Im Machtkampf mit Berlin
Erst Schuldenschnitt für Griechenland, dann Euro-Zonen-Regierung: Wie Frankreich vergeblich versucht, das deutsche Austeritätsdiktat zu kontern
Von Jörg Kronauer *
Wenn's blutet, dann muss eben ein Pflaster her. Das mag sich Julie Hamann gedacht haben, eine Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), als in der französischen Öffentlichkeit nach dem Euro-Gruppen-Gipfel am 12. und 13. Juli massiver Unmut über die deutschen Griechenland-Diktate hochkochte. »In Wahrheit« hätten die Brüsseler Verhandlungen »nur gezeigt, wie eng die Zusammenarbeit« der Regierungen Frankreichs und Deutschlands sei, ließ Hamann sich Ende letzter Woche auf EurActiv, einem vielgelesenen Internetportal zur EU-Politik, zitieren. Sie berief sich dabei auf einen anonymen »hohen Regierungsmitarbeiter« in Berlin, der ihr bestätigt habe: »Seit Anfang des Jahres sind Merkel und Hollande ein sehr gut eingespieltes Team.« Na also. Kein Machtkampf zwischen der Bundeskanzlerin und dem französischen Präsidenten, kein Eklat? Ach was. Ein paar nette Worte auf die Wunde kleben, drüberstreicheln, leicht auf die Schulter klopfen – geht schon wieder, oder?
Selten ist der Machtkampf zwischen Berlin und Paris so offen zutage getreten wie in den Auseinandersetzungen um die Lösung der Griechenland-Krise. »Deutschland gegen Frankreich«, hatte der Tagesspiegel am 12. Juli online getitelt – und es ging in dem Text, der darunter zu lesen war, nicht etwa um Fußball, sondern um den Streit auf dem Euro-Gruppen-Gipfel. Schon in den Tagen zuvor hatte es zwischen Berlin und Paris so richtig gekracht, als Präsident François Hollande den Athener Sparvorschlag vom 9. Juli gutgeheißen, die Bundesregierung ihn jedoch kühl zurückgewiesen und damit das französische Staatsoberhaupt öffentlich brüskiert hatte. Unmittelbar vor dem Gipfeltreffen hatte Hollande dann erklärt, ohne einen Schuldenschnitt für Griechenland gehe gar nichts; erneut stellte Merkel ihn bloß: Sie verweigerte den Schuldenschnitt, setzte dafür aber Maßnahmen gegen Athen durch, die weitaus brutaler waren als das, was die griechische Linksregierung zuvor vorgeschlagen und Paris akzeptiert hatten.
Unbotmäßigkeit jenseits des Rheins
Es wird unruhig in Frankreich, und das in ganz unterschiedlichen Milieus. Teile der Eliten begehren nicht nur gegen die deutschen Spardiktate, sondern auch gegen die Berliner Dominanz über die EU-Außenpolitik auf. In der vergangenen Woche bereisten zehn französische Parlamentarier die Krim, darunter acht Mitglieder der Sarkozy-Partei »Les Républicains«. Die Krim? Was für ein Verstoß gegen das Berliner Dekret, die Übernahme der Halbinsel durch Russland nicht anzuerkennen! Die Abgeordneten seien »als Protegés des Putin-Regimes« unterwegs gewesen, schäumte die FAZ, um konsterniert festzustellen, sie könnten bei ihrem Besuch »auf die Rückendeckung des Parteivorsitzenden Nicolas Sarkozy zählen«. »Die Putin-Apologeten um Sarkozy bilden inzwischen eine Mehrheit in der Parteiführung«, empörte sich die FAZ-Frankreich-Korrespondentin Michaela Wiegel und fuhr stinksauer fort: »Im Parteihaus der Republikaner in der Rue de Vaugirard in Paris gehen seit mehreren Wochen Emissäre Putins ein und aus.« Welch eine Unbotmäßigkeit!
Aus Frankreich könnten noch ganz andere Schwierigkeiten auf Berlin zukommen. Das zeigte sich etwa bei der jüngsten Deregulierung des Arbeitsmarkts. Die französische Regierung habe die diesbezüglich »aus Brüssel angemahnten Reformen« nur verabschieden können, indem sie »einen Artikel der Verfassung bemühte, der es ihr ermöglicht hat, auf eine Parlamentsabstimmung zu verzichten«, rief Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) kürzlich in Erinnerung. Ob das auf Dauer gutgeht? Schon bahnt sich neuer Ärger an. Am Sonntag abend begannen französische Landwirte, mehrere Übergänge an der deutsch-französischen Grenze zu blockieren, um gegen fallende Agrarpreise zu protestieren, für die sie insbesondere die Bundesrepublik verantwortlich machen. Im Land der Spardiktate drücke man auch die Erlöse für landwirtschaftliche Produkte, indem man Arbeitskräfte aus Osteuropa für Hungerlöhne schuften lasse, kritisierten die französischen Bauern. Wenngleich die Ursachen in diesem Fall vermutlich etwas komplexer sind: Die Erkenntnis, dass der Austeritätsdruck heute vor allem von der anderen Rheinseite kommt, setzt sich in Frankreich fest. (jk)
Hollande hat nach dem Gipfel versucht, seinen Widerstand gegen den deutschen Durchmarsch nicht aufzugeben. Gleich am 14. Juli forderte er, eine Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone zu etablieren, und am 19. Juli verlieh er diesem Verlangen in einem Namensartikel im Journal du Dimanche Nachdruck – unter Bezug auf Jacques Delors, der tags drauf seinen 90. Geburtstag feierte. Tatsächlich hatte schon Delors, der als Präsident der EG-Kommission (1985 bis 1995) mit der Konzeption des Euro befasst war, zu Beginn der 1990er Jahre – ganz im Sinne Frankreichs – eine EU-Wirtschaftsregierung gefordert, um die erheblichen ökonomischen Divergenzen in der Euro-Zone politisch ausgleichen zu können. Dass das vonnöten ist, um ein Auseinanderbrechen der Währung zu verhindern, davon ist Paris bis heute überzeugt. Anders die Bundesregierung: Sie setzte sich bereits in den 1990er Jahren gegen Delors und Paris durch und sorgte dafür, dass der Euro mit dem »Stabilitäts- und Wachstumspakt« strikter Haushaltsdisziplin statt politischer Gestaltung unterworfen wurde. »Der Euro spricht deutsch«, triumphierte 1998 Finanzminister Theo Waigel.
Hollande ist nicht der erste französische Präsident, der Delors' Idee von der Wirtschaftsregierung aus der Schublade holt, um den Durchmarsch der Deutschen mit ihren Austeritätsdiktaten zu bremsen. Schon Nicolas Sarkozy hatte das 2010 versucht; Kanzlerin Merkel hatte ihn allerdings kühl auflaufen lassen. Hollande legt nun nach. Die Euro-Zonen-Regierung, wie er sie nennt, solle nicht nur über ein eigenes Budget verfügen, sondern auch von einem eigenen Parlament demokratisch kontrolliert werden, schrieb er im Journal du Dimanche. Nach Lage der Dinge hätten in einem Euro-Zonen-Parlament die südlichen Euro-Staaten, die gegen die Verschuldung anzukämpfen haben, gegenüber den bevölkerungsschwächeren nördlichen Euro-Staaten, zu denen etwa die baltischen Länder gehören, eine Chance auf eine Mehrheit gegen die deutsche Austerität. Prompt gab es eine Absage aus Berlin. »Man will Europa über Technokraten zusammenzwingen«, schimpfte Hans-Peter Friedrich (CSU), stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag: »Das geht schief.« Und er merkte noch an, »ein Budget für die Euro-Zone« bedeute »eine Entmachtung der nationalen Haushaltsverantwortlichen«; das komme für die Bundesrepublik keinesfalls in Frage. In der Tat: Eine solche Entmachtung ist in Berlin nur gewollt, wenn sie Griechenland, Portugal oder andere Staaten, nicht aber Deutschland trifft.
Von dem Plan mit der Euro-Zonen-Regierung wird man noch hören. Paris hält an ihm wie an einem letzten Strohhalm fest. Denn, da hat die DGAP-Expertin Hamann Recht, Griechenland ist nicht das letzte Opfer des deutschen Austeritätsdiktats: »Die Probleme mit den viel größeren Volkswirtschaften Frankreich und Italien stehen der Euro-Zone erst noch bevor.« Also hat Hollande, der gewiss nicht enden will wie Tsipras, mit aller Macht durchgesetzt, dass nun auf EU-Ebene über sein neues Projekt verhandelt wird. Der Spiegel berichtet nun, selbst Finanzminister Wolfgang Schäuble könne der Idee, ein Euro-Zonen-Budget und einen Euro-Finanzminister einzuführen, plötzlich etwas abgewinnen. Wie das? Setzt Frankreich sich im Machtkampf um die Währung auf einmal gegen Deutschland durch?
Wohl kaum. Am Montag hat Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sich in der Süddeutschen Zeitung formal Frankreichs Forderung nach einer Euro-Zonen-Regierung angeschlossen. Es müsse einen Euro-Finanzminister geben, »der bei Regelverstößen auf nationale Budgets durchgreifen kann«, schrieb er. Damit wäre der neue Minister, da mit »Regelverstößen« ja zu hohe Verschuldung und zu hohes Haushaltsdefizit gemeint sind, nur ein neues Instrument für die deutsche Austeritätspolitik. Von der französischen Idee, die Währungszone politisch zu gestalten, bliebe nichts. Und das Euro-Zonen-Budget? Mit ihm solle der Euro-Finanzminister »Regelverletzungen sanktionieren, indem er Zahlungen zurückhält«, schreibt Fratzscher – und bleibt damit ebenfalls in der Logik der deutschen Spardiktate. Da steht Paris wohl die komplette Aushöhlung seiner Pläne und die nächste Niederlage gegen Berlin bevor.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Juli 2015
"Brief an einen deutschen Freund"
Von Jörg Kronauer **
Bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) wird diesmal Klartext gesprochen. Frankreichs Präsident Hollande hat beim Euro-Gruppen-Gipfel am 12. und 13. Juli »die deutsche Seite ungewohnt scharf kritisiert«, stellt Ronja Kempin, Senior Fellow in der SWP-Forschungsgruppe »EU/Europa«, am 14. Juli pikiert fest. Sogar nach dem Ende des Gipfeltreffens habe Hollande sich »noch sehr deutlich gegen die Verhandlungsführung Deutschlands positioniert«. Paris müsse sich insgesamt »den Vorwurf gefallen lassen, Deutschland nicht entschieden zur Seite gesprungen zu sein, als sich die Kritik an der deutschen Verhandlungsführung mehrte«. So geht's nicht weiter. Kempin betreibt Ursachenforschung. »Hollande scheint sich im Augenblick von der Rolle des deutschen Juniorpartners emanzipieren zu wollen«, erläutert sie. »Nun tritt er die Flucht nach vorn an.« Das ist vielleicht verständlich, aber nicht tolerabel. »Frankreich muss den Kurs des nationalen Profilierens auf Kosten seines engsten Partners möglichst bald wieder verlassen«, fordert die EU-Expertin. Nun, vielleicht kann man ihm ja Hilfestellung leisten: »Damit ihm das gelingt, sollte Deutschland sehr deutlich machen, dass Frankreich nicht nur (!) der Juniorpartner ist«, äußert sie. Ein wenig Schulterklopfen, ein wenig zustimmendes Nicken – vielleicht geht's dann.
Berlins Umgang mit den EU-»Partnern«, wie man so nett sagt, stößt in Frankreich, das vom deutschen Establishment immer abschätziger behandelt wird, zunehmend auf Unmut. Am 16. Juli hat Jean-Christophe Cambadélis, der Vorsitzende des Parti Socialiste (PS), einen »Offenen Brief« publiziert, in dem er konstatiert, die »Dickköpfigkeit«, ja »Unerbittlichkeit«, die Berlin gegenüber Athen an den Tag lege, sorge EU-weit für Irritationen. Cambadélis erinnert daran, dass Frankreich die Bundesrepublik von ihrer Gründung an unterstützt habe – ungeachtet der Verbrechen des deutschen Faschismus, unter denen auch Frankreich furchtbar litt. »Frankreich und Europa haben es Deutschland ermöglicht, die Macht zu werden, die es heute ist«, »eine große Macht«, schreibt der PS-Chef. Er warnt: »Wenn Deutschland der Solidarität auf dem Kontinent den Rücken kehrt, riskiert es, auf Unverständnis zu stoßen und Europa faktisch vor eine verhängnisvolle Alternative zu stellen, vor ein schlimmes Referendum – für oder gegen Deutschland.« Cambadélis' Warnung ist umso deutlicher, als er sie unter dem Titel »Lettre à un ami allemand«, »Brief an einen deutschen Freund«, veröffentlicht hat. »Lettres à un ami allemand« lautete der Titel von vier Texten, die Albert Camus einst schrieb – zwischen 1943 und Anfang 1945 in der französischen Résistance.
** Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Juli 2015
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