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Tsipras: Keine Kürzungen bei Gehältern und Renten

SYRIZA-Chef: Die Menschen haben genug gelitten / Premier Griechenlands bekräftigt "rote Linien" / EU-Vizekommissionspräsident: Athen soll jetzt "Reformen vorschlagen und nicht nur Vorschläge ablehnen" *


Update 8.50 Uhr: Das politische Sekretariat von SYRIZA hat die Notwendigkeit bekräftigt, »einen neuen Weg der Entwicklung, der sozialen Gerechtigkeit und der Umverteilung des Reichtums einzuschlagen«. In einer Erklärung, die am Donnerstag verabschiedet wurde und von der nun eine deutsche Übersetzung vorliegt, bezeichnet das Führungsgremium der griechischen Linkspartei den Wählerauftrag vom 25. Januar als »bindend«, er diene in den Verhandlungen mit den internationalen Gläubigern über das laufende Kreditprogramm »als Kompass«. Die »roten Linien der Regierung sind die roten Linien der Menschen in Griechenland«, heißt es weiter. »Sie stehen für die Interessen der Arbeitenden, Selbstständigen, Pensionisten, Bauern und der Jugend.« Die Kreditgeber würden »auf der Umsetzung des Troika-Programms« beharren und »das Land im politischen und finanziellen Würgegriff« halten. Dies stehe »in direktem Widerspruch zur europäischen Demokratie und Volkssouveränität«, so SYRIZA. »Es ist zwanghaft auf eine Austeritätspolitik fixiert, die den Sozialstaat zerstört. Der oligarchische Charakter der europäischen Politik, die hinter verschlossenen Türen und abgekoppelt vom Willen der Menschen agiert, bereitet den Boden für den Aufstieg der extremen Rechten in Europa.« Man könne daher die Forderungen der Gläubiger, die als falsch erachtete Politik fortzusetzen, nicht akzeptieren. »Die Menschen in Griechenland, die seit Jahren für ein Ende der kriminellen Politik der Troika-Programme kämpfen, können sie nicht akzeptieren. Die Menschen in Europa und die progressiven Kräfte, die für ein Europa der Solidarität und der Demokratie kämpfen, können sie nicht akzeptieren.«

Update 8.10 Uhr: Unionspolitiker machen weiter Front gegen den Kurs der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland. Während der »Spiegel« Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der CDU mit den inzwischen üblichen Mahnungen zitierte, Athen müsse schneller »Reformen« vorlegen, brachte Unionsfraktionsvize Hans-Peter Friedrich abermals einen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion ins Gespräch - das Festhalten an der Austeritätspolitik und den umstrittenen Kürzungsmaßnahmen sei wichtiger als ein Verbleib Athens im Euro: »Wenn wir auf die Reformzusagen nicht bestehen, fügen wir der Währungsunion einen großen Schaden zu - dieser Schaden wäre größer, als wenn Griechenland in letzter Konsequenz austritt.« Der CSU-Europaparlamentarier Markus Ferber sagte bei Gesprächen in Athen laut dem Magazin: »Es gibt in Deutschland keine Mehrheit für ein drittes Hilfspaket.« Dieses strebt die griechische Regierung auch nicht an, SYRIZA will vielmehr einen New Deal, eine europäische Lösung, welche die Schuldentragfähigkeit der Krisenländer berücksichtigt, statt immer nur neue Kredite anzuhäufen, um alte Kredite zu bezahlen.

Update 7.25 Uhr: Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias hat die Botschaften und Konsulate des Landes angewiesen, die Einnahmen aus den laufenden Geschäften sowie überschüssige Reserven an die Zentralbank in Athen zu überweisen. Die Vertretungen sollten nur behalten, was notwendig ist, »um die Ausgaben des Büros in den kommenden drei Monaten zu decken«, heißt es in dem Ukas, über den die Zeitung »Proto Thema« berichtet. Die deutsche Polit-Illustrierte »Spiegel« machte in ihrer Onlineausgabe daraus die Schlagzeile: »Griechenland bettelt Botschaften um Bargeld an«.

Die schwierige Finanzlage Griechenlands, die durch die Blockade des Kreditprogramms durch die Gläubiger verschärft wird, hatte bereits zuvor dazu geführt, dass die SYRIZA-geführte Regierung Kommunen und staatliche Einrichtungen dazu anwies, Geldreserven an die Zentralbank zu überweisen, um die nötigsten Ausgaben - etwa für Gehälter und Pensionen - gewährleisten zu können. Das ist in Griechenland allerdings nicht unumstritten, mehrere Kommunen weigerten sich, das Geld nach Athen zu transferieren.

Laut Medienberichten konnte die Regierung in Athen die jeweils Mitte des Monats fälligen Zahlungen von Gehältern für öffentliche Angestellte bezahlen. Es geht dabei um rund 500 Millionen Euro, wie es hieß. Tsipras: Keine Kürzungen bei Gehältern und Renten

Berlin. Mehr »Reformen«, mehr Geschwindigkeit, mehr Troika-Politik - das ist der Dauerton, welcher der SYRIZA-geführten Regierung seit Ende Januar entgegenschlägt. Athen hat im Streit um die aus politischen Gründen blockierte Auszahlung aus dem laufenden Kreditprogramm bereits Zugeständnisse gemacht - nun stellte Ministerpräsident Alexis Tsipras noch einmal klar: »Ich will dem griechischen Volk versichern, dass es keine Möglichkeit gibt, dass die Regierung bei Gehältern und Renten zurückweicht. Sie haben genug gelitten.« Die internationalen Gläubiger dürften nicht erwarten, dass seine Regierung mit der Zeit nachgeben werde. Dies sei nicht der Fall und die »roten Linien« seiner Regierung würden ihre Gültigkeit behalten, sagte Tsipras am Freitag bei einer Konferenz.

Dass in den viermonatigen Verhandlungen mit den Gläubigern von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF) durchaus auch »Gemeinsamkeiten« gefunden worden seien, mache ihn »optimistisch, dass wir einer Einigung sehr nahe sind«. Tsipras betonte jedoch, eine Einigung müsse eine Umschuldung einschließen - eine Forderung, die in Deutschland und anderen Euroländer bisher schroff zurückgewiesen wird. Unter Experten ist das allerdings verbreitete Erkenntnis. Auch der Allianz-Berater Mohammed El Erian verwies unlängst darauf, dass die Gläubiger Griechenlands endlich »eine Wahrheit akzeptieren« müssten, die ihnen der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis stets klarzumachen versuche: »dass Reformen der griechischen Wirtschaft, egal wie weit diese gehen würden, erfolglos bleiben müssen, wenn nicht die strengen Haushaltsauflagen gelockert und eine weitere Schuldenentlastung gewährt wird«.

Doch aus Brüssel kamen am Freitag erneut nur mahnende Worte: Der stellvertretende EU-Kommissionspräsident Valdis Dombrovskis drängte die griechische Regierung erneut, rasch die verlangte Liste mit Reformen vorzulegen - deren erste Fassung im März vorgelegt wurde, deren Inhalt aber umstritten ist. »Wir haben viel Zeit verloren«, so Dombrovskis in der »Bild«-Zeitung. »Erst wenn Griechenland die nächste Etappe des Reformprogramms abschließt, können die letzten vereinbarten Hilfszahlungen fließen.«

Gerade bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte, bei den Renten und am Arbeitsmarkt, müsse die Regierung mehr leisten, sagte Dombrovskis - gemeint ist damit, dass Athen auf den alten und umstrittenen Kurs der Kürzungs- und Deregulierungspolitik zurückkehrt. Zwar sei auch die EU-Kommission »offen für einzelne Veränderungen bei den vereinbarten Reformen«. Voraussetzung sei jedoch, dass diese Änderungen »die öffentlichen Haushalte nicht stärker belasten und nicht einseitig ohne Absprache gehandelt wird«. Griechenland müsse jetzt »Reformen vorschlagen und nicht nur Vorschläge ablehnen«, so der Vize-Kommissionschef. Einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone lehnte Dombrovskis auch für den Fall einer Pleite ab: »Wir arbeiten nur auf der Grundlage eines Szenarios, und zwar, dass Griechenland in der Euro-Zone bleibt«, sagte Dombrovskis. »Der Euro ist unwiderruflich. Da sind die EU-Verträge klar.«

Griechenland droht die Zahlungsunfähigkeit, wenn es nicht bald eine ausstehende Tranche von 7,2 Milliarden Euro aus dem Kreditprogramm erhält. Finanzminister Yanis Varoufakis hatte dieser Tage gewarnt, dass Athen das Geld binnen zwei Wochen auszugehen droht. Im Juni muss Griechenland rund 1,5 Milliarden Euro an den IWF zurückzahlen, bevor im Juli und August bei der Europäischen Zentralbank (EZB) mehr als sechs Milliarden Euro fällig werden.

Die linksgeführte Regierung verhandelt seit Monaten mit den Euro-Ländern und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Auszahlung aus dem laufenden Kreditprogramm. Während Athen seine finanziellen Verpflichtungen stets pünktlich erfüllt hat, ist nach Griechenland seit August 2014 kein Geld der Kreditgeber mehr geflossen. Die Gläubiger verweisen auf Bedingungen, die SYRIZA nicht erfüllen wolle. Tatsächlich hat die Regierung in Athen immer mehr Zugeständnisse gemacht.

In der »Süddeutschen Zeitung« wird einer der Euro-Finanzminister, der anonym bleiben will, mit den Worten wiedergegeben: Bei vielen Kollegen sei der Eindruck entstanden, dass Varoufakis nicht für die griechische Regierung verhandele - sondern für die Linken Europas.

Derweil will der stellvertretende griechische Finanzminister Dimitris Mardas gegen die »Bild«-Zeitung wegen Ehrverletzung klagen. Wie das Finanzministerium in Athen am Freitag mitteilte, soll mit der bei der griechischen Justiz eingereichten Klage die »Wahrheit« und Mardas' »Reputation« wiederhergestellt werden. Die Zeitung hatte in ihrer Ausgabe vom 6. Mai geschrieben, Mardas solle im März 80.000 Euro nach Luxemburg transferiert haben, während die linksgeführte Regierung die Griechen davon zu überzeugen suche, ihre Ersparnisse in den heimischen Banken zu lassen.

Der Bericht war zuvor in einer griechischen Regionalzeitung aufgetaucht, ohne dass diese Mardas' Namen erwähnte. Der Stellvertreter von Finanzminister Varoufakis hatte erklärt, er habe im Hinblick auf ein Studium seiner Tochter außerhalb Griechenlands Geld ins Ausland transferiert. Allerdings sei dies nicht im März, sondern vor dem Sieg der Linksallianz Syriza bei der Parlamentswahl am 25. Januar geschehen.

* Aus: neues deutschland (online), Samstag, 16. Mai 2015


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