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Keinen Schritt zurück

70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus: Griechischer Widerstandskämpfer Manolis Glezos fordert von Deutschland Reparationen für sein Land

Von Roland Zschächner *

Zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus ist der griechische Antifaschist Manolis Glezos zu Besuch in Deutschland. Die deutsche Besatzung hat Glezos, der im Widerstand aktiv war, am eigenen Leib erfahren. In der Nacht zum 31. Mai 1941 riss er mit einem Freund die Hakenkreuzfahne von der Athener Akropolis – seitdem ist er ein Volksheld. Heute sitzt er für Syriza als Abgeordneter im EU-Parlament.

Auf Einladung der Linkspartei sprach Glezos am Mittwoch in Berlin, wobei er einen Friedensvertrag zwischen Deutschland und Griechenland forderte. So könnte der Streit über die ausstehenden deutschen Reparationen an sein Land gelöst und das Recht endlich durchgesetzt werden. Zur Zeit befinden sich die beiden Staaten in einer paradoxen Situation, »einer Phase des Waffenstillstands«. Athen hatte den Zwei-plus-vier-Vertrag im Jahr 1990, der von Berlin als Friedensvertrag betrachtet wird, nicht mitunterzeichnet – musste aber das Ergebnis akzeptieren.

Auch 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg hat Deutschland die Reparationen, die Griechenland aus dem Zweiten Weltkrieg zustehen, nicht geleistet. Auf der Pariser Friedenskonferenz 1946 wurden Athen umgerechnet 108 Milliarden Euro an Wiedergutmachung zugesprochen. Außerdem schuldet die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs dem Balkanland 54 Milliarden Euro an nicht zurückgezahlten Zwangskrediten. »Das sind festgelegte Zahlen, daran kann niemand drehen«, betonte Glezos. Ebenso geht es um die Rückgabe von archäologischen Kulturgütern, die die deutschen Besatzer gestohlen haben. Neben den Ansprüchen der öffentlichen Hand sind auch Privatpersonen bisher nicht entschädigt worden, deren Angehörigen von Wehrmacht und SS bei unzähligen Massakern ermordet wurden.

»Warum weigert sich Deutschland, seinen Verpflichtungen nachzukommen«, fragte Glezos. Bulgarien und Italien hätten die von ihnen verlangten Reparationen bereits beglichen. Doch die Bundesrepublik missachte das Recht und stehle sich aus der Verantwortung.

Seitdem die Debatte über die offenen Reparationen in der deutschen Öffentlichkeit angekommen ist, handele es sich nicht mehr um eine Auseinandersetzung zwischen Berlin und Athen. Nun ist die deutschen Bevölkerung gefragt, Druck auf ihre Regierung auszuüben, unterstrich Glezos. Gleichzeitig widersprach er einer internationalen Klage gegen Deutschland. »Ich mag keine Gerichtshöfe«, sagte er: »Ich saß bereits 28mal auf der Anklagebank und wurde dreimal zum Tode verurteilt.«

In diesem Jahr wird Glezos 93 Jahre alt, und noch immer kämpft er für eine bessere Welt. Zwar wurde 1945 der Nazismus als Staatsform zerschlagen, doch sind viele Länder immer noch nicht unabhängig. So auch Griechenland, das durch Schulden geknebelt ist. Bereits im Februar hatte Glezos einen offenen Brief veröffentlicht, in dem er die Politik von Syriza kritisierte. Er fordert darin: »nicht ein Schritt zurück« und »keine Kompromisse« mit der Troika.

»Wir haben keine Kredite nötig«, erklärte Glezos. Die Forderungen nach Rückzahlung werde er nicht akzeptieren. Schulden seien letztlich »Masturbation und Wahnsinn«, das gilt auch für die gestern von Athen gezahlten 178 Millionen Euro Zinsen. Schließlich sind es die Arbeiter, die Werte und Güter schaffen, betonte Glezos. Deswegen bekämen die Kapitalisten bei Streiks auch »Schüttelfrost«, denn Geld ist letztlich nicht produktiv.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Mai 2015


Athen muss blechen

Griechenland mobilisiert letzte Reserven für Zinszahlungen an IWF. Wegen der ausstehenden Kredite wird weiter gefeilscht

Von Dieter Schubert **


Der Begriff »Geldgeber« für die »Troika« ist irreführend: Das völlig klamme Griechenland hat inzwischen die letzten liquiden Reserven zusammengekratzt und am Mittwoch 200 Millionen US-Dollar (178 Millionen Euro) an den IWF überwiesen. Dabei steht das Land seit Monaten vor der Pleite. Der Internationale Währungsfonds gehört neben der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) zu dem bislang als »Partner« Griechenlands aufgetretenen Dreiergespann, das sich öffentlich gern als »Retter« aufführt. Eine für das Krisenland in Aussicht gestellte Kredittranche von gut sieben Milliarden Euro – sie stammt noch aus dem »Hilfsprogramm« von 2012 – hält die Troika indes weiterhin zurück. Die bislang von den Hellenen vorgelegten »Reformplänen« seien nicht ausreichend, so die bisher am häufigsten genannte Begründung.

Die griechische Regierung freute sich indes erst einmal darüber, dass der »default«, also der Zahlungsausfall, vermieden werden konnte. »Es ist vollbracht, das Geld ist auf dem Weg«, sagte ein Sprecher am Mittwoch in Athen. Doch damit nicht genug: Eine weitere finanzielle Hürde muss das Land am kommenden Dienstag nehmen. Dann sind 750 Millionen Euro für den IWF fällig.

Auf die »Retter« wirft das ein bezeichnendes Licht. Statt das vor dem Staatsbankrott stehende Land durch einen Zahlungsaufschub zu stabilisieren, muss dessen Regierung gerade dann gewaltige Zinszahlungen leisten, wenn überhaupt kein Geld mehr in der zentralen Kasse ist. Um diese zu füllen, hatte das von der Linkspartei Syriza geführte Kabinett zuletzt andere staatliche und halbstaatliche Quellen angezapft, um liquide zu bleiben. Teilweise stand man vor der Frage, die Renten auszuzahlen oder die Zinsen zu begleichen. Diese Notlage hat den IWF nicht angefochten, er verwies auf seine bürokratischen Grundsätze.

Hilfe ist für den in Washington residierenden Währungsfonds sowohl Geschäft als auch Hauptinstrument zur politischen Einflussnahme. Vor allem dessen rigorose Auflagen an die Schuldnerländer – die vor allem auf Kürzungen bzw. Kahlschlag im Sozialbereich hinauslaufen – haben den IWF zu einer der berüchtigtesten Organisationen weltweit gemacht.

Auch im Falle Griechenland scheint inzwischen der Geduldsfaden bei den Fondschefs gerissen. Das hat auch die schwelenden Differenzen zwischen IWF und den europäischen Troika-Partnern angefachte. Zwischen Europäischer Union und IWF gebe es »ernsthafte Differenzen und Widersprüche«, hatte die Regierung in Athen am Dienstag erklärt. Eine Einigung auf die Auszahlung der nächsten Kredittranche in den kommenden Tagen halten beide Seiten deshalb für unwahrscheinlich. Dieser Zwist behindere die Verhandlungen, monierte Athen, deren Stocken sei daher »ausschließliche Verantwortung« der Troika. Medienberichten zufolge besteht der IWF darauf, nur Länder mit tragbaren Schulden zu unterstützen.

Der Fonds erklärte am Dienstag in Washington, Griechenland brauche möglicherweise einen Schuldenschnitt zur Haushaltsstabilisierung. Zugleich wies man Medienberichte zurück, wonach er Griechenlands Gläubiger zu einem Schuldenschnitt habe drängen wollen. Mehrere Medien hatten berichtet, der für Europa zuständige IWF-Direktor Poul Thomsen habe bei dem EU-Treffen in Riga gesagt, ein Schuldenschnitt sei die einzige Möglichkeit, die Haushaltsvorgaben zu erreichen.

Am kommenden Montag wollen die Euro-Finanzminister erneut beraten. Einem Zeitungsbericht zufolge schlägt die griechische Regierung neue Maßnahmen vor, darunter eine Sondersteuer für die 500 reichsten Familien des Landes. Die Regierung in Athen ist wegen ihrer leeren Kassen dringend auf weitere Kredite der Geldgeber angewiesen, will sich aber weiterhin den Auflagen nicht unterwerfen. Konkret geht es um 7,2 Milliarden Euro aus dem Ende Juni endenden alten Hilfsprogramm. Zugleich muss die Regierung weitere Schulden bedienen.

Springers Bild hatte berichtete, um weiteres Geld aufzutreiben schlage Athen vor, besonders reiche Familien mit einer Sondersteuer zu belegen. Dabei berief sich das Blatt auf eine »Reformliste« aus dem griechischen Finanzministerium, die bei den Verhandlungen in Brüssel eingereicht worden sei. Zudem solle die Zusatzsteuer angehoben werden, die Beschäftigte mit mehr als 30.000 Euro Jahreseinkommen zahlen müssten. Ferner sei eine Anhebung der Luxussteuer etwa auf teure Autos sowie die Einführung einer Steuer auf Luxusreisen geplant. Um mehr Ehrlichkeit zu erreichen, sollen Bild zufolge sämtliche Zahlungen oberhalb von 70 Euro nur noch mit EC-Karte möglich und dadurch nachweisbar sein. Zudem wolle die Regierung die drei Mehrwertsteuersätze zu einem einheitlichen Tarif bündeln.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 7. Mai 2015


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