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Griechenland: Wahlen immer wahrscheinlicher

Regierungschef Papandreou verliert angesichts der Proteste an Rückhalt in der eigenen Partei

Von Anke Stefan, Athen *

Kaum angekündigt, schon verschoben: Am Donnerstagmorgen (16. Juni) kursierte in griechischen Medien bereits die Nachricht, die am Vorabend angekündigte Regierungsumbildung werde um einen Tag verschoben. Gleichzeitig erklärten zwei weitere Abgeordnete der Regierungspartei PASOK ihren Rücktritt – die Nummern sechs und sieben.

Letzte Meldung:

Verteidigungsminister wird Finanzminister - Papandreou bildet Kabinett um

Mit einer Kabinettsumbildung hat der griechische Regierungschef Giorgos Papandreou im Ringen um eine Abwendung der Staatspleite einen Befreiungsschlag versucht. Zum neuen Finanzminister ernannte er am 17. Juni mit dem bisherigen Chef des Verteidigungsressorts, Evangelos Venizelos, einen langjährigen innerparteilichen Rivalen. Den bisherigen Amtsinhaber Giorgos Papakonstantinou degradierte er zum Umweltminister.

Die Neuverteilung der Posten in seiner Regierung nutzte Papandreou, um die Wogen innerhalb seiner Partei zu glätten und auf seine Kritiker zuzugehen. Venizelos hatte 2007 vergeblich versucht, Papandreou die Führung der Sozialisten streitig zu machen. Der 54-Jährige, der nun unbeliebte Sparmaßnahmen durchsetzen muss, gilt als Politprofi. Er hatte in der Vergangenheit bereits zahlreiche Ministerämter inne - nur noch nicht das des Finanzministers.

Sein Amtsvorgänger Papakonstantinou hatte zwar bei den internationalen Institutionen in den Verhandlungen um Finanzhilfen Ansehen genossen, war aber beim Volk unbeliebt. Auch führende Mitglieder seiner eigenen Partei machen ihn dafür verantwortlich, dass die griechische Wirtschaft nach gut eineinhalb Jahre langen Anstrengungen immer noch nicht wieder auf die Beine gekommen ist.

Papandreou besetzte beim Stühlerücken aber auch zahlreiche Posten mit Vertrauten. Neuer Außenminister wurde der 49-jährige Stavros Lambrinidis, der dem Regierungschef seit langem nahesteht. Seinem Parteifreund Panos Beglitis, der bisher Vize-Verteidigungsminister war, vertraute Papandreou die Federführung dieses Ressorts an. Auch der bisherige Vize im Arbeitsministerium, Giorgos Koutroumanis, rückte an die Spitze seines Ressorts.
Nachrichtenagenturen, 17.06.2011



Der Mittwoch (15. Juni) war in Athen denkbar dramatisch verlaufen. Gegen Mittag hatten die Journalisten ihre Beteiligung am Generalstreik abgebrochen, da nach einem Treffen des Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou mit Staatspräsident Karolos Papoulias »wichtige Entwicklungen« zu erwarten waren. Stunden vor einer offiziellen Erklärung sickerte durch, der Regierungschef habe Oppositionsführer Antonis Samaras seinen Rücktritt angeboten, um den Weg für eine Koalitionsregierung der »nationalen Einheit« frei zu machen. Papandreou schwebte eine langfristige Koalition mit Samaras' Nea Dimokratia (ND) zur gemeinsamen Bewältigung der Schuldenkrise vor – im Rahmen der mit den Gläubigern in EU und Internationalem Währungsfonds getroffenen Vereinbarungen über Sparmaßnahmen und Kredite. Samaras dagegen machte eine Zusammenarbeit von der Neuverhandlung dieser Abkommen abhängig und wollte eine Einheitsregierung nur als Übergangslösung bis zu Neuwahlen akzeptieren. Als Papandreou gegen 18 Uhr vor die Presse trat, war das Projekt der großen Koalition also schon gescheitert.

Stattdessen kündigte der Ministerpräsident eine Umbildung der Regierung und eine Vertrauensabstimmung im Parlament an, um sich die Zustimmung für eine Fortsetzung der Regierungspolitik zu holen. Doch kann sich Papandreou dieser Zustimmung nicht sicher sein – nicht bei den Parlamentariern und schon gar nicht bei der Mehrheit der griechischen Bevölkerung, die gerade erst mit dem dritten Generalstreik in diesem Jahr – begleitet von teilweise gewalttätigen Demonstrationen – ihren Widerstand gegen diese Politik zum Ausdruck gebracht hat.

Der Rücktritt der PASOK-Abgeordneten wird zwar durch Nachrücker aus den eigenen Reihen ausgeglichen, so dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zunächst nicht ändern. Doch niemand kann garantieren, dass nicht noch mehr Genossen ihrem Parteichef das Vertrauen verweigern. 35 Abgeordnete forderten am Donnerstag eine Krisensitzung der PASOK, die nur noch über eine knappe Mehrheit von fünf Mandaten verfügt. Verliert sie die, müsste sich Papandreou entweder von Abgeordneten der kleineren rechten Oppositionsparteien stützen lassen oder Neuwahlen ausrufen. Eine Unterstützung durch die rechtspopulistische Partei LAOS wäre für den Ministerpräsidenten aber sicherlich mit weiteren politischen Kosten verbunden. Weniger problematisch wäre eine Stützung durch die Demokratische Allianz, die von ehemaligen ND-Abgeordneten gegründet wurde. Deren Vorsitzende Dora Bakogianni hatte bereits den ersten Sparmaßnahmen zugestimmt. Die Linken – die Kommunistische Partei (KKE) und das Linksbündnis SYRIZA – haben dagegen jede Unterstützung für die »volksfeindliche Politik« der Regierung abgelehnt und fordern sofortige Neuwahlen.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2011


Athener Regierung wankt

Von Heike Schrader, Athen **

Die Regierung von Giorgos Papandreou wankt: Gleich zwei PASOK-Abgeordnete verkündeten am Donnerstag ihren Rücktritt. »Die Zukunft unserer Kinder sieht schwarz aus, und die Führer der beiden großen Parteien setzen ihren Populismus fort«, erklärte Ektor Nassiakos in seiner letzten Rede im Parlament. Die Führungen von ­PASOK und Nea Dimokratia hätten sich »den Ansprüchen nicht gewachsen gezeigt«, erklärte Giorgos Floridis in seinem Rücktrittsschreiben. Die beiden Zurückgetretenen werden von Nachrückern auf der Liste ersetzt, so daß sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament zunächst nicht ändern.

Erst am Mittwoch hatte der Ministerpräsident einen PR-Coup erster Güte gelandet: Am Tag des dritten Generalstreiks in Griechenland wurde gegen Mittag die Meldung lanciert, daß dramatische Ergebnisse aus dem kurzfristig anberaumten Treffen des Minister- mit dem Staatspräsidenten zu erwarten wären. Hatten bis dahin die nach Pressemeldungen mehr als 200000 demonstrierenden Streikenden und »Empörten« die Ereignisse dominiert, wandte sich nun das Interesse der einheimischen und internationalen Journaille und damit auch die öffentliche Meinungsbildung den Entwicklungen auf der Bühne der offiziellen Politik zu. Papandreou habe dem Vorsitzenden der konservativen Oppositionspartei seinen Rücktritt und die Bildung einer gemeinsamen Regierung unter einem von beiden Seiten akzeptierten Ministerpräsidenten in Aussicht gestellt, ließ man bereits Stunden vor dem offiziellen Auftritt des Regierungschefs durchsickern. Unterschlagen wurde allerdings, daß dieses Angebot zu für Oppositionsführer Antonis Samaras unannehmbaren Bedingungen gemacht wurde.

Als der Premier in den frühen Abendstunden sprach, sah die Sache denn auch bereits ganz anders aus: Er habe sein Möglichstes getan, um eine nationale Einheit zur Rettung des Landes herzustellen, verkündete Papandreou staatstragend vor laufender Kamera. Dies aber sei an der Opposition gescheitert, die ihre Parteiinteressen vor die nationalen stelle. Er werde aber »den Weg der Pflicht weiter beschreiten«, verkündete der selbsternannte Atlas der griechischen Geschicke und kündigte eine Regierungsumbildung an. Anschließend werde er im Parlament die Vertrauensfrage stellen. Ob er dies nach den dominoartigen Rücktritten von Donnerstag noch wahrmacht, bleibt allerdings abzuwarten. Auf der Straße hat Papandreou die Vertrauensfrage ohnehin längst verloren.

Auch wenn die Proteste, die am Mittwoch erneut in einem Generalstreik gipfelten, selten das Bild in den Medien dominieren, sind sie de facto einer der determinierenden Faktoren des politischen Geschehens des Landes. Welche Regierung Papandreou auch immer in den nächsten Tagen vorstellt, weder die Gewerkschaften noch die wachsende Bewegung der griechischen »Empörten« werden die von Papandreou im Einklang mit den Gläubigern bei EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank beschlossenen alten und neuen Sparmaßnahmen akzeptieren. Die Parlamentarier der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE, verweigerten bereits am Mittwoch der im Parlament begonnenen Diskussion um das neue Kürzungspaket jegliche Legitimation und zogen statt dessen mit den Protestierenden draußen vor das Parlament.

** Aus: junge Welt, 17. Juni 2011


Schuldlos schuldig

Von Kurt Stenger ***

Als »schuldlos schuldig« wird der antike Tragödien-Held tituliert, der sich nicht aus seiner aussichtslosen Lage zu befreien vermag. Auf den griechischen Premier Giorgos Papandreou trifft dies nicht nur deshalb zu, weil er seit Ausbruch der Schuldenkrise so klingt, als hätte er Euripides als Redenschreiber angeheuert. Sondern auch, weil seine Regentschaft auf ein Fiasko zusteuert: Angetreten war der Sozialdemokrat mit dem Versprechen eines Konjunkturprogramms gegen die Wirtschaftskrise. Kurze Zeit später verkündete er, ohne das Bündnis mit den Linksparteien und Gewerkschaften zu suchen, den brutalen Sparkurs, der Armut und Arbeitslosigkeit noch verschärfte und sehr viele Griechen gegen ihn aufgebracht hat. Zu allem Übel schickt sich die konservative Nea Dimokratia an, vom absehbaren Abgang Papandreous zu profitieren. Dabei war sie es, die das Land an den Rand des finanziellen Abgrunds bugsiert hatte.

Papandreou hat sich in sein Schicksal verstrickt, immer neue Finanzlöcher zu stopfen, um die Pleite zu verhindern. Anders als der Tragödienheld kann er aber nicht auf einen Deus ex Machina hoffen, der alles noch zum Guten wendet. Die EU – unter der Regie von Bundeskanzlerin Merkel – erzwingt immer neue kurzfristige Sparorgien. Diese verhindern aber die mittelfristigen Strukturreformen, die nach jahrzehntelanger Kleptokratie der beiden großen Parteien in Griechenland mit Papandreou erstmals möglich schienen. Schuldlos schuldig eben.

** Aus: Neues Deutschland, 17. Juni 2011 (Kommentar)


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