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Athen will neue Beziehungen zu Moskau

Tsipras: Nach "frostigem Verhältnis" soll "Frühling" folgen / Debatte über Krisenpolitik und Kreditprogramm im griechischen Parlament / SYRIZA-Chef: Es wird keine Diskussion über ein drittes "Memorandum" geben *

Update 15.35 Uhr: EU-Ratspräsident Donald Tusk hält eine Einigung in den Gesprächen zwischen der griechischen Regierung und den Vertretern der Gläubiger »vor Ende April« für möglich. Vor Ostern rechne er aber nicht mehr mit Fortschritten, da die Prüfung der griechischen Reformliste »sehr komplex« sei, sagte Tusk am Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy in Madrid. »Ich hoffe, dass wir bis Ende April ein Abkommen erreichen werden, das erscheint mir möglich«, sagte Tusk. Gegenwärtig sei die finanzielle Lage in Griechenland »unter Kontrolle«. Der griechische Vize-Finanzminister Dimitris Mardas äußerte sich im TV-Sender Skai zuversichtlich, dass »Mittwoch oder Donnerstag« mit den Gläubigern von EU und Internationalem Währungsfonds eine Einigung erzielt werden könne.

Update 14.30 Uhr: Die SYRIZA-geführte Regierung in Griechenland will die Beziehung zu Russland erneuern. Nach einem früher »frostigen Verhältnis« strebe er in den bilateralen Beziehungen einen »Frühling« an, sagte Tsipras in einem am Dienstag in Moskau veröffentlichten Interview der russischen Agentur Tass. Es gehe für Athen unter anderem um den Export von landwirtschaftlichen Produkten, die derzeit von einem russischen Einfuhrstopp wegen der Ukraine-Krise nicht geliefert werden können. Die so entstandenen Verluste der griechischen Wirtschaft werden auf rund 430 Millionen US-Dollar geschätzt. Tsipras sprach zudem von engeren kulturellen Beziehungen sowie dem Tourismus und der Kooperation im Energiebereich. Der griechische Premier wird am 8. April in Moskau erwartet. »Unsere Nationen hatten brüderliche Beziehungen geschmiedet, als sie in einem kritischen historischen Augenblick einen gemeinsamen Kampf führten«, sagte der Regierungschef mit Verweis auf den Widerstand gegen Nazi-Deutschland. Der Jahrestag der Befreiung vom Faschismus habe für die Menschen in beiden Ländern eine große Bedeutung.

Die Bundesregierung reagierte auf Tsipras Ankündigung gelassen. »Wir waren ja auch schon in Moskau«, sagte Kanzlerin Angela Merkel am Dienstag, und verwies darauf, dass man dort europäische Interessen vertreten habe.

Update 8.05 Uhr: Kanzlerin Angela Merkel hat mit Blick auf die von Griechenland verlangten Reformvorschläge etwas Flexibilität signalisiert. Bei den Maßnahmen, die eine Regierung konkret ergreife, könne es Variationen geben, sagte Merkel am Montag nach einem Gespräch mit dem finnischen Ministerpräsidenten Alexander Stubb in Helsinki. »Aber zum Schluss muss der Gesamtrahmen stimmen.« Das Ergebnis der Gespräche Athens mit der Europäischen Zentralbank, der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds warte sie ab. »Dass dies ein längerer Prozess der Diskussion sein wird, das wundert mich nicht«, sagte Merkel. Auch beim Europartner Irland seien nach einem Regierungswechsel Teile des Kreditprogramms verändert worden. Zum Schluss müsse aber die Finanzstabilität des Landes wieder erreicht werden. Die Kanzlerin bekräftigte: »Wir arbeiten darauf hin, dass Griechenland Teil des Euro bleiben kann.« Stubb sagte, es solle weiter daran gearbeitet werden, eine Lösung zu finden. Die Zeit werde aber knapp, und die Bedingungen würden nicht geändert.

Update 6.35 Uhr: Der Vizevorsitzende der Unionsfraktion, Michael Fuchs, hat der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland »gezielten Provokationen« vorgeworfen. Er habe fast den Eindruck, Ministerpräsident Alexis Tsipras suche den Konflikt, sagte Fuchs der »Neuen Osnabrücker Zeitung«, und sprach von einem Affront, den Kreditgebern in Brüssel statt der vereinbarten Reformliste nur eine elektronische Datensammlung oder den »zweifelhaften Vorschlag« einer Gyros-Steuer auf den Tisch zu legen. Wer so handle, sei ein Provokateur oder »erschreckend unbedarft«, sagte der CDU-Wirtschaftsexperte. Beides trage ebenso zu einer Verschlechterung des Klimas zwischen Athen und Brüssel bei wie die Ankündigung von Tsipras, Russland um Unterstützung zu bitten. Am Montag hatte dagegen der Chefsprecher der EU-Kommission mit Blick auf die laufenden Gespräche über die Reformliste erklärt, »die Tatsache, dass Experten das ganze Wochenende und auch heute arbeiten, ist ein positives Zeichen«. Vertreter Griechenlands und der internationalen Gläubiger hatten das ganze Wochenende über Maßnahmen verhandelt, die Athen im Gegenzug für ausstehende Auszahlungen aus einem laufenden Kreditprogramm vorlegen soll. Das zeige die Bereitschaft und die Ernsthaftigkeit von allen Seiten, zusammenzukommen, so die EU-Kommission. Hierzulande war dennoch behauptet worden, die griechische Seite würde nichts Substanzielles vorlegen.

Debatte über Krisenpolitik und Kreditprogramm im griechischen Parlament

Die SYRIZA-geführte Regierung in Griechenland strebt im Streit um Auszahlungen aus dem laufenden Kreditprogramm und die Krisenpolitik einen »ehrlichen Kompromiss« an. Das sagte Ministerpräsident Alexis Tsipras am Montagabend im Parlament - er fügte aber sogleich hinzu, dass Athen keinesfalls eine »Kapitulation unterschreiben« werde. Es dürfe aber keiner erwarten, dass sich Griechenland bedingungslos beuge. Das sei der Grund, weshalb Athen massiv angegriffen werde. »Das ist aber auch der Grund, warum uns die Gesellschaft unterstützt.«

Der Chef der Linkspartei SYRIZA forderte die Opposition auf, die Pläne seiner Regierung zu unterstützen, um die umstrittene und im Land wegen ihrer sozialen Folgen verhasste Kürzungspolitik zu beenden. Den Vorgängerregierungen warf er vor, das Land »in die Untiefen« gezogen zu haben. Der ehemalige konservative Regierungschef Antonis Samaras entgegnete, die neugewählte Tsipras-Regierung stürze das Land ins »Chaos«.


Reformliste: Athen will 3,7 Milliarden einnehmen

EU-Sprecher: Verhandlungen geben »gutes Zeichen« / Gysi kritisiert Bundesregierung für Festhalten an den Kürzungsdiktaten / Weiter Gespräche über Reformliste der SYRIZA-geführten Regierung / Gläubiger pochen auf »härtere Maßnahmen« - der Newsblog vom Montag zum Nachlesen *

In Athen stand die zwischen Griechenland und den internationalen Gläubigern am 20. Februar unterzeichnete Vereinbarung im Schuldenstreit zur Debatte der Fraktionen. Es kam zu einem hitzigen Schlagabtausch zwischen Regierungsmehrheit und Opposition. Letztere warf der Regierungskoalition vor, Wahlversprechen gebrochen zu haben.

Die Institutionen verlangen, dass Athen vor der Auszahlung weiterer Zahlungen aus einem laufenden Kredit eine detaillierte Liste mit Reformvorhaben vorlegt. Dies ist aus Sicht der Gläubiger noch nicht geschehen, sie fordern härtere Kürzungsmaßnahmen beziehungsweise weitergehende Schritte. Sobald die Institutionen zugestimmt haben, müssen außerdem noch die Euro-Finanzminister grünes Licht geben.

Tsipras sagte dagegen im Parlament, er habe eine »reelle« Liste vorgelegt, die aus Griechenland ein »modernes« Land machen werde. Der Regierungschef nannte als Beispiele den Kampf gegen den Zigaretten- und Benzinschmuggel, gegen die Unterschlagung der Mehrwertsteuer sowie die Überprüfung von Auslandsguthaben. Er forderte außerdem erneut eine Neuverhandlung der griechischen Schuldenlast, die derzeit 177 Prozent der Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt. Ohne diese sei »die Rückzahlung unmöglich«, sagte Tsipras.

Der griechische Regierungschef sagte zudem, eine Diskussion über ein »neues Memorandum«, also neue Darlehen, nach dem Auslaufen des aktuellen Programms Ende Juni werde es nicht geben. Allerdings gehen Experten davon aus, dass Griechenland es nicht bis zum Sommer schafft, sich wieder selbst zu finanzieren. Damit wäre nach 2010 und 2012 ein drittes Kreditprogramm nötig. Die SYRIZA-geführte Regierung hat mehrfach erklärt, ein solches drittes Programm nicht zu wollen - stattdessen war die Rede von einem New Deal für Europa, der auf Wachstum und die Lösung sozialer Folgen der Krise ausgerichtet ist und eine grundlegende Änderung der Krisenpolitik nötig machen würde.

* Beide Artikel aus: neues deutschland (online), Dienstag, 31. März 2015


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