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An den ERT-Mikros bis zum Schluss

Griechische Regierung räumte Sendeanstalt / Opposition: Schwarze Seite der Demokratie

Von Anke Stefan, Athen *

Ende einer illegalen Besetzung oder Putsch gegen die Informationsfreiheit – die Räumung des früheren griechischen Staatssenders ERT trifft auf Protest.

»Soeben steht die Staatsanwaltschaft im Gebäude der ERT und fordert die Angestellten und mit ihnen Solidarische auf, das Gebäude zu räumen. Der Kampf um Demokratie und Gerechtigkeit, den die Angestellten der ERT seit über vier Monaten führen, hat seinen kritischsten Moment erreicht! Alle zum Sendergebäude!« Mit diesen Worten über den Radiosender der ehemaligen öffentlich rechtlichen Sendeanstalt Griechenlands, ERT, ging die wohl längste Besetzung eines Staatsbetriebes in Griechenland zu Ende. In den frühen Morgenstunden des Donnerstag drangen Beamte der Bereitschaftspolizei in die seit ihrer Schließung Mitte Juni von entlassenen Angestellten besetzte Zentrale der Fernseh- und Rundfunkanstalt ein.

Die Besetzer blieben bis zum letzten Moment an den Mikrofonen, alle etwa 200 anwesenden ehemaligen Mitarbeiter und mit ihnen Solidarische ließen sich aber ohne jede Gegenwehr aus dem Gebäude führen. Ein Betriebsratsmitglied wurde vorläufig in Polizeigewahrsam genommen, wenig später jedoch wieder freigelassen. Mit Tränengas ging die Polizei jedoch gegen die mehreren Hundert Menschen vor, die sich zur Unterstützung der Besetzer in kurzer Zeit vor dem Sender versammelt hatten.

»Die Intervention der Polizei im Sendegebäude der ERT wurde zur Durchsetzung des Gesetzes und zur Wiederherstellung der Legalität durchgeführt«, erklärte Regierungssprecher Simos Kedikoglou unmittelbar nach der Räumung. »Der Sender befand sich unter illegaler Besetzung, die der Griechischen Demokratie täglich Schaden bereitete, und geschah in Anwesenheit der Staatsanwaltschaft.«

»Mit dem heutigen Eindringen der Bereitschaftspolizei in das Sendergebäude der ERT vollendet die Regierung eine vollkommen putschähnliche Aktion zu Lasten der Informationsfreiheit und der Demokratie, die sie am 11. Juni begonnen hat«, kommentierte dagegen die Linkspartei Syriza die Räumung.

Der Regierung aus PASOK und Nea Dimokratie bescheinigte die größte Oppositionspartei, sie habe »absolut illegal agierend eine schwarze Seite in der Geschichte des öffentlich rechtlichen Fernsehens und der Demokratie in unserem Land« geschrieben. Zwei Tage zuvor habe die Regierung den Eigentümern der privaten Sender die neuen Lizenzen für die digitalen Kanäle geschenkt.

Probleme in einer Demokratie würden »im Dialog unter Beteiligung der Gesellschaft und mit Hilfe der Demokratischen Institutionen und nicht mit Repression und Willkür gelöst«, erklärte der auch für die ERT Angestellten zuständige Gewerkschaftsdachverband im öffentlichen Dienst, ADEDY, an die Adresse der Regierung gerichtet. Er warf der Regierung vor, statt dessen einen anderen Weg gewählt zu haben: »Sie hört nicht zu, sie sieht nicht hin, sie diskutiert nicht. Sie zwingt einfach auf!«. Gleichzeitig rief der Gewerkschaftsdachverband zu einer Protestdemonstration vor dem Sendergebäude auf.

Die 1966 gegründete öffentliche rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalt ERT war am 11. Juni dieses Jahres auf Beschluss von Ministerpräsident Antonis Samaras von einem Tag auf den anderen geschlossen worden. Dabei verloren etwa 2500 Angestellte über Nacht ihre Stellen.

Aus Protest gegen die Schließung war damals die kleinste Koalitionspartnerin DIMAR aus der Regierung ausgetreten. Diese stützt sich seither nur noch auf die Abgeordneten der Nea Dimokratia von Samaras und der PASOK von Vizepremier und Außenminister Evangelos Venizelos. Seit Mitte Juli übernahm übergangsweise das »Griechische Öffentliche Fernsehen, DT« die Ausstrahlung eines zunächst auf alte Filme beschränkten, nun mit Livesendungen und Nachrichten aufgestockten Programms. Diese Übergangslösung mit wenigen Hundert Angestellten soll spätestens im nächsten Jahr von der neuen öffentlich rechtlichen Anstalt NERIT abgelöst werden.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 8. November 2013


Endgültige Zerschlagung

Griechische Polizei räumt Gebäude des ehemaligen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Besetzer hatten fünf Monate lang rund um die Uhr Radio- und TV-Programm gesendet

Von Heike Schrader, Athen **


Am frühen Donnerstag morgen hat die griechische Bereitschaftspolizei das Gebäude der ehemaligen öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalt ERT in Athen gestürmt. Über fast fünf Monate hatten die Techniker und Journalisten des am 11. Juni auf Anweisung von Ministerpräsident Antonis Samaras geschlossenen Senders von dort rund um die Uhr ein vollwertiges Radio- und Fernsehprogramm ausgestrahlt. Stockwerk für Stockwerk ließ die ebenfalls anwesende Staatsanwaltschaft den Komplex nun ab 4.30 Uhr Ortszeit räumen. Etwa 200 ehemalige Angestellte und Menschen, die aus Solidarität im Sender ausharrten, ließen sich ohne Widerstand aus dem Gebäude führen. Draußen protestierten rund einhundert Menschen gegen die Räumung. Die Demonstration wurde von der Polizei gewaltsam unter dem Einsatz von Tränengas aufgelöst.

Die Linkspartei SYRIZA verurteilte die Räumung als »Vollendung einer putschartigen Aktion« und warf der Regierung vor, sich bei der Wahl zwischen »Demokratie und Einhaltung der Gläubigermemoranden« ein weiteres Mal für letztere entschieden zu haben. »Wir fordern den sofortigen Abzug der Polizeikräfte aus dem Gebäude der ERT und ihre Übergabe an ihre Angestellten«, hieß es abschließend in der Stellungnahme der größten Oppositionspartei im griechischen Parlament. Auch die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) verurteilte Räumung und Tränengaseinsatz. »Die Umsetzung des Dogmas von ›Recht und Ordnung‹ durch die Regierung« zeige, daß »die arbeiter- und volksfeindliche Politik mit der Verschärfung von Willkür und Repression Hand in Hand gehen«, hieß es in einer Mitteilung.

Der auch für die ehemaligen Angestellten der ERT zuständige Gewerkschaftsdachverband des öffentlichen Dienstes, ADEDY, warf der Regierung ebenfalls vor, mit der Räumung »erneut zu Willkür und Repression« gegriffen zu haben, um Griechenland »ihre – für die Gesellschaft – katastrophale Politik aufzuzwingen«. ADEDY rief »die Lohnabhängigen, die Arbeitslosen, die Rentner, die Jugendlichen und die demokratischen Bürger dieses Landes« für den späten Nachmittag des gestrigen Donnerstag zu einer Demonstration gegen »diese autoritären Regierungsmethoden« auf.

Die willkürliche Schließung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt durch die Regierung Samaras hatte im Juni nicht nur zur Besetzung der ERT durch einen Teil der über Nacht gefeuerten insgesamt 2656 Angestellten geführt, sondern auch zu einer neuerlichen Protestwelle innerhalb der Bevölkerung. An einem unmittelbar danach ausgerufenen Generalstreik mit Marsch zum Sender hatten Hunderttausende Menschen teilgenommen, über Wochen versammelten sich in der Folge allabendlich Tausende auf dem Gelände der Rundfunkanstalt. Das von den Besetzern über das Internet ausgestrahlte Programm erzielte »Einschaltquoten« von denen der ehemalige staatsnahe Sender nur träumen konnte.

Aus Protest gegen die Schließung hatte auch die kleinste Koalitionspartnerin, die sozialdemokratische DIMAR die Regierung verlassen, die seither nur noch von der größeren, ebenfalls sozialdemokratischen PASOK und der konservativen Nea Dimokratia von Samaras getragen wird. Einen Monat später nahm die aus dem Boden gestampfte staatliche Interimssendeanstalt Griechisches Öffentliches Fernsehen (DT) den Betrieb auf, in die ein geringer Teil der ERT-Angestellten übernommen wurde. Der neue Staatssender NERIT befindet sich noch im Aufbau.

** Aus: junge welt, Freitag, 8. November 2013


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