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Demokratie für Faschisten

Athen: Parlamentspräsidentin macht Abstimmung von Anwesenheit rechter Abgeordneter abhängig. "Chrysi Avgi" jubelt, andere Parteien distanzieren sich

Von Heike Schrader, Athen

Mit einer eigenwilligen Rechtsauslegung eckt Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopoulou derzeit in Athen bei den Abgeordneten fast aller Parteien an, die sie erst Anfang Februar in das Amt gewählt hatten. Es gebe ein Legitimitätsproblem bei allen Gesetzen, die in der Vergangenheit mit weniger als der absoluten Mehrheit von 151 Stimmen und in Abwesenheit der in Untersuchungshaft sitzenden Parlamentarier der neofaschistischen »Chrysi Avgi« (»Goldene Morgendämmerung«) verabschiedet worden seien, erklärte die Juristin Mitte vergangener Woche. Wenn zwar mehr als die Hälfte, aber nicht alle der 300 Parlamentarier in der Sitzung sind, werden in Griechenland wie in den meisten Parlamenten Beschlüsse mit der Mehrheit der anwesenden Abgeordneten gefasst.

Bereits wenige Tage zuvor hatte Konstantopoulou eine heftige Debatte ausgelöst, weil sie eine Abstimmung von der Anwesenheit der Faschisten abhängig machen wollte, die wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt sind. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem Transport der in Untersuchungshaft sitzenden Parlamentarier der Chrysi Avgi jedoch nicht zu.

Jubel löste der Vorstoß verständlicherweise nur bei den Faschisten aus. Die Parlamentspräsidentin mache deren Partei zur ausschlaggebenden Kraft bei Entscheidungen, empörte sich dagegen die größte Oppositionspartei, Nea Dimokratia (ND), und forderte die Regierung auf, sich zur Haltung des Syriza-Parteimitglieds zu positionieren. Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) konstatierte, die von Konstantopoulou aufgestellten Thesen »erzeugen Toleranz gegenüber einer kriminellen faschistischen Vereinigung«. Auch die KKE forderte eine Stellungnahme von Syriza.

Dort hielt man sich zunächst bedeckt. Erst einen Tag später erklärte Fraktionssprecher Nikos Filis, alle Parteien außer der Faschisten würden darin übereinstimmen, dass die Teilnahme der Chrysi-Avgi-Abgeordneten nicht ausschlaggebend für die Arbeit des Parlaments sein könne. Er könne die Ansicht von Konstantopoulou nicht nachvollziehen, legte wenig später Syriza-Arbeitsminister Panos Skourletis nach. Beide betonten, deren Thesen seien Ausdruck ihrer persönlichen Meinung und entsprächen nicht der Linie der Partei.

Die Juristin, die sich auf eine »auch für ihre Feinde geltende Demokratie« beruft, hat mit ihrem Vorstoß im Parlament sicher das eigene Ziel verfehlt. Das eigentliche Problem aber liegt nicht im Vorgehen der Parlamentspräsidentin, sondern vielmehr darin, dass den inhaftierten Abgeordneten auch fast anderthalb Jahre nach ihrer Festnahme immer noch kein Prozess gemacht wurde.

Nach dem Mord an dem antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas im September 2013 war die gesamten Führungsriege der Chrysi Avgi der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung beschuldigt worden. Wenig später wanderten die meisten der damals 18 faschistischen Parlamentarier inklusive Parteigeneralsekretär Nikos Michaloliakos in Untersuchungshaft. Dies führte jedoch nicht zu einem Ausschluss der Faschisten aus dem Parlament. Lediglich die staatliche Finanzierung der Partei wurde bis zum Urteil im anstehenden Verfahren auf Eis gelegt.

Nur wenige Tage vor Ablauf der zulässigen Höchstdauer von 18 Monaten Untersuchungshaft aber hat die Justiz immer noch keinen Termin für den Prozessbeginn festgelegt. Ende März werden die letzten noch inhaftierten faschistischen Abgeordneten wieder auf freien Fuß gesetzt werden müssen.

* Aus: junge Welt, Montag, 9. März 2015


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