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Hellas ohne Chance

Troika aus EU, IWF und EZB läßt in Athen "Reformfortschritte" prüfen. Doch die Wirtschaft des Landes ist ruiniert, nicht zuletzt dank des "Spar"diktats

Von Tomasz Konicz *

Hellas kann kaum auf Gnade der Troika hoffen. Das Dreigespann aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) scheint eher dabei, das Land mit inquisitorischem Eifer in den Kollaps zu treiben. Die Task-Force der Troika ist seit Mittwoch wieder in Athen zu Gange, um Reformfortschritte zu prüfen, wie es hieß.

Sie habe »überhaupt keine Lust, zu verhandeln oder neu zu verhandeln«, kommentierte die IWF-Chefin Christine Lagarde Athens Bitte, die drakonischen Sparauflagen zumindest etwas zu lockern. Das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen forderte in Redundanz weitere »Arbeitsmarktreformen«, eine schnellere Privatisierung von Staatsbesitz und eine Beschleunigung des Reformtempos.

Wenn es aber darum geht, mit polarisierenden Sprüchen die Lufthoheit über deutschen Stammtischen zu erlangen, kann CSU-Politikern derzeit wohl niemand das Wasser reichen. »Griechenland kann und will es wohl nicht schaffen«, polterte der bayerische Finanzminister Markus Söder in der Augsburger Allgemeinen. Das Mittelmeerland sei »wirtschaftlich kaputt«, und man müsse »ein Ausstiegsszenario für Griechenland vorbereiten«, so der frühere CSU-Generalsekretär.

Dabei war es das – maßgeblich von der Bundesregierung geformte – extreme Kürzungsdiktat der Troika, das Griechenland in den ökonomischen Zusammenbruch trieb. Dies läßt sich daran empirisch belegen, indem die Durchsetzung der diversen Austeritätsmaßnahmen mit der zeitlichen Abfolge des Wirtschaftseinbruchs in Zusammenhang gebracht wird. Der drakonische Kahlschlag wurde mittels etlicher umfangreicher »Sparpakete« vollzogen, die im zweiten Quartal 2010, im Juni 2011 und im vierten Quartal 2011 durchs griechische Parlament gepeitscht wurden. Zu Beginn des Jahres 2010 erholte sich die griechische Wirtschaft mühsam von der schweren Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009, während der nahezu alle europäischen Volkswirtschaften in die Rezessionen – also eine Phase zurückgehender Wirtschaftsleistung (gemessen am Bruttoinlandsprodukts, BIP) – abdrifteten. Im ersten Quartal 2010 konnte folglich erstmals seit eineinhalb Jahren wieder ein leichtes Wirtschaftswachstum verzeichnet werden – bis dann ab dem zweiten die Auswirkungen des Spardiktats spürbar wurden. Zwischen dem dritten Quartal 2010 und dem ersten 2012 schrumpfte das griechische BIP dramatisch, wobei die Kontraktion quartalsweise zwischen fünf und neun Prozent pendelte (jeweils gegenüber den Vorjahreszeiträumen).

Und es gibt keinen Hoffnungsschimmer, kein Licht am Ende des Tunnels. Laut Prognosen des griechischen Zentrums für Planung und Wirtschaftsforschung (KEPE) wird sich der Rückgang des BIP, der im ersten Quartal dieses Jahres bei 6,5 Prozent lag, bis zum dritten Quartal 2012 auf 9,1 Prozent verstärken. Der griechische Ökonom Yanis Varoufakis beschrieb kürzlich die Lage in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC so: »Griechenland ist erledigt. Die griechische Ökonomie befindet sich in einer großen, großen Depression.« Es gebe »keine Kraft« mehr in der Volkswirtschaft. Diese befinde sich in einem »katastrophalen« Zustand, und unter den gegebenen Umständen könne sie auch nicht von der Politik reanimiert werden. Varoufakis zog eine Parallele zwischen dem Euro-Zonen-Mitglied und dem US-Bundesstaat Ohio während der Weltwirtschaftskrise 1931: »Was konnten die Politiker Ohios machen, um Ohio aus der Depression zu führen? Die Antwort lautet: Nichts.«

Alle wichtigen ökonomischen Indikatoren und Wirtschaftsdaten bestätigen den anhaltenden Zerfall der griechischen Ökonomie. Die Forderung des EZB-Mannes Asmussen nach weiteren Arbeitsmarktreformen (vulgo: Lohnkahlschlag) ist angesichts der dortigen Arbeitnehmerentgelte schlicht absurd. Im ersten Quartal 2012 sanken diese um den Rekordwert von 17 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Seit dem ersten Quartal 2010 – also dem Beginn der »Spar«-politik – sind die realen Löhne und Gehälter sogar um mehr als 31 Prozent zurückgegangen. Trotz dieses sozialen Massakers steigt die Massenarbeitslosigkeit in Griechenland weiter an. Sie erreichte im März 22,7 Prozent, nach 16,2 Prozent im Vorjahresmonat und rund zehn Prozent Anfang 2010.

Die verzweifelte Lage läßt die Emigration aus Hellas rasch ansteigen. Umfragen zufolge denken sieben von zehn Lohnabhängigen über das Auswandern nach. Am 4. Juli kündigte der britische Premier David Cameron vorsorglich an, notfalls die Einwanderung aus Griechenland zu blockieren, sollte das Land aus der Euro-Zone ausscheiden.

Diese Entwicklung wurde maßgeblich durch den Einbruch der Binnennachfrage ausgelöst, eine unmittelbare Wirkung der »Sparpakete«. So gingen die Umsätze des Einzelhandels im April um 13,5 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zurück, wobei sie seit 2008 sogar um mehr als ein Drittel schrumpften. Griechenland wird buchstäblich auf Hungerdiät gesetzt. Während die Menschenschlangen vor den Suppenküchen immer länger werden, sanken die realen Umsätze des Einzelhandels mit Lebensmitteln seit Krisenausbruch um nahezu 37 Prozent. Der Absatz von PKW ist nahezu gänzlich (minus 82 Prozent) zusammengebrochen. Angesichts dieser ökonomischen Zerfallstendenzen verwundert es auch nicht, daß der Ansturm auf die Finanzinstitute anhält. Deren Kunden wollen ihr Geld in Sicherheit bringen, bevor das Land aus der Euro-Zone ausscheidet. Der Einlagenschwund bei den griechischen Banken erreiche im vergangenen Mai mit 8,5 Milliarden Euro einen neuen Rekordwert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 6. Juli 2012


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