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Sparsame und überschattete Präsidentschaft

Der EU-Ratsvorsitz ist im krisengebeutelten Griechenland nur Nebensache

Von Anke Stefan, Athen *

Die griechische Regierung erhofft sich im neuen Jahr eine »Wiederauferstehung« des Landes. Erreicht werden soll dies durch eine Wende in der Wirtschaftspolitik des europäischen Staatenbündnisses.

Auch kurz nach der Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Griechenland ist der Mittelmeerstaat nicht so recht überzeugt davon, dass er diese Aufgabe wirklich annehmen sollte. »Vielleicht wäre es besser, wir würden ›passen‹«, hatte noch Anfang Dezember der Bürgermeister der zweitgrößten Stadt des Landes, Thessaloniki, Giannis Boutaris, vorgeschlagen. In den Medien machte man sich derweil Sorgen, das Land könnte vielleicht auch baulich nicht rechtzeitig fertig sein. Nur wenige Wochen vor der Amtsübernahme, die in einem Treffen der EU-Kommissionsmitglieder mit dem griechischen Ministerrat am 8. Januar in Athen eingeleitet werden soll, seien die erforderlichen Arbeiten an Räumlichkeiten in der neoklassischen Villa Zappeion im Zentrum der Hauptstadt nicht einmal begonnen worden, beklagte das Nachrichtenportal »in.gr«.

Treffen der diversen Ministerrunden sind die etablierteste Form der Arbeitsweise des Rates der Europäischen Union. Zur Einsparung von Kosten hat die griechische Regierung allerdings bereits angekündigt, auf die damit traditionell gern verbundenen Reisen zu den Sehenswürdigkeiten des dem Rat vorsitzenden Landes zu verzichten.

In der Bevölkerung selbst hat man ganz andere Sorgen als die eventuellen Nachteile und Vorteile Griechenlands aus der Übernahme des EU-Vorsitzes in einem derart kritischen Jahr. Nach Berichten der konservativen griechischen Tageszeitung »Kathimerini« ist das Land mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft in vielen Bereichen auf den Stand der Jahre davor zurückgefallen. So seien allein im Handel in den Jahren seit Beginn der Krise 2008 etwa 175 000 Stellen abgebaut worden. 130 000 meist kleinere und mittlere Unternehmen seien im gleichen Zeitraum in Konkurs gegangen, dem ständen seit 2009 nur 45 000 Neugründungen gegenüber. Was dies für die ehemaligen Beschäftigten bedeutet, zeigt wohl am drastischsten die Einschätzung des Vorsitzenden des griechischen Instituts für Kleinunternehmen, Dionysis Gravaris. Ihm zufolge waren ein Drittel der Athener Obdachlosen vorher als Verkäufer oder Selbstständige im Handel tätig.

Mit 27,4 Prozent erreichte die Arbeitslosigkeit im September einen neuen Höchststand (letzte bisher bekannte Zahl). Gleichzeitig sind mehr als drei der etwa elf Millionen Griechen im Land nicht mehr krankenversichert. Entweder, weil sie als Langzeitarbeitslose aus der Kasse herausgefallen sind oder weil sie als Selbstständige ihre Beiträge nicht mehr zahlen können.

Ein Drittel der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, die für Singlehaushalte bei 5700 Euro, im Vierpersonen-Haushalt bei knapp 12 000 Euro Jahreseinkommen liegt. Etwa drei Viertel von ihnen, aber auch knapp ein Drittel der nicht unmittelbar armutsgefährdeten Menschen in Griechenland sind nach Erhebungen der landeseigenen Statistikbehörde außerstande, unvorhergesehene Ausgaben von wenig mehr als 500 Euro zu stemmen. Etwa die Hälfte der Armen schafft auch die Bedienung von Rechnungen für überlebenswichtige Güter wie Strom oder Wasser nicht mehr.

So ersetzen die Menschen zunehmend auch die unbezahlbar gewordene Ölheizung durch fehlerhafte Eigenbauten oder auch einfach nur mit einem offenen Kohlegrill. Derlei Notbehelfe haben bereits zu Beginn des Winters zum ersten Todesfall geführt. Nachdem ab Mitte Dezember darüber hinaus mehrere Menschen, die mangels Strom auf Kerzenbeleuchtung zurückgegriffen hatten, nur durch die Feuerwehr bei Verlust ihrer restlichen Habe aus Wohnungsbränden gerettet werden konnten, hat die Regierung inzwischen angewiesen, nachweisbar Bedürftige wieder mit Strom zu versorgen.

Trotz der objektiven drastischen Verelendung ist kein Umdenken in der Politik – weder bei den Gläubigern noch bei der griechischen Regierung – zu verspüren. Stattdessen wurde versucht, Optimismus zu verbreiten. Der griechische Premierminister Antonis Samaras stellte in seiner Neujahrsansprache in Aussicht , dass das Euro-Sorgenkind nach dem Auslaufen der internationalen Rettungsprogramme ab 2015 ohne neuen Hilfen auskommen würde. Für das kommende Jahr kündigte Finanzminister Giannis Stournaras sogar ein marginales Wirtschaftswachstum an. Dem von »Kathimerini« zitierten Professor an der Panteion Universität von Athen, Apostolos Dedousopoulos, zufolge braucht das Land dagegen mindestens 20 Jahre, um sich von den Folgen der Krise zu erholen.

Ob die EU-Präsidentschaft Griechenlands zu Erleichterungen der Lage im Lande führen wird, darf angesichts der bisherigen Entwicklungen, insbesondere im Verhältnis zwischen Schuldner Griechenland und den wirtschaftlich starken Gläubigerstaaten in der EU getrost bezweifelt werden. Als Hoffnungsträgerin bietet sich eher eine weitere griechische Kandidatur in der EU-Führung an: Auf dem Parteitag der Europäischen Linken (EL) wurde der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras mit großer Mehrheit zum Spitzenkandidaten der EL für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten gekürt. Jener wird nach der Europawahl im Mai vom neu zusammengesetzten Europäischen Parlament bestimmt.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 2. Januar 2014


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