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Freunde und Helfer

Vorabdruck. Zwischen der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi und der griechischen Polizei besteht ein oft harmonisches Verhältnis

Von Dimitris Psarras *

Ungeachtet der Verbotserwägungen des griechischen Staates infolge des Mordes an dem linken Aktivisten und Hip-Hop-Musiker Pavlos Fyssas durch eines ihrer Mitglieder im September 2013 erfreut sich die offen faschistische Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgendämmerung) noch immer eines großen Wählerzuspruchs. Umfragen zufolge gilt sie derzeit als drittstärkste politische Kraft in Griechenland. Der Journalist Dimitris Psarras beleuchtet in seinem Buch »Neofaschisten in Griechenland. Die Partei Chrysi Avgi« Geschichte, Ideologie und terroristische Praxis der Organisation und stellt sich folgende Frage: »Wie sind wir Griechen dorthin gelangt? Wie wurde plötzlich der Sack des Aiolos geöffnet und die bis vor wenigen Jahren diskreditierte und marginale extreme Rechte in die Lage versetzt, heute die politische Tagesordnung zu gestalten?« Der Band erscheint Ende Januar im Laika Verlag. Die Übersetzung besorgte Heike Schrader. junge Welt veröffentlicht vorab – stark redaktionell bearbeitet – das Kapitel über die Verbindungen zwischen Polizeikräften und Partei.


Die »Übereinstimmung« zwischen den Sicherheitskräften und der Chrysi Avgi bestätigte sich auf drastischste Art bei den Wahlen im Mai und im Juni 2012. Hier wurde festgestellt, daß die Stimmen für die Organisation in den Wahllokalen besonders hoch waren, in denen aufgrund der für sie geltenden besonderen Wählerverzeichnisse Polizisten wählen. In diesen Wahllokalen mit den Nummern 806 und 816, die dicht an der Polizeizentrale in Athen liegen, belief sich der Anteil für die Chrysi Avgi bei den Wahlen im Juni auf 17,2 bzw. 23,04 Prozent. Sie lagen damit genau so hoch wie bei den Wahlen im Mai. In den benachbarten Wahllokalen 804 und 805, in denen keine Polizisten abstimmten, lag der Anteil bei 5,35 bzw. 6,57 Prozent.

Das Phänomen war bereits vom ehemaligen Bürgermeister des Athener Stadtteils ­Kaisariani, Thanassis Bartsokas, bei den Europawahlen 2009 und den folgenden Wahlen zum griechischen Parlament im selben Jahr öffentlich gemacht worden. Bei dem Versuch, eine Erklärung für die hohen Stimmanteile der Chrysi Avgi in seinem Stadtteil zu finden, stellte Bartsokas fest, daß »der bedeutende Anstieg der Rechtsextremen in Kaisariani sowohl bei den Europawahlen als auch bei den nationalen Wahlen den speziellen Wählerverzeichnissen, und zwar ausschließlich denen der der Polizeieinheiten Attikas, geschuldet ist«.

Ausgezeichnete Verbindungen

Nicht wenige führen die ausgezeichneten Beziehungen der Polizei zu den griechischen neofaschistischen Organisationen auf die Hilfe zurück, die die Mitglieder letzterer den Repressionskräften jedes Mal andienen, wenn es im Zentrum von Athen zu Auseinandersetzungen kommt. Obwohl das Phänomen der »aufgebrachten Bürger« sich natürlich nicht auf die Chrysi-Avgi-Anhänger und Gleichgesinnte beschränkt (von Zeit zu Zeit haben sich in dieser Rolle auch die Jugendorganisationen nicht nur der jeweils regierenden Parteien hervorgetan), finden sich in den Strukturen des faschistischen Tiefen Staats [1] ohne Zweifel die konstantesten Partner der Bereitschaftspolizei auf dem »Kampffeld«. Die beiden Jahre 1994 und 1995 waren reich an Beispielen derartiger militanter Zusammenarbeit.

Als am Abend des 6. Juni 1994 einige Dutzend Anarchisten das Polytechnikum besetzten, um gegen den zum wiederholten Male stattfindenden Besuch des damaligen Vorsitzenden der französischen Rechtspartei Front National, Jean-Marie Le Pen, in Griechenland zu protestieren, beeilte sich eine gleiche Anzahl der Chrysi Avgi-Faschisten, den Sicherheitskräften, die die Uni belagerten, eine helfende Hand zu reichen. Der damalige Minister für Öffentliche Ordnung, Stelios Papathemelis, wies auf Nachfrage jede Verantwortung von sich. »Zuständig«, erklärte er, »ist die Staatsanwaltschaft und nicht die Polizei.« Gleiches ließ sich auch im folgenden April beobachten, als der stellvertretende Hochschulpräsident der Panteion-Universität in Athen, Aimilios Metaxopoulos, sich beschwerte, daß die »aufgebrachten« Neofaschisten ihn geschlagen hatten, die Polizisten dabei aber tatenlos zusahen.

Der Gipfel wurde bei den Ereignissen im November 1995 erreicht. Infolge einer an Auseinandersetzungen reichen Studentendemonstration nahmen Bereitschaftspolizisten in den Morgenstunden des 15. November vor dem Polytechnikum acht jugendliche Neofaschisten fest, die zuvor Steine auf die Studenten geworfen hatten, die sich dort verschanzt hatten. Die als Zeugen der Anklage vorgeladenen Polizisten weigerten sich gegenüber dem Richter, irgendeinen der Festgenommenen als Steinewerfer zu identifizieren, mit dem Ergebnis, daß diese freigesprochen wurden. Zwei Tage später, während das Polytechnikum erneut von der Polizei und den Kameras der Liveübertragungen belagert wurde, griff die Chrysi Avgi ein. Mehrere Dutzend ihrer Mitglieder, die in Militärformation marschierten, wurden von der Bereitschaftspolizei und der Sondereinheit »Z« vom nahe gelegenen Nationalmuseum bis zum Eingangstor des Universitätsgeländes in der Tositsa-Straße geleitet, um bei der Repression gegen die Anarchisten zu helfen. Obgleich erfolglos versuchten die Faschisten unter den aufmunternden Blicken der Polizisten, die in aller Ruhe ihre Pause genossen, in die Universität einzudringen.

»Kameradschaftliche« Toleranz

Die Versuche der rechtsextremen Gruppen, bei der Polizei Zugang zu finden, beschränken sich nicht auf ihre Handlangerdienste als »aufgebrachte Bürger« bei jedweden Repressionsunterfangen der staatlichen Ordnungskräfte. Häufig loben sie in ihren Publikationen die Polizei und schmeicheln deren einfachen Bediensteten und Offizieren. Sogar die Identifizierung mit dem jeweiligen Minister für Öffentliche Ordnung scheut die Chrysi Avgi nicht. Insbesondere die Verlautbarungen von Papathemelis, eine spezielle Grenzschutzabteilung der Polizei einzurichten, hat die Neonazizeitung, die den gleichen Namen wie die Partei trägt, euphorisch begrüßt: »Diese Ankündigungen zeigen die Bereitschaft, dieses große Problem anzugehen, und unsere Zeitung kann sie nur positiv finden.«

Mithin ist der einzige Teil des Staatsapparats, der von der Organisation nicht als Feind behandelt wird, die griechische Polizei: »Für die obszöne Situation, in der sich unser Land befindet, hat das griechische Volk bereits die Verantwortlichen ausgemacht. Unserer Meinung nach kann der Polizei dafür keine Schuld angelastet werden, da die Mehrheit ihrer Männer ihre Pflicht tut.« Beeindruckend ist die Tatsache, daß in den seltenen Fällen, in denen die Polizei die Aktivitäten der Organisation behindert, die Neonazipartei dafür Verständnis aufbringt: »Als wir am Abend des 17. November (1995) sahen, wie einige Idioten die griechische Fahne verbrannten, waren wir aufgebracht und beschlossen, darauf zu reagieren. Natürlich wurden wir von den Polizeikräften behindert. Doch die Polizisten trugen dafür keinerlei Verantwortung, sondern führten schlicht und einfach die Befehle der obersten Beschützer des Systems aus«, heißt es in dem Faschistenblatt Diese »kameradschaftliche« Toleranz geht sogar so weit, Festnahmen aus den eigenen Reihen zu rechtfertigen: »Die Hochstimmung der Nationalisten wurde nicht im geringsten von der Festnahme von fünf Mitkämpfern getrübt, die auf Befehl und Druck von oben erfolgten.«

Nach der Enthüllung der Journalistengruppe »Ios« im Herbst 1997 über die »Junta-Feier«, die höchste Polizeifunktionäre in Thessaloniki organisiert hatten, bestätigte der damalige Minister für Öffentliche Ordnung, Giorgos Romaios, die Existenz von Verbindungen zwischen der Polizei und der Chrysi Avgi. Auf die Frage eines Journalisten, ob es organisierte Strukturen der Chrysi Avgi innerhalb der griechischen Polizei gebe, antwortete der Minister zurückhaltend, aber aufschlußreich: »Es hat nicht den Anschein, daß es eine organisierte Gruppe ist. Aber daß einige von ihnen Verbindungen zu solchen Organisationen haben, trifft zu. Aber es handelt sich um Einzelfälle.« Der Journalist insistierte: »Und die Organisation, über die wir sprechen, ist die Chrysi Avgi?« Zur Antwort erhielt er ein lakonisches »Ja«.

Nach dem Mordversuch an dem Studenten Dimitris Kousouris und seinen Genossen am 16. Juni 1998 wiederholte Minister Romaios: »Sicherlich gibt es solche [gemeint sind rechtsextreme] Elemente [in der Polizei, Anm. d. Autors]. Aber ohne ihre Bedeutung mindern zu wollen, möchte ich bemerken, daß es sie auch im Parlament gibt. […] Kann jedoch jemand behaupten, daß es zu dem Zeitpunkt, an dem der Vorfall gegenüber dem Gerichtsgelände stattfand, Polizeieinheiten zugegen waren, die den Vorfall gesehen haben, aber alle, vom Vorgesetzten bis zum letzten Polizisten, ihn verdecken wollten? Das ist nicht möglich. […] Das Spektrum der Chrysi Avgi hat uns beschäftigt. […] Von seiten der Polizei hatten wir bis heute – ich meine bis dieser Angriff gegen den Studenten erfolgte – kein ernsthaftes Problem, das uns dazu gezwungen hätte, eine gezielte Operation durchzuführen.«

Zeitgleich dementierten Polizeigewerkschafter kategorisch die Existenz von Verbindungen zwischen Polizei und Neonazis, mußten allerdings die Freundschaftsbekundungen der Chrysi Avgi anerkennen. Der Vorsitzende der griechischen Vereinigung der Polizeioffiziere, Giannis Kamarinopoulos, erklärte, daß »solche Gruppen keine Beziehungen zur Polizei haben, wie es dargestellt wird«, und beharrte darauf, daß die Verbundenheitsbeteuerungen nicht beiderseitiger Natur seien: »Es kann sein, daß es bei diesen Leuten, sagen wir Chrysi Avgi und ähnliche, wenn sie Polizisten treffen, so aussieht, als ob sie sich ihnen gegenüber mitfühlend verhielten, aber ich erkläre ausdrücklich, daß wir keine Beziehung mit ihnen haben und auch nicht haben wollen. Ich glaube, es ist ausgeschlossen, daß in solche Gruppen auch nur einzelne Polizisten verwickelt sind.« Es mußten erst einige Jahre vergehen, bis anerkannt wurde, daß dieses Bild keinerlei Übereinstimmungen mit der Wirklichkeit hat.

Der Fall des Chrysi-Avgi-Mitglieds Androutsopoulos Antonios, der den Studenten Kousouris halb tot geschlagen hatte, bestätigte die Existenz enger Beziehungen zwischen Polizei und Faschisten. Besonders entlarvend ist hierbei das »streng vertrauliche« Schreiben einer Sondereinheit der griechischen Polizei vom 10. Dezember 1999, das Informationen über die Tätigkeiten von Chrysi Avgi enthielt. Darin ging es um »Maßnahmen zur Festnahme von Antonios«. Die Polizei hatte das Dokument an das Ministerium für Öffentliche Ordnung zur persönlichen Information des Ministers Michalis Chrysochoidis weitergleitet. In diesem Schreiben, das die griechische Tageszeitung Ta Nea öffentlich gemacht hatte, wird eine besondere Gruppe von Offizieren der Polizei erwähnt, der es gelungen war, Verbindungen mit ehemaligen Mitgliedern der Chrysi Avgi herzustellen. Diese brachen aber den Kontakt ab, nachdem sie von einem Polizisten darüber informiert worden waren, daß ihr Tun sehr gefährlich sei, denn »die halbe Polizei will Periandros festgenommen und die andere Hälfte nicht«.

Eine weitere Passage aus dem Schreiben über die Beziehung zwischen der neofaschistischen Partei, dem Militär und der Polizei ist nicht minder aufschlußreich: »Die Organisation unterhält sehr gute Beziehungen und Kontakte zu im Dienst stehenden Offizieren und Berufsunteroffizieren der Armee, aber auch mit solchen, die in den Ruhestand versetzt wurden. Sie unterhält zudem sehr gute Beziehungen und Kontakte mit im Dienst und im Ruhestand stehenden Polizeioffizieren, aber auch mit einfachen Polizeibeamten. In der Vergangenheit, etwa während der Demonstrationen zum Jahrestag des 17. November [2], aber auch bei anderen Veranstaltungen der linken und anarchistischen Szene, wurde sie mit Funkgeräten und Schlagstöcken von der Polizei ausgerüstet.

Diese Verbindungen der Organisation, aber auch die direkten Kontakte, die Antonios mit der Polizei persönlich unterhält, haben bei den Gesprächspartnern zu der Überzeugung geführt, daß dessen Aufspürung und Festnahme schwierig sein wird. Chrysi Avgi wartet auf die Regierungsübernahme durch die Nea Dimokratia, damit Periandros ›weich fällt‹. Die meisten Mitglieder der Chrysi Avgi tragen illegal Waffen, die sie von Abgeordneten der Nea Dimokratia beziehen, als deren Leibwächter sie auftreten.«

Niemand sollte die gesellschaftlichen Dimensionen der Übereinstimmung zwischen Männern der Polizei und der Chrysi Avgi unterschätzen. Die Huldigung der physischen Überlegenheit, die Vergötterung von Gewalt sowie der Kult des Körpers, an dem man unter Zuhilfenahme von Anabolika arbeitet, sind Elemente einer gemeinsamen Subkultur. Dieses Milieu der Polizisten, der Wachleute, Leibwächter und Türsteher und natürlich der Chrysi Avgi-Leute trifft sich im Fitneßcenter.

Faschisten in Uniform

Da bleibt es nicht aus, daß so manch ein Polizeibeamter auch Mitglied von Chrysi Avgi ist. Charakteristisch erscheint der Fall eines Mannes, der bei Angriffen auf Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei (SEK) und andere Antirassisten zwischen dem 16. und dem 30. Juni 2000 in der Gegend um den Athener Omoniaplatz und im Stadtteil Kypseli eine führende Rolle spielte. Mit einem Messer bewaffnet machte er gemeinsam mit Parteigängern der Chrysi Avgi Jagd auf alle, die in diesem Zeitraum für eine antirassistische Kundgebung warben. Zu seinem Pech wurde er, wie auch die anderen Schlägertypen, fotografiert. Das Foto fand in der Presse Veröffentlichung. Darauf erstatteten die Geschädigten Anzeige gegen ihn. Der Fall durchlief die Büros von Polizisten, Untersuchungsrichtern und Staatsanwälten. Niemand wollte ihn identifizieren.

Ein Jahr später endlich konnte der Neonazi ausfindig gemacht werden. Es stellte sich heraus, daß es sich um den Polizeibeamten G.A. vom einschlägig bekannten vierten Polizeirevier am Omoniaplatz handelt, der in der Zwischenzeit in das Revier des Stadtteils Alimos versetzt worden war. Letztlich wurde G.A. für die Angriffe verurteilt. Aber dieser Fall ist beileibe nicht der einzige.

2008 gab es zwei weitere wichtige Belege für die Beziehungen zwischen Chrysi Avgi und griechischen Polizei. Die erste war die praktische Zusammenarbeit von Polizei und Chrysi Avgi in Athen am 2. Februar 2008. Durch Filmaufnahmen und Fotografien wurde belegt, was über Jahre ein offenes Geheimnis gewesen war: Es gibt eine operative Zusammenarbeit der Polizei mit der Neonazibande, insbesondere wenn es gegen den gemeinsamen inneren Feind geht. Anhand der Kameraaufnahmen läßt sich deutlich erkennen, wie Mitglieder der Neonaziorganisation mit Knüppeln in der Hand gemeinsam mit der Bereitschaftspolizei antifaschistische Demonstranten jagen. Außerdem ist zu sehen, wie Neonazis eines ihrer Opfer am Boden liegend zurücklassen und hinter den Schilden der griechischen Polizei Schutz suchen. Die Zusammenarbeit von Polizei und Neonazis wird auch durch Fotografien bezeugt, die in der Presse veröffentlicht wurden. Auf einer von ihnen sieht man einen behelmten Chrysi Avgi-Mann mit dem Messer der Hand neben den Bereitschaftspolizisten.

Der zweite Fall ist der eines Funktionsträgers im Polizeiapparat, der auf seine Beziehung zur Chrysi Avgi stolz war und daraus keinen Hehl machte. Seine Aufgaben bei der Polizei stünden in vollem Einklang zu deren rechtsextremer Ideologie: Die Observierung von »Zielen«, mit anderen Worten von gesellschaftlich aktiven Personen, die vollkommen legal agieren, aber bei der Polizeiführung als »verdächtig« gelten, weil sie »verdächtige Ansichten« haben, also zum »antiautoritären« oder »anarchistischen«, zum »außerparlamentarischen linken« oder einfach zum »ökologischen« Spektrum gehören.

Der jüngste Fall ereignete sich am 8. Dezember 2012 und konnte im Fernsehen verfolgt werden. Bei einem Überfall von Parteigängern auf einen Wochenmarkt im westgriechischen Mesolongi beteiligte sich auch der polizeiliche Leibwächter des regionalen Chrysi-Avgi-Abgeordneten, Kostas Barbarousis. Das Ministerium für Öffentliche Ordnung suspendierte ihn daraufhin vom Dienst und kündigte den Abzug aller polizeilichen Leibwächter von Chrysi-Avgi-Parlamentariern an. Da war es schon zu spät.

Private »Sturmabteilung«

Ein weiterer Aspekt der Beziehungen zwischen Chrysi Avgi und Polizei ist die Absicht, bei sich bietenden Gelegenheiten die Sicherheitskräfte zu ersetzen und deren Aufgaben zu übernehmen. Die Kriminalitätsbekämpfung soll so mit faschistischen Losungen versehen werden. Diese Bereitschaft zur Ersetzung der Ordnungshüter kann verschiedene Formen annehmen und sich in dem Maße verstärken, in dem die Organisation weiter an politischem Gewicht hinzugewinnt. »Wenn wir für die öffentliche Ordnung im Land verantwortlich gewesen wären, lägen die Dinge anders«, erklärte der Anführer der Chrysi Avgi, Nikolaos Michaloliakos, bereits 1993 nach einer Explosion in den Büroräumen seiner Organisation. Eine bloße Unterstützung der Sicherheitsorgane reicht den Faschisten nicht. Ihr Ziel ist es, »Gesetz und Ordnung« in die eigenen Hände zu nehmen. Vor den Wahlen 2010 erläuterte der Chrysi-Avgi-Chef in der wöchentlichen Fernsehtalk-Sendung von Nikos Hatzinikolaou sein Programm: »Wenn jeder Athener Bürger im Monat drei Euro aufbringt, kommt eine Summe von drei Millionen Euro zusammen. Wir werden private Sicherheitsfirmen mit den Mitgliedern unserer Partei gründen. […] Wir werden Waffenscheine beantragen. Denn wenn etliche Großindustrielle vier oder fünf Leibwächter haben, stellt sich die Frage, warum nicht auch die Gemeinde Athen zweihundert Waffenträger haben soll, um das ihrer Bürger zu schützen?«

Mit anderen Worten: Die Partei will weiter terrorisieren wie bisher, aber offiziell mit Waffen ausgestattet und entlohnt für ihre Tätigkeit. Das Geständnis war so weitreichend, daß am nächsten Tag eine Erklärung herausgegeben werden mußte, um diese Forderung zu dementieren. In die gleiche Richtung gingen auch die Initiativen der Organisation unmittelbar nach den Wahlen 2012. Nachdem ihre direkte Umwandlung in bezahlte bewaffnete Abteilungen zur Kontrolle der Städte gescheitert war, kündigte sie an, Sicherheitsfirmen anzuheuern, die im Zentrum von Athen patrouillieren sollten. Dabei ist anzunehmen, daß diese Firmen den Anweisungen ihrer Auftraggeber folgen würden. Eine faktische Privatisierung des Neofaschismus und eine beispiellose Modernisierung seiner »Sturmabteilungen«. Und all das mit den Mitteln aus der staatlichen Parteienfinanzierung, die sich die Partei von Michaloliakos nunmehr gesichert hatte.

Der Wochenzeitung Proto Thema zufolge beabsichtigte der Chrysi-Avgi-Chef zuerst, Sicherheitsfirmen zu gründen, die unter direkter Leitung der Partei stehen sollten. Letztendlich entschieden er und seine Mitarbeiter sich aber dafür, bereits bestehende private Sicherheitsdienste anzumieten. Die Zeitung deckte auch die Absicht der Organisation auf, daß diese Firmen offene Stellen mit »arbeitslosen Mitgliedern und Freunden der Partei« besetzen sollten. Damit wäre das ursprüngliche Ziel, über eigene Sicherheitsdienste zu verfügen, auf Umwegen doch noch erreicht.

Anmerkungen
  1. Der Begriff Tiefer Staat wurde in der Türkei geprägt und meint die Existenz eines Staates im Staat, der auf einer geheimen langjährigen Verflechtung von Militär, Geheimdiensten, Politik, Justiz, Verwaltung und organisiertem Verbrechen bzw. Neofaschisten basiert (Anm. d. Red.).
  2. Am 17. November 1973 schlug das griechische Obristenregime einen Aufstand von Studenten, die das Athener Polytechnikum besetzt hatten, mit Panzern blutig nieder (Anm. d. Red.).
Dimitris Psarras: Neofaschisten in Griechenland. Die Partei Chrysi Avgi. Laika Verlag, Hamburg 2014, 224 Seiten, 19 Euro

* Dimitris Psarras ist Mitglied der Recherchegruppe »Ios« (Virus). Von 1990 bis zum Juni 2012 war er für die griechische linksliberale Tageszeitung Eleftherotypia (Pressefreiheit) tätig. Seit November 2013 schreibt er für die in einer Genossenschaft herausgegebene Efimerida ton Syntakton (Zeitung der Redakteure). Die griechische Originalausgabe erschien 2012.

Aus: junge welt, Montag, 20. Januar 2014



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