Gewerkschaften rüffeln SYRIZA
Dachverbände Griechenlands mobilisieren zum 1. Mai auch gegen die linke Regierung
Von Anke Stefan, Athen *
Gründe, um auf die Barrikaden zu gehen, sehen die Gewerkschaften genug. Nicht ein einziges der Wahlkampfversprechen hinsichtlich der Wiedereinführung des Tarifrechts und der Rücknahme auch nur der schlimmsten Lohn- und Rentenkürzungen hat die im Januar gewählte Linksregierung in Griechenland bisher umgesetzt. Glaubt man den jüngsten Presseverlautbarungen, wird Ministerpräsident Alexis Tsipras nun sogar hinter die eigenen absoluten »roten Linien« zurückfallen.
Um doch noch eine Einigung mit den Gläubigern zu erzielen, sollen die Wiederanhebung des Mindestlohns auf die vor der Krise geltenden 751 Euro brutto erneut verschoben und sogar neue Kürzungen bei den Renten vorgenommen werden. Falls sich die Berichte über den Inhalt der bisher noch geheim gehaltenen neuen Reformliste bestätigen, wäre kaum noch ein Unterschied zwischen SYRIZA und der konservativen Vorgängerregierung unter Antonis Samaras auszumachen.
Die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE für die private Wirtschaft und ADEDY für den öffentlicher Dienst rufen deshalb zur Demonstration am Arbeiterkampftag in der griechischen Hauptstadt auf. Dabei stehen für den GSEE die unmittelbare Wiedereinführung von durch die Austeritätspolitik verloren gegangenen Errungenschaften im Vordergrund. Dazu gehören die Wiedererhöhung des Mindestlohns, die erneute Etablierung des abgeschafften Tarifrechts, die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft. Die Schwesterorganisation ADEDY wendet sich darüber hinaus gegen eine ganze Reihe anderer Auswirkungen der Memorandumspolitik. ADEDY fordert unter anderem eine Streichung der griechischen Staatsschulden, die Nutzung des Reichtums des Landes im Interesse der Bevölkerung »und nicht des heimischen und fremden Kapitals« und die Annullierung sämtlicher Gläubigermemoranden.
Gemeinsam ist den beiden Dachverbänden, dass sich ihre Forderungen vor allem gegen die »Erpressungsversuche« der Gläubigerinstitutionen wenden, während die eigene Regierung aufgefordert wird, in den Verhandlungen mit diesen stark zu bleiben. von den Dachverbänden unabhängigen Beim außerparlamentarischen Linksbündnis ANTARSYA wird die Regierungspolitik kritischer gesehen. Dieses Bündnis vereint viele von den Dachverbänden unabhängige Basisgewerkschaften. In nur drei Monaten Regierungszeit habe SYRIZA die untragbare Last von 320 Milliarden Euro Staatsschulden, sowie die von den Gläubigern gesetzten Rahmenziele der Austeritätspolitik akzeptiert, konstatiert das Bündnis in seinem eigenen Aufruf zum 1. Mai. Damit verfolge auch die jetzige Regierung eine Politik im Rahmen der von den Memoranden vorgeschriebenen »reaktionären Reformen«. Wenn »das Volk nicht eingreift«, so ANTARSYA, entstünden unweigerlich neue, den Lohnabhängigen abträgliche Verhältnisse.
Die der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) zuzurechnende Gewerkschaftsfront PAME folgt schon länger und noch stärker dem absolut SYRIZA-feindlichen Kurs ihrer Mutterpartei. Getreu dem Dogma der KKE sieht die PAME den einzigen Ausweg aus der Krise im radikalen Bruch mit EU, Euro und NATO. Nicht nur die Regierung, auch die Gewerkschaftsdachverbände gelten den Kommunisten nur als Treibriemen für die »Vermittlung der volksfeindlichen Politik innerhalb der Klassen der Arbeiter und anderen Werktätigen«. Wie bereits seit Jahren ruft die PAME deswegen zu einer getrennten Kundgebung direkt am Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament auf.
Nach über 40 relativ erfolglosen Generalstreiks gegen die Austeritätspolitik in den letzten fünf Jahren ist allerdings nicht anzunehmen, dass die Kundgebungen am Freitag besonders groß ausfallen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass der in Griechenland zu den gesetzlichen Feiertagen gehörende Arbeiterkampftag in diesem Jahr auf einen Freitag fällt. Auch angesichts des schönen Wetters wird die Mehrheit das verlängerte Wochenende wahrscheinlich eher für einen Ausflug als zur Demonstration nutzen. Die größte Menschenansammlung ist daher bereits am Donnerstagabend zu erwarten: in den Staus, in denen Hunderttausende von in ihr Dorf fahrenden Hauptstädtern auf den Ausfallstraßen Athens stecken werden.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. April 2015
SYRIZA als Chance für Europa
Alexander Ulrich über Solidarität für Griechenland seitens der Gewerkschaften **
Alexander Ulrich (LINKE) ist im Bundestag u.a. Obmann im Europaausschuss.
Zu Recht weisen die Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften in ihrem »Europa neu begründen«-Aufruf darauf hin, dass es vollkommen undemokratisch sei, von der neuen griechischen Regierung eine Fortsetzung der alten Politik zu verlangen. Das Kürzungsdiktat der Troika wurde in Griechenland abgewählt. Die Griechinnen und Griechen haben sich für ein Ende der Verarmungs- und Rezessionspolitik entschieden, mit der auf Kosten der einfachen Leute vor allem die Interessen des europäischen Großkapitals bedient wurden. Sie haben sich gegen weitere Einschnitte in die Sozialsysteme, gegen weitere Lohnkürzungen, gegen Korruption und für die Souveränität ihres Landes, ihre Würde und eine Politik der sozialen Gerechtigkeit entschieden.
Europas Demokraten stehen nun in der Verantwortung, faire Verhandlungen zu ermöglichen, die der griechischen Regierung Wege eröffnen, den Auftrag ihrer Wähler zu erfüllen. Jedoch scheinen sich gegenwärtig die Hardliner um Wolfgang Schäuble und Mario Draghi durchzusetzen, die eher ein Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone hinnehmen würden, als der griechischen Regierung auch nur die kleinsten Zugeständnisse zu machen. Nicht einmal die Verwendung einiger Millionen Euro zur Bekämpfung der allerschlimmsten Auswüchse der humanitären Krise, ist für sie akzeptabel.
Diese Borniertheit ist auf den ersten Blick nicht nachvollziehbar. Schließlich betonen sämtliche EU-Spitzenpolitiker regelmäßig, dass ein Grexit für sie keine Option ist. Und gerade die deutsche Regierung müsste ein Interesse an einer Verhandlungslösung haben. Immerhin würde der Grexit auch den deutschen Fiskus mit rund 80 Milliarden Euro belasten.
Andererseits dürften sich Schäuble & Co darüber im Klaren sein, dass selbst der kleinste Riss im neoliberalen Gefüge der EU gegenwärtig zum Zusammenbruch dieses Systems führen könnte. Mehr denn je basiert der anti-soziale, neoliberale Kurs auf der großen Erzählung von der Alternativlosigkeit. Es wird nicht argumentiert, dass Sozialabbau und Lohnkürzungen gut seien. Es wird argumentiert, dass es dazu keine Alternative gebe. Wenn SYRIZA nun mit einer anti-neoliberalen Strategie, die die Bedürfnisse der Menschen vor jene des Großkapitals stellt, Erfolg hat, dürfte es schwierig werden, die Troika-Politik in Portugal, Spanien und anderswo noch durchzusetzen. Auch in Deutschland würden sich viele fragen, ob Niedriglöhne und Arbeitsflexibilisierung wirklich alternativlos sind.
Deswegen ist SYRIZA eine akute Bedrohung für Europas Neoliberale. Deswegen wollen sie einen Erfolg um jeden Preis verhindern. Und deswegen ist SYRZIA unsere Chance, Europa zu verändern. Die Gewerkschaftsvorsitzenden liegen genau richtig, wenn sie schreiben, dass der politische Erdrutsch nicht nur für Griechenland wichtig ist, sondern auch eine Chance darstellt, »die Wirtschafts- und Sozialpolitik der EU grundsätzlich zu überdenken und zu korrigieren«. Auch der 1. Mai sollte deswegen im Zeichen der internationalen Solidarität und der Unterstützung der linken Regierung Griechenlands stehen.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 30. April 2015 (Kommentar)
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