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Stillstand in Euro-Zirkus

Bundesbank betrachtet Lage in Griechenland als besorgniserregend. Notkredite lösen Problem nicht. Athen gegen drittes "Hilfspaket"

Von Klaus Fischer *

Die Deutsche Bundesbank ruft Alarm, Athen gibt sich gelassen: Griechenland ist aus Sicht der unabhängigen Behörde der Staatspleite nahe. Die Lage sei »weiter besorgniserregend«, betonte die Notenbank in ihrem am Montag in Frankfurt am Main veröffentlichten Monatsbericht. Weniger aufgeregte Töne kommen aus der griechischen Hauptstadt. Dort sicherte Regierungssprecher Gabriel Sakellaridis am Montag zu, man werde sowohl die Löhne und Gehälter der Staatsdiener am Monatsende überweisen, als auch den erneuten Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) nachkommen.

Was stimmt nun, und wie lange kann eine unlösbar scheinende Krise verschleppt werden, ohne dass es zum Zusammenbruch kommt? Das Dilemma ist offensichtlich: Athen braucht dringend Geld, um seine staatliche Funktionalität aufrechterhalten zu können, will sich aber den bislang üblichen Auflagen der »Geber« nicht beugen. Diese wiederum sind derzeit noch nicht bereit, neue – und alte – Gelder zu überweisen, wenn die griechische Regierung sich den »Reformauflagen« widersetzt. Selbst ein durchschnittlich begabter Politikwissenschaftler kann inzwischen ausrechnen, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Staatspleite oder eine Alimentierung des griechischen Staatshaushaltes durch totalen Schuldenerlass bzw. permanente Transferleistungen. Was das Problem »unlösbar« macht: Beiden Varianten haftet das Etikett »politisch unmöglich« an.

Eine Staatspleite ist ein Unding, Griechenland ist Mitglied im Währungsverbund – aus dem der Staat laut Bekundungen aus Brüssel nicht austreten darf. Stimmt das, müssten wohl die anderen Euro-Länder eintreten – was diese weder wollen, noch ihren Bürgern vermitteln können. Neue Kredite können die Euro-Gruppe, die Europäische Zentralbank oder gar der IWF nur gewähren, wenn die Regierung Griechenlands einknickt – was derzeit nicht der Fall ist. Deshalb ist eine »Pleite aus Versehen«, das heißt, eine plötzliche Zahlungsunfähigkeit Athens während der fortgesetzten »Verhandlungen und Gespräche«, am wahrscheinlichsten. Danach, so das Kalkül diverser EU-Politiker, kann ja immer noch »gerettet« werden.

Das ist höchst riskant. Welche Dynamik ein »Default« entwickelt, ist kaum voraussehbar. Die Finanzmarktakteure (Banken, Fonds etc.) sind deshalb seit langem höchst nervös. Hinzu kommt, dass im System noch viele Risiken verborgen sind (alte, noch nicht gebuchte Verluste, offene und versteckte faule Kredite). Auch die durch eine ausgeuferte Billiggeldstrategie der großen Notenbanken aufgeblasenen Spekulationsblasen an den Börsen dürfte beim ersten Anzeichen einer Krise platzen, ebenso wie Milliarden abgeschlossener Finanzwetten. Dieser große »Peng« ist es, den die westlichen Spitzenpolitiker am meisten fürchten. Und den Zorn des Paten USA, der ein Herausbrechen Griechenlands aus der »Verteidigungsarchitektur« der NATO streng untersagt hat.

Doch »Real life« ist nicht das, was Politiker und Milliardenjongleure wünschen. Deshalb wird weiter Insolvenzverschleppung betrieben. Athen und die griechischen Banken seien nur deshalb zahlungsfähig, weil die Geldhäuser – und damit die noch über Guthaben verfügenden Bevölkerungsschichten – mit ELA-Notkrediten (»Emergency Liquidity Assistance«) der griechischen Zentralbank versorgt werden, beklagen die deutschen Bundesbanker. Als Lösung fällt ihnen nur ein: Das Land müsse rasch durch wirtschafts- und finanzpolitische Reformen die Basis für tragfähige Staatsfinanzen schaffen.

Die ELA-Notkredite verschärfen das Problem zusätzlich, ohne dass es einen Lösungsansatz gibt. Sie sind teurer, als als die üblichen Kredite der EZB an ihre Filiale. Die »üblichen« aber dürfen nicht mehr gewährt werden – wegen der Krise. Laut Finanzkreisen wurde der ELA-Rahmen zuletzt auf 80 Milliarden Euro ausgeweitet. Damit füttert die Notenbank jene Fluchtwilligen, die ihr Geld abziehen und in Sicherheit bringen wollen – es sind Mittelabflüsse in Milliardenhöhe. Außerdem kaufen die Geschäftsbanken mit den ELA-Krediten immer wieder neue kurzfristige Staatstitel (T-Bills) nach, wenn die Vorgängerpapiere fällig werden. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann moniert diese Manipulationen sanft: »Dass Banken ohne Marktzugang Kredite gewährt werden, die damit Anleihen des eigenen Staates finanzieren, der selbst ohne Marktzugang ist, finde ich mit Blick auf das Verbot der monetären Staatsfinanzierung nicht in Ordnung.«

Und die deutschen Exwährungshüter legen nach: Aus ihrer Sicht war früher – also während der Vorgängerregierungen – alles schon besser: »Die Aussichten (für Griechenland) hatten sich bis Ende 2014 merklich aufgehellt, denn nach einer harten Anpassungsphase hatte das Wachstum wieder Fuß gefasst«, schrieben die Bundesbanker und verwiesen auf statistische Effekte des Sozialkahlschlages. Doch durch den abrupten Kurswechsel unter Tsipras sei der Reform- und Stabilisierungskurs unterbrochen und teilweise umgekehrt worden.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. Mai 2015


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