Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Arroganter Schuldner

Streit um die Zwangskredite: Deutschland sperrt sich gegen die Rückzahlung seiner Verbindlichkeiten aus der Besatzungszeit an Griechenland

Von Norman Paech *

Die Griechen nerven. Ob von links oder rechts, Hemd über oder in der Hose – zusätzlich zu ihrer Konfrontation mit Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble und Co. haben sie jetzt ein Thema wieder auf das Tapet gebracht, das die Vorgängerregierungen über Jahrzehnte hindurch den Deutschen nicht zu präsentieren wagten: die Kriegsschulden aus den Jahren der Besatzungszeit von 1941 bis 1944. Die Forderungen nach Entschädigung für die zahllosen barbarischen Massaker, die deutsche Armee und SS an der Zivilbevölkerung begangen haben, sind schon lange Thema in der griechischen Gesellschaft. Die Regierungen in Athen überließen es jedoch der Initiative einzelner Opfer und ihrer Hinterbliebenen, mit eigenen Klagen gegen die BRD vorzugehen – vergeblich, wie wir wissen. Sie selbst brauchten die Deutschen anfangs in ihrem Kampf gegen die Kommunisten im eigenen Land und später in der EU zur Unterstützung gegen die Türkei. Deshalb wollten sie die erbetene Hilfe nicht mit Reparationsforderungen gefährden. Sie vermieden es auch, die Deutschen an die Rückzahlung des Kredites zu erinnern, den sie der Besatzungsmacht 1942 einräumen mussten. Da die Forderung nicht von privater Seite eingetrieben werden konnte, geriet sie in der deutschen, aber auch weithin in der griechischen Öffentlichkeit in Vergessenheit. Umso größer ist die Überraschung und Empörung, dass sie wieder hervorgeholt und nun auf den Tisch gelegt wird.

Dabei hatte sich dieser Schritt schon länger angekündigt. Alexis Tsipras hatte schon 2012 bei einem Besuch in Kalavryta, einem der Orte furchtbarer Wehrmachtsverbrechen, angekündigt, dass er die griechischen Ansprüche stellen werde, wenn er die nächsten Wahlen gewinnt. Nun hat er sein Versprechen in seiner Regierungserklärung eingelöst. Bereits im vergangenen Jahr hatte der damalige griechische Präsident Karolos Papoulias seinem deutschen Amtskollegen Joachim Gauck bei einer gemeinsamen Pressekonferenz die Forderung nach Reparationszahlungen mit auf den Weg gegeben. Und nun hat Prokopis Pavlopoulos, von 2004 bis 2009 Innenminister in der Regierung der Nea Demokratia, auf keinen Fall ein Linker, kaum im neuen Amt des Staatschefs, nachgelegt. Auch er kann sich darauf berufen, schon im Frühjahr 2013 das Thema öffentlich angesprochen zu haben. Er beziffert die griechischen Forderungen auf 170 Milliarden Euro, die sich aus 110 Milliarden Euro für Reparationen für die Kriegsverbrechen und 60 Milliarden Euro für die Rückzahlung des Kredites einschließlich Zinsen zusammensetzen. Es schwirren viele unterschiedlicher Zahlen herum, um die es derzeit jedoch nicht gehen kann. Die Regierung Tsipras hat eine Summe von elf Milliarden Euro genannt, die sich aus einem bisher noch geheimen Gutachten der alten Regierung ergeben soll. Allein wichtig ist die Frage, ob überhaupt noch Ansprüche bestehen. Die Bundesregierung verneint dies vehement.

Tsipras und Pavlopoulos können sich auf eine Reihe unstreitiger Fakten berufen. Die griechische Zentralbank musste der deutschen Besatzungsmacht im März 1942 einen zinslosen Zwangskredit in Höhe von 568 Millionen Reichsmark gewähren. Der Vertrag wurde mit einer Verpflichtung zur Rückzahlung abgeschlossen. Bis zu ihrem Abzug im Oktober 1944 hatte die Wehrmacht bereits einen Teil der Summe beglichen, so dass am Ende des Krieges noch 476 Millionen Reichsmark offen waren. Noch am 12. April 1945 hat das Auswärtige Amt diese Summe bestätigt.

Sowenig die Bundesregierung diese Fakten abstreiten kann, so heftig wehrt sie sich gegen eine Zahlungsverpflichtung. Sie möchte den Kredit als Besatzungskosten zur Besoldung des Heeres und Verwaltung des eroberten Gebiets verstanden wissen. Dafür könnte sie auf Artikel 49 des IV. Haager Abkommens verweisen, der die Kosten der Besatzung dem besetzten Gebiet aufbürdet. Sie hat deshalb in einer Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag das Verlangen nach Rückzahlung der Zwangsanleihe als Reparationsforderung für Kriegshandlungen eingestuft. Das Kapitel Reparationsforderungen sei jedoch mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag 1990 definitiv abgeschlossen. Mit ihm sei »die endgültige Regelung der durch den Krieg entstandenen Rechtsfragen« vereinbart worden, worunter auch die Frage der Reparationen falle. Zwar sei Griechenland nicht Vertragspartei gewesen, habe aber wie alle KSZE-Staaten den Vertrag in der Charta von Paris zustimmend zur Kenntnis genommen.

Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Selbst wenn die Vertragsparteien für sich die Reparationsfrage als abgeschlossen ansahen, so konnten sie das nicht für dritte Staaten beschließen. Einen Vertrag zu Lasten Dritter gibt es auch im Völkerrecht nicht. Zudem hat Griechenland zu keinem Zeitpunkt und bei keiner Gelegenheit auf seine Forderungen aus dem Krieg verzichtet, das hat noch im Februar 2014 das Finanzministerium in Berlin bestätigt.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Februar 2015

Athen hat Anspruch auf Rückzahlungen

Die Bundesregierung ignoriert ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags, demzufolge Griechenland immer noch Ansprüche auf die Rückzahlung von Kriegsschulden erheben könnte. Dies erklärte in der vergangenen Woche die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Ulla Jelpke, zur Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion (BT-Drs. 18/451). Dabei sei die Position, Griechenland habe sich mit der deutschen Entschädigungsverweigerung längst abgefunden, »äußerst wacklig«. Jelpke: »Das einzige Argument dafür ist die Zustimmung Griechenlands zur ›Charta von Paris‹ im Jahr 1990. Diese beinhaltet eine ›Kenntnisnahme‹ des Zwei-plus-Vier-Vertrags, der als ›abschließende Regelung‹ der durch den Krieg entstandenen Rechtsfragen interpretiert wird.« Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags verweise jedoch darauf, dass sowohl der Wortlaut als auch der Zusammenhang der Charta von Paris nicht unbedingt dafür sprächen, diese Kenntnisnahme als endgültigen Verzicht eines jeden einzelnen Teilnehmers auf Reparationen auszulegen. Zudem werde die Frage der Reparationen in der Charta mit keinem Wort angesprochen, was ebenfalls Zweifel an der extensiven Auslegung der Bundesregierung begründe. Das Gutachten entstand bereits im Sommer vergangenen Jahres und ist als »vertraulich« deklariert.

Jelpke: »Der Wissenschaftliche Dienst trifft letztlich keine verbindliche Aussage darüber, ob Deutschland noch Kriegsschulden hat oder nicht. Aus Sicht der Linken gilt aber: Deutschland darf nicht einfach kaltschnäuzig auf Geld sitzen bleiben, das die Nazis gestohlen haben. Die Bundesregierung sollte endlich in einschlägige Gespräche mit Griechenland einsteigen.«




Deutsches Gerede versus griechische Opfer ohne Entschädigung

Von Norman Paech **

Auf meiner ersten Reise als Bundestagsabgeordneter im November 2005 fragte ich den damaligen Bundesaußenminister Steinmeier bei einer Zwischenlandung in Helsinki, ob es nicht Zeit sei, auf die griechische Regierung zuzugehen, um mit ihr die offenen Differenzen über die unerfüllten Ansprüche aus den Verbrechen der SS und der Wehrmacht zu beheben. Damals hatten die Opfer und Hinterbliebenen von Distomo bereits 2000 ein rechtskräftiges Urteil beim Areopag in Athen auf 28 Millionen Euro Entschädigung gegen die deutsche Regierung erwirkt. Doch diese weigerte sich zu zahlen, und die Versuche, statt dessen deutsches Vermögen in Griechenland zu belasten, scheiterten. Andere hatten in der BRD geklagt, waren aber bis in die höchsten Instanzen abgewiesen worden. Kein Zweifel bestand in all diesen Prozessen an den unfassbar grausamen Massakern, die die deutschen Besatzer an der griechischen Bevölkerung zwischen 1941 und 1944 zumeist als Vergeltungsaktionen gegen Angriffe von Partisanen begangen hatten. Steinmeier erklärte, dass die Bundesregierung in dieser Frage nichts unternehmen werde, denn würde man einer Forderung nachgeben, würde sich eine unübersehbare Flut weiterer Ansprüche anschließen. Er hatte nicht Unrecht, denn die Blutspur, die SS und Wehrmacht über den Balkan bis nach Belorussland im Antipartisanenkampf in der Zivilbevölkerung hinterließen, führt durch viele Orte, deren Bewohner noch nie eine Entschädigung gesehen haben.

Es ist ein altes völkerrechtliches Prinzip, dass die Pflicht eines Landes, die Opfer für völkerrechtliche Verstöße seiner Truppen im Krieg zu entschädigen (Artikel 3 IV der Haager Konvention von 1907), zwischen den Staaten vertraglich ausgehandelt wird. Die Regierungen der Überfallenen haben dann mit den Reparationsgeldern die Opfer nach ihren Regeln und Gesetzen zu entschädigen. Das erschwert Klagen Einzelner gegen ganze Länder, eine Folge der auch heute noch hochgehaltenen Staatenimmunität. Klagen Einzelner, die aus den Reparationen nichts erhalten haben, waren nur in den seltensten Fällen erfolgreich.

Die Bundesregierung hat die griechischen Opfer denn auch wiederholt auf die 115 Millionen DM verwiesen, die Athen 1960 aufgrund eines Wiedergutmachungsabkommens erhalten hatte. Doch von diesen Geldern haben die Opfer der zahlreichen Massaker nie etwas gesehen, denn die Mittel waren seinerzeit ausdrücklich nur für »politisch und rassisch Verfolgte« bestimmt. Die Behauptung, Athen hätte gleichzeitig zugesagt, keine weiteren individuellen Ansprüche griechischer Opfer geltend zu machen, ist nicht zu belegen und widerspricht allen späteren Erklärungen griechischer Regierungen, niemals auf Reparationen verzichtet zu haben.

Die Distomo-Kläger ließen nicht locker und versuchten, mit ihrem Urteil vom Areopag an deutsches Vermögen in Italien heranzukommen. Der römische Kassationsgerichtshof wollte bei derartigen Kriegsverbrechen den deutschen Staat nicht mit Immunität schützen und eröffnete den Griechen 2008 die Vollstreckung. Diese bewirkten sogleich die Eintragung einer Zwangshypothek in die Villa Vigoni am Comer See, ein »Deutsch-italienisches Zentrum für europäische Exzellenz«. Dieser Schritt alarmierte natürlich die deutsche Regierung, da mit dieser Wende nun auch italienischen Klägern wegen vergleichbarer Verbrechen der Wehrmacht und SS in deren Land der gerichtliche Weg für ihre Forderungen geöffnet wurde. Nicht ohne Wohlwollen der Regierung Silvio Berlusconis reichte Berlin Klage gegen Italien beim Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag ein. Am 2. Februar 2012 entschied dieser mit zwölf gegen drei Stimmen für Deutschland, das sich selbst dann auf seine Immunität berufen könne, wenn Kriegsverbrechen Gegenstand des Verfahrens sind. Ein Sieg für die Souveränität der Staaten, eine Niederlage für die Opfer.

Der Streit schien entschieden, Ruhe an der Rechtsfront eingetreten. Doch alle hatten ihre Rechnung ohne das italienische Verfassungsgericht gemacht. Dieses hob nämlich am 22. Oktober 2014 das Gesetz als verfassungswidrig auf, mit dem die italienische Regierung die Entscheidung des IGH und damit die Unantastbarkeit der staatlichen Immunität für die italienischen Gerichte verbindlich gemacht hatte. Die Opfer dürfen wieder hoffen, und die Bundesregierung wird überlegen, ob sie erneut vor den IGH zieht.

Die Griechen haben immer wieder betont, dass es ihnen nicht so sehr um das Geld gehe, sondern um die Anerkennung einer historischen Verantwortung, um ein Angebot der Unterstützung bei der Bewältigung von immer noch nicht überwundenen Schäden und Folgen, sei es mit Stipendien oder anderen Programmen der Partnerschaft. Berlin sieht das anders und bleibt hart. Wahrscheinlich muss sich auch hier erst ein politischer Wandel wie gerade in Griechenland durchsetzen, ehe aus dem präsidialen Gerede über Werte, Moral und Verantwortung endlich auch wirkliche Angebote der Menschlichkeit werden.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 26. Februar 2015


Zurück zur Griechenland-Seite

Zur Griechenland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Kriegsgeschichte-Seite

Zur Kriegsgeschichte-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage