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Griechenlands linke Syriza-Regierung – Neuanfang auch in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Ein Bericht von Jerry Sommer in der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"


Joachim Hagen (Moderatio):
Griechenland spielt zwar bei den Verhandlungen der Europäischen Union mit Russland nur eine kleine Rolle, aber zustimmen muss es den Sanktionen auch. Kurz nach der Wahl in Griechenland hatte die neue Koalitionsregierung aus dem Linksbündnis Syriza und der Partei Unabhängige Griechen deutlich gemacht, dass sie bei den Verhandlungen über eine Verlängerung der Sanktionen keinesfalls übergangen werden möchte. Das hat zu einigen Irritationen bei den anderen EU-Außenministern geführt. Schon vor der Wahl hatte Syriza eine Abkehr von der bisherigen griechischen Außen und Sicherheitspolitik angekündigt. Jerry Sommer berichtet.


Manuskript Jerry Sommer

Noch im Wahlkampf 2012 verlangte Syriza, dass die zwei US- und NATO-Einrichtungen im Land geschlossen werden müssen. Solche Forderungen sind aus der aktuellen Syriza-Politik verschwunden. Das programmatische Ziel Syrizas, die Auflösung der NATO, wird in der praktischen Politik der neuen Regierung ohnehin keine Rolle spielen. Mit der NATO wolle man keinen Streit, sagt der Koordinator der Arbeitsgruppe Außen- und Sicherheitspolitik im Parteivorstand von Syriza, Giorgos Tsipras, ein Cousin des neuen Ministerpräsidenten:

O-Ton Giorgos Tsipras (overvoice)
„Wir stimmen mit den Entwicklungen in der NATO nicht überein. Syriza unterstützt nicht einen neuen Kalten Krieg in Europa. Das nützt weder dem ukrainischen, noch den anderen Völkern Europas. Wir werden deshalb für eine Entspannung und für Gespräche mit Russland eintreten, um Probleme politisch zu lösen und den Frieden zu sichern.“

Syriza lehnt militärische Interventionen wie in Afghanistan, Irak und Libyen grundsätzlich ab. Außerdem ist das Linksbündnis gegen eine gegen Russland gerichtete Aufrüstung der NATO. Stattdessen tritt es für eine neue Sicherheitsarchitektur in Europa unter Einschluss Russlands ein. Konflikte sollten mit politischen Mitteln unter Beteiligung aller Parteien ohne Vorbedingungen gelöst werden. In Bezug auf die Ukraine heißt das: Die Regierung in Kiew darf sich nicht weiterhin jeglicher Verhandlungen mit den ostukrainischen Aufständischen verweigern. Der Bürgerkrieg dort sollte durch einen „nationalen Dialog“ beendet werden.

Griechenland will sich für solche Konfliktlösungen einsetzen, versprach der neue Außenminister Nikos Kotsias bei seiner Amtsübernahme:

O-Ton Kotsias (overvoice)
„Griechenland muss einen Beitrag leisten, um Vermittlungen, Schlichtungen und Verhandlungen zwischen den Parteien und Staaten in Krisenregionen zu erreichen.“

Syrizas Außenpolitik wird außer von solchen grundsätzlichen Überlegungen auch von der Definition der nationalen griechischen Interessen geprägt. Ein Beispiel sind die Sanktionen gegen Russland wegen der Ukraine-Krise: Diese kritisiert Syriza als kontraproduktiv für die Lösung des Problems sowie als wirkungslos. Auch schadeten sie Griechenland wirtschaftlich, weil sie landwirtschaftliche Exporte nach Russland und den Strom russischer Touristen nach Griechenland einschränkten. Darüber hinaus, so der Syriza-Außenpolitiker Giorgos Tsipras:

O-Ton Tsipras (overvoice)
„Die Sanktionen haben auch geopolitische Folgen. Die Türkei hat es geschafft, Griechenlands landwirtschaftliche Exporte nach Russland zu ersetzen. Und es gab auch eine generelle Annäherung zwischen Russland und der Türkei. Diese Entwicklungen sind nicht in unserem Interesse.“

Auch in weiteren Fragen vertritt die neue Regierung andere Positionen als die Mehrheit der EU-Staaten. So ist sie gegen das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA. Sie wird den Staat Palästina anerkennen und sich – entgegen der bisherigen EU-Politik - für die gleichmäßige Verteilung aller Flüchtlinge und Asylsuchenden auf alle EU-Staaten einsetzen. Sicher ist, dass die neue Regierung in EU und NATO unterschiedliche Auffassungen deutlicher formulieren wird. Außenminister Kotsias:

O-Ton Kotsias (overvoice)
„Wer denkt, Griechenland wird seine Souveränität aufgeben und auf eine aktive Einwirkung auf die Politik der EU verzichten, weil wir Schulden haben, der liegt falsch.“

Offen dürfte allerdings sein, inwieweit Griechenland nur seine Positionen formuliert, aber ansonsten Kompromissen zustimmt, selbst wenn sie nicht den Grundsätzen der griechischen Regierung entsprechen. Sie wird von Fall zu Fall entscheiden, oft lavieren und dabei im Auge behalten, wie das ihrem Hauptziel nützt, eine Schuldenerleichterung mit den Staaten der Euro-Zone auszuhandeln. Entsprechend hat Athen bei dem letzten EU-Außenministertreffen zugestimmt, die bisherigen, mehr symbolischen Sanktionen gegen russische Einzelpersonen zu verlängern. Es gelang ihr aber durchzusetzen, dass im Kommuniqué der Außenminister nicht direkt neue Wirtschaftssanktionen angedroht wurden. Außenminister Kotsias:

O-Ton Kotsias (overvoice)
„Wir konnten bei unserem Hauptanliegen die Mehrheit überzeugen, dass Europa nicht eine neue Welle von Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Gang setzt. So konnten wir – anstatt gezwungen zu sein, unser Veto einzulegen -, unseren Grundsatz durchdrücken: ‚Wir wollen keine neuen Sanktionen gegen Russland‘.“

Kotsias stellte das als großen Erfolg dar. Allerdings werden weitere Wirtschaftssanktionen gegen Russland in der Erklärung der Außenminister auch nicht ausgeschlossen. Eine solche Gradwanderung zwischen Grundsätzen und Bereitschaft zu Kompromissen wird die neue Regierung sicher bei vielen außen- und sicherheitspolitischen Themen vornehmen müssen. In Einzelfragen könnte das Gewicht Griechenlands aber auch die EU-Politik verändern – je nachdem wie stark die Syriza-Positionen von anderen Parteien und Regierungen in der EU unterstützt werden.

Der Leiter des außenpolitischen Thinktanks „HELIAMEP“ in Athen, Thanos Dokos, geht davon aus, dass die griechische Außenpolitik im Kern gleich bleiben wird. Die Syriza-Regierung werde bald lernen, sich nach den gängigen Spielregeln zu richten:

O-Ton Dokos (overvoice)
„Ich glaube, dass sich nichts Wesentliches an der griechischen Außenpolitik ändern wird – sowohl in Bezug auf die NATO wie auch auf die EU. In bestimmten Fragen werden wohl unterschiedliche Positionen formuliert werden. Aber wahrscheinlich wird es nicht zu einer Auseinandersetzung kommen, die in den Bündnissen schwere Probleme hervorruft.“

Die bisherigen griechischen Regierungen sahen die Türkei als Gegner und als potenzielle Bedrohung an. Bei den Verhandlungen um die Wiedervereinigung Zyperns unterstützen sie die Politik der griechisch-zypriotischen Regierung. Der neue Außenminister Nikos Kotsias gehörte Anfang des Jahrtausends zwar zu den Architekten einer neuen griechischen Entspannungspolitik gegenüber der Türkei. Heute scheint er allerdings die Türkei vor allem als aggressive Macht in der Ägäis anzusehen, die Griechenland und den griechischen Zyprioten die Ausbeutung der unter dem Mittelmeer befindlichen Öl- und Gasvorkommen streitig machen will. Eine kompromissbereitere Linie gegenüber der Türkei ist deshalb nicht zu erwarten. Dafür wird auch Panos Kammenos sorgen - der Chef der konservativ-nationalistischen „Unabhängigen Griechen“ und neue Verteidigungsminister. In einem Radiointerview sagte er:

O-Ton Kammenos (overvoice)
„Unser Land wird vom Osten bedroht. Da können wir nicht nackt dastehen.“

Syriza sieht das ähnlich und fordert deshalb nicht mehr wie früher eine Kürzung der Rüstungsausgaben. Tatsächlich ist der Militärhaushalt während der Schuldenkrise nach Angaben der griechischen Regierung in den letzten fünf Jahren um über 40 Prozent auf 3,5 Milliarden Euro geschrumpft. Statt 135.000 sind nur noch 109.000 Mann unter Waffen. Aber Griechenland gibt immer noch 2,3 Prozent seines Bruttosozialprodukts für Rüstung aus. Der Durchschnitt bei den europäischen NATO-Staaten liegt bei 1,6 Prozent.

Die neue Regierung plant, alle Rüstungsbeschaffungsmaßnahmen der vergangen Jahre genau zu überprüfen, weil es dabei viel Korruption und Verschwendung gegeben habe. Auch eine Strukturreform der Streitkräfte, die Schließung von Stützpunkten und eine neue Militärstrategie sind in der Diskussion. Aber keine weiteren Einsparungen, sagt Giorgos Tsipras vom Syriza-Parteivorstand:

O-Ton Tsipras (overvoice)
„Die Militärausgaben sind schon drastisch gekürzt worden. Jetzt ist eine grundlegende Rationalisierung notwendig, um mehr Leistung für das gleiche Geld zu erhalten. Syriza ist gegen eine einseitige Reduzierung der Rüstungsausgaben. Wir wünschen uns aber eine gleichmäßige Abrüstung von Griechenland und unserem Rivalen, der Türkei.“

Konkrete Pläne für entsprechende Verhandlungen mit der Türkei gibt es aber noch nicht. Das hat für Syriza keine Priorität. Und es dürfte mit dem neuen Ver-teidigungsminister von den „Unabhängigen Griechen“ auch nicht zu machen sein.

* Aus: NDR Info STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 7. Februar 2015; www.ndr.de/info


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