Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Schrecken ohne Ende

Athen präsentiert tollen Haushalt - und braucht frisches Geld. Euro-Finanzminister und Griechenlands Regierung taktieren wegen weiterem Hilfsprogramm

Von Dieter Schubert *

Griechenland ist »insgesamt auf gutem Wege«. Diese Feststellung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat etwas durchaus Weihnachtliches. Es gilt im Advent mehr denn je das Prinzip Hoffnung. Auch und gerade für die krisengeplagten Hellenen. Doch geht es nicht um Befindlichkeiten, sondern um Fakten, wenn die Kassenverwalter der Euro-Zone darüber befinden wollen, ob das Land die nächste und vorläufig letzte Tranche der beschlossenen Hilfskredite von 1,8 Milliarden Euro ausgezahlt bekommt. Oder - was noch viel wichtiger ist - noch weitere finanzielle Unterstützung erhalten soll. Am Montag jedenfalls beschlossen sie, das Problem erst einmal zu vertagen.

Über eine Verlängerung des zum Jahresende auslaufenden Hilfsprogramms werde zunächst nicht entschieden, erklärte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici vor dem Treffen der Euro-Gruppe in Brüssel. Sein hinzugefügter Satz ließ indes wenig Raum für große Erwartungen: »Ich hoffe aber, dass wir zumindest einige Fortschritte erreichen«, fügte der frühere französische Finanzminister hinzu.

Das Problem: Die Europäische Union erwägt, das Programm um ein halbes Jahr zu verlängern - wie die Nachrichtenagentur Reuters aus ihr vorliegenden Dokumenten am Montag schlussfolgerte. Die Regierung in Athen will indes allenfalls noch ein paar Wochen unter Aufsicht Brüssels bleiben: Das 2010 vereinbarte »Rettungspaket« unpopulär zu nennen, wäre ein Euphemismus. Denn in der Bevölkerung werden die »Hilfsleistungen« als ursächlich für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes gesehen, die kreditgebende Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds hat den Ruf, das Land endgültig in den Ruin getrieben zu haben. Der erste Vorwurf ist falsch, das zweite zumindest wahrscheinlich.

Griechenlands Regierung hat einen Haushalt für 2015 vorgelegt, der gut aussieht. Sollte er auch, wenn ein Ausstieg aus dem Hilfsprogramm angestrebt wird. Die Troika hält die Annahmen für den in der Nacht durch das griechische Parlament verabschiedeten Etat jedoch für zu optimistisch. Der Haushaltsplan weist so wenig Schulden aus wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dennoch gibt es gravierende Unstimmigkeiten mit den »Geldgebern«, die weitere »Einsparungen« im Volumen von 1,7 Milliarden Euro verlangen. An der Erfüllung dieser Forderung hängt wohl auch die Auszahlung der letzten Tranche. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem sagte, die Finanzminister würden bei ihrem Treffen zunächst den Bericht der Troika-Experten hören wollen. »Auf dieser Basis werden wir entscheiden, ob wir zum Jahresende zu einer Entscheidung kommen, ob wir eine Verlängerung brauchen. Das ist weiter eine offene Frage.«

Selbstverständlich machen sich alle Beteiligten gegenseitig etwas vor: Die Regierung will das zu Recht aufgebrachte Volk beruhigen und gerne im Amt bleiben. Im kommenden Jahr stehen Präsidentenwahlen an. Sollte die Stimmungslage bleiben wie sie ist, könnten Premier Antonis Samaras und seine Koalitionstruppen bei einem erwarteten »Linksruck« wohl einpacken. Vor allem aber will Athen an die internationalen Finanzmärkte zurück, um dort neue Schulden aufzunehmen. Die Renditen (Zinsen) sind da gegenwärtig niedrig - nicht zuletzt durch eine faktische Garantieerklärung der EZB und deren Absicht, demnächst direkt Staatsschuldenpapiere aufzukaufen. Der bereits auf dem griechischen Staat lastende Schuldenberg dürfte ohnehin verhindern, dass »private Investoren« sich derartige Schrottpapiere ohne Versicherungspolice der EZB und/oder der EU zulegen.

Brüssel hat im Verein mit EZB und IWF bereits fast 240 Milliarden Euro aufgebracht (wo immer das Geld danach hingegangen sein mag), um das Land vor einer Staatspleite zu bewahren. Die Befürchtung selbst von Schönrechnern, eine Beendigung der Griechenland-Stütze würde das Land mit großer Wahrscheinlichkeit ruinieren, macht einen permanenten Hilfsautomatismus praktisch unumgänglich - und ohne einen Schuldenerlass wäre der tatsächlich sinnlos. Das den Wählerinnen und Wählern in den anderen EU-Staaten zu erklären, wird kaum gelingen, selbst Demagogie hat Grenzen, wenn es um Zahlen geht.

Interessant ist schon, wie die der rechten ungarischen Regierung nahestehende Budapester Zeitung Magyar Nemzet das kommentiert: »Die Bilanz der Griechenland-Hilfe seitens der Trojka aus EU, IWF und EZB ist niederschmetternd: neben gestiegenen Steuern, gesenkten Sozialausgaben, Massenentlassungen und Lohnkürzungen stehen da ein Einbruch der Volkswirtschaft um 25 Prozent, eine auf 177 Prozent (des Bruttoinlandsprodukts BIP) gestiegene und nie zurückzahlbare Staatsverschuldung, eine 26prozentige Arbeitslosenrate, die unter den Jungen gar noch das Doppelte ausmacht, und die überschwengliche Freude über ein BIP-Wachstum im Ausmaß von einem halben Prozent. (...) Die Griechen demonstrieren nun gegen die EU und gegen neue Sparmaßnahmen, die ihnen wegen Hilfen abgenötigt werden, deren Ausmaß gerade mal 0,008 Prozent des BIP ausmachen. Denn sie spüren auf ihrer eigenen Haut (...), dass dieses Rezept nicht funktioniert.«

* Aus: junge Welt, Dienstag, 9. Dezember 2014


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Griechenland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage