Gegensatz zu seinem angeblich atheistischen Kontrahenten werde er »nie zulassen, dass die Ikonen von den Wänden öffentlicher Gebäude und Schulen abgehängt werden«. Tsipras konterte mit der Erklärung, das einzige, was Samaras noch nicht behauptet habe, sei, dass Syriza im Falle der Machtergreifung die Kinder einsammeln und unter staatliche Aufsicht stellen sowie den Griechen die Frauen rauben werde. Von der noch im Wahlkampf 2012 angekündigten Trennung von Kirche und Staat ist bei Syriza allerdings keine Rede mehr. Statt dessen trat der als Wahlsieger gehandelte Tsipras auf Stimmenfang am Dreikönigstag mit dem überaus reaktionären geistlichen Oberhaupt der Hafenstadt Piräus auf und ließ dort bei einer Zeremonie eine den heiligen Geist symbolisierende Taube fliegen.

Umfragen sagen der Linkspartei jedoch trotz Samaras Stimmenfang am rechten Rand einen klaren Sieg bei den am 25. Januar anstehenden Parlamentswahlen voraus. Zweifelhaft bleibt allerdings, ob es für eine Alleinregierung von Syriza reichen wird. Von einer solchen aber macht Tsipras inzwischen die abstrichlose Umsetzung seines Wahlprogramms abhängig, das im Kern verschiedene Maßnahmen für die Abmilderung der schärfsten Einkommenseinbußen durch die Austeritätspolitik für die sozial schwachen Schichten vorsieht.

Unklar bleibt, was geschieht, wenn Syriza nicht die absolute Mehrheit von mindestens 151 Sitzen im 300köpfigen Parlament bekommt. Allen Umfragen zufolge wäre eine Koalitionsregierung des konservativen Lagers rechnerisch auf die Einbindung der neofaschistischen »Goldenen Morgendämmerung« angewiesen. Solange deren Führungsspitze noch unter der Anklage der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Untersuchungshaft sitzt, wird sich dies jedoch keine bürgerlich-demokratische Partei leisten können.

Die Entscheidung läge damit bei Syriza. Entweder sie besteht auf einem erneuten Wahlgang, oder sie koaliert mit einer der kleinen Parteien, die sich derzeit mehr oder weniger offen anbieten. Zur Auswahl stünden dabei die sozialdemokratische PASOK-Partei, die von dem bekannten Journalisten Stavros Theodorakis gegründete Partei »To Potami« und die nationalistischen »Unabhängigen Griechen«, wenn letztere den Sprung über die Dreiprozenthürde schaffen. Bisher hatte die Linkspartei eine Koalition mit diesen drei Organisationen ausgeschlossen.

Die Kommunistische Partei Griechenlands, KKE, steht dagegen für eine Zusammenarbeit mit Syriza definitiv nicht zur Verfügung. Die Äußerung von Tsipras, er fände es unverständlich, wenn die KKE seine Reformen nicht unterstütze, bezeichnete der KKE-Generalsekretär Dimitris Koutsoubas erst am Dienstag als »dreist«. Er erklärte: »Unverständlich ist es, das Tsipras, und auch noch im Namen der Linken von der KKE fordert, sie solle mit ihm zusammen die EU, den Euro, die Monopolkonzerne retten.«

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. Januar 2015


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