Der Protest wurde militärisch besiegt
Linkspolitiker Alexis Tsipras über die Eurokrise und die Zukunft Griechenlands *
Alexis Tsipras ist erst 38 Jahre alt und hat doch schon so viel für die Linke in Griechenland erreicht. Bei den Parlamentswahlen am 17. Juni schaffte das Bündnis SYRIZA, dem Tsipras seit 2008 vorsteht, mit fast 27 Prozent der Stimmen einen historischen Erfolg. Trotzdem ist SYRIZA in die Opposition gegangen. Als einzige der großen Parteien lehnt das Bündnis die Sparauflagen der Gläubiger ab. Der Bauingenieur Tsipras wurde schon 2004 in den Parteivorstand von Synaspismos gewählt, der größten Partei im Bündnis SYRIZA. Seit zwei Jahren ist er zudem Vizepräsident der Europäischen Linken. Für »neues deutschland« sprach mit ihm Stephan Lindner.
SYRIZA erzielte mit knapp 27
Prozent bei den letzten Parlamentswahlen
ein hervorragendes
Ergebnis, hat es aber nicht geschafft,
stärkste Partei zu werden
und die Regierung zu stellen. Was
sind die Folgen?
Ich muss zugeben, dass wir anfangs
wegen des relativ hohen Ergebnisses
gar nicht traurig waren,
auch wenn wir in Wirklichkeit
verloren hatten. Wir hatten sehr
hart gekämpft und den Traum fast
Wirklichkeit werden lassen. Es
war, als würde Kamerun in das
Finale der Weltmeisterschaft
kommen, dann aber im Elfmeterschießen
verlieren. Trotzdem haben
wir eine Schlacht verloren und
die Folgen für Millionen Menschen
in Griechenland werden sehr hart
sein. Es waren vor allem unsere
Wähler, die uns dies nach unserer
anfänglichen Euphorie bewusst
gemacht haben. Sie hatten uns ihre
Stimme gegeben, damit wir die
Wahl gewinnen. Jetzt haben wir
wieder eine Regierung, die den
Menschen versprochen hat, das
Memorandum neu zu verhandeln,
aber am Ende doch wieder der
Planung der Troika folgen wird.
In Deutschland wird immer offener
und lauter über den Ausschluss
Griechenlands aus der
Eurozone gesprochen, wenn es
nicht den Forderungen der Troika
nachkommt. Ist das nur ein Bluff
oder eine echte Bedrohung?
Ich glaube nicht, dass es derzeit
möglich ist, ein Land aus der Eurozone
zu werfen. Dies hätte negative
Konsequenzen für die gesamte
Eurozone. Und natürlich
wird versucht, Maßnahmen zu ergreifen,
die Kosten in einem solchen
Fall zu minimieren. Aber das
ist bisher nicht wirklich gelungen.
Wer mit so etwas droht, hat entweder
keine Ahnung, was daraus
folgt, oder will nur einschüchtern.
Die Taktik der Einschüchterung
scheint aufzugehen. Griechenland
stimmt wegen dieses Szenarios
immer wieder neuen Sparmaßnahmen
zu. An diesem Wochenende
wird das nächste Kürzungspaket
mit der Troika aus Internationalem
Währungsfonds, EU und
Europäischer Zentralbank ausgehandelt.
Die Austeritätspolitik wird die Krise
nicht lösen. Bei Fortsetzung
dieser Politik werden wir nicht nur
sehen, wie ein Land die Eurozone
verlässt, sondern wie die gesamte
Eurozone zerstört wird. Auch
Deutschland wird nicht ewig in der
Lage sein, all die verschiedenen
Banken in jedem Land zu finanzieren,
und müsste dann die Eurozone
verlassen.
Sie betonen immer wieder die
europäische Dimension der Krise.
Welche Bedeutung hat die Situation
in Griechenland für Europa?
Griechenland ist das neoliberale
Experimentierlabor Europas. Wir
sind hier im Epizentrum der Krise.
Und wir hoffen, dass die dynamische
Entwicklung von SYRIZA
auch Auswirkungen auf die europäische
Linke haben wird, besonders
in den südlichen Ländern, die
mit den gleichen Krisenfolgen
konfrontiert sind.
Was muss sich in Europa ändern,
damit die Wirtschaft der
südeuropäischen Staaten wieder
auf die Beine kommt?
Die Defizite der südeuropäischen
Länder sind nicht die Ursache der
Krise, sondern nur ein Symptom.
Das eigentliche Problem besteht in
der Konstruktion der Eurozone.
Wenn man keine Zentralbank hat,
die einem Geld leiht, dann muss
man zum Markt gehen. Die Zentralbank
muss deshalb Geld direkt
an die Staaten leihen, zum Beispiel
über öffentliche Banken. Ich hoffe,
wir haben das aus dem Crash von
1929 gelernt: Wirtschaftliche Krisen
kann man nicht durch Austeritätspolitik
bekämpfen, sondern
nur, indem man mehr Geld zur
Verfügung stellt. Wir brauchen so
etwas wie einen Marshallplan für
soziale Entwicklung. Das würde
auch den Ländern im Norden helfen,
denn unsere Defizite sind deren
Überschüsse. Auch sie werden
irgendwann von der Krise betroffen
sein, wenn im Süden immer
weniger produziert wird. Wenn
man die Bezahlung der Menschen
in Nord- und Südeuropa niedrig
hält und immer mehr Austeritätspolitik
betreibt, dann wird irgendwann
das ganze System explodieren.
In welche Felder sollte der griechische
Staat in den nächsten
Jahren investieren, um die Wirtschaft
wieder zu beleben?
Griechenland hat einige Besonderheiten
auf Grund seiner Größe,
seiner geografischen Lage und
seiner vielen natürlichen Ressourcen.
Wir sollten in die Landwirtschaft
investieren und in den
Tourismus, dabei aber seinen
Charakter ändern. Und vielleicht
auch in erneuerbare Energien.
Denn wir haben Sonne, Wasser
und Berge.
Mit der Ablehnung der Sparpolitik
und dem gleichzeitigen Aufzeigen
von Alternativen hat SYRIZA
viele Wähler überzeugt. Nun ist
das Bündnis dabei, zu einer Partei
zu werden. Wie verläuft dieser
Prozess?
Schwierige Debatten dazu hatten
wir schon seit Jahren. Aber
manchmal sorgt auch das Leben
dafür, dass sich unlösbar erscheinende
Probleme von selbst erledigen.
Als Bündnis kam SYRIZA nie
über 30 000 Mitglieder hinaus,
jetzt haben uns aber über eine
Million Menschen gewählt. Viele
davon wollen nun auch Mitglied
werden. Deshalb ist jetzt die Frage,
wie wir diese Menschen in unsere
Strukturen aufnehmen. Wollen
sie einer einzelnen Organisation
innerhalb eines breiteren
Bündnisses beitreten oder einer
großen Partei? Dabei darf die
ideologische Autonomie unserer
Bündnisorganisationen nicht verloren
gehen. Ihre Ansichten könnten
als Plattformen unterschiedlicher
Ideen in der großen Partei
weiter wirken.
Die gesellschaftliche Mobilisierung
spielte eine wichtige Rolle. Es
gab Generalstreiks, Besetzungen
von Plätzen und Versammlungen
im öffentlichen Raum. Werden
diese Formen der Beteiligung weiterhin
genutzt?
Durch die Bewegung, die die Plätze
besetzte, konnten wir eine
Menge lernen. Aus meiner Sicht
herrschte im politischen System
Griechenlands eine Krise der Repräsentation
und diese Bewegung
machte uns klar, das es darauf jetzt
eine Reaktion gab. Auch wir
mussten erst einmal Mal lernen,
wie wir die Menschen mit ihren
alltäglichen Problemen erreichen
konnten. Als diese Bewegung dann
durch die Unterdrückung des
Staates zerstört wurde, herrschte
fast schon Krieg. Es kamen viele
Tonnen Chemikalien zum Einsatz.
Diese Bewegung wurde nicht politisch
besiegt, sondern militärisch.
Welche Rolle spielen die Ideen
dieser Bewegung jetzt bei SYRIZA?
Die Ideen der Menschen eröffnen
einen neuen Weg im sozialen und
politischen Leben Griechenlands.
SYRIZA ist jetzt zu einer neuen
Hoffnung herangewachsen, nicht
nur für sozialen Wandel und um
die Troika und das Memorandum
loszuwerden, sondern auch um
das ganze politische System von
der Wurzel her zu verändern.
Wie wollen Sie die Hoffnungen
der Menschen erfüllen?
Wir versuchen die demokratischen
Strukturen, die sich die Bewegung
gegeben hat, auch bei uns
zu integrieren. Dabei waren die
letzten beiden Wahlkämpfe sehr
entscheidend, weil wir im Rahmen
unserer Kampagnen offene Versammlungen
machten. Und die
Menschen reagierten sofort. Ich
erinnere mich noch an eine Versammlung,
an der über 3000
Menschen teilgenommen haben.
Entscheidend war, den Menschen
das Mikrofon zu geben. Wir haben
uns nicht vor sie hingestellt und
ihnen etwas von oben herab erzählt,
sondern mit ihnen auf Augenhöhe
kommuniziert. Diese
Strukturen sind sehr wichtig. Die
Wünsche und Hoffnungen dieser
Menschen zu erfüllen, ist nicht in
ein paar Tagen zu schaffen. Wir
haben immer noch keine ausreichenden
Strukturen für die vielen
Menschen, die uns gewählt haben.
Wir müssen uns noch besser organisieren.
Daran arbeiten wir
nun. Denn wir wollen nicht die
Menschen führen, sondern die
Menschen sollen uns führen.
SYRIZA hat 71 Abgeordnete im
Parlament. Wie organisieren Sie
die Parlamentsarbeit in der jetzt
viel größeren Fraktion?
Es besteht die Gefahr, dass wir uns
zu sehr in eine Partei verwandeln,
die sich nur auf ihre Abgeordneten
im Parlament stützt. Das wollen
wir nicht. Wir wollen unsere Basis
in der Gesellschaft haben. Diese
Zeit ist für uns sehr kritisch, denn
wir müssen uns sowohl im Parlament
organisieren, als auch die
Probleme der Gesellschaft so gut
verstehen, dass wir sie lösen können.
Vielleicht müssen wir schon
bald ganz andere Konsequenzen
ziehen, wenn wir die Regierung
stellen müssen. Wir müssen die
Ideen von unten – aus der Gesellschaft
– in die Regierung transportieren.
Eine große Summe der
Abgeordnetenbezüge sollen übrigens
den Solidaritätsnetzwerken
für diejenigen Menschen zur Verfügung
gestellt werden, die am
schlimmsten von der Krise betroffen
sind.
Wie gehen Sie mit dem Aufstieg
der Neonazis um?
Das ist etwas, das mich nicht
überrascht hat, weil dieses Phänomen
in Krisenzeiten häufig auftritt.
Ich glaube nicht, dass wir
wirklich so viele Faschisten und
Neonazis in Griechenland haben.
Hier soll eher das ganze politische
System abgestraft werden. Trotzdem
bin ich sehr besorgt. Einige
versuchen gerne das Bild zu malen,
hier würden zwei Extreme
aufeinander prallen. Die Neonazis
werden bestimmt versuchen, uns
auf alle möglichen Weisen anzugreifen.
Wir werden leider erst
einmal damit leben müssen und
geduldig sein.
Versuchen Sie mit SYRIZA immer
noch, zu einer Einigung mit
der Kommunistischen Partei KKE
zu kommen?
Wenn ich an die letzten Wahlen
denke, erinnere ich mich, dass wir
allein in dieser Schlacht waren,
schrecklich allein. Und das war
auch der Grund, warum wir verloren
haben. Es gab niemand für
ein Bündnis, weder rechts noch
links von uns. Deshalb konnten wir
auch niemanden überzeugen, dass
wir für die Bildung einer Regierung
antraten. Jeder fragte uns:
Mit wem wollt Ihr koalieren? Bei
der Demokratischen Linken wurde
uns schnell klar, dass sie sich der
Memorandumspolitik anschließen
will. Und die KKE hat uns von Anfang
an angegriffen. Demokratische
Linke und KKE haben eine
historische Chance verspielt. Bei
der Wahl 1982 in Griechenland,
als erstmals die Sozialdemokraten
gewannen, hatte die KKE sie unterstützt.
Diesmal war Ihr Wahlslogan:
Vertraut SYRIZA nicht.
Müssen die Linken nicht auch
lernen, auf europäischer Ebene
besser zusammenzuarbeiten?
Ich muss zugeben, dass die europäische
Linke eine Menge Fehler
gemacht und die Kontinuität der
Bewegung von 2006, als das Europäische
Sozialforum in Athen
stattfand, verloren hat. Deshalb
müssen wir den seit 2006 beschrittenen
Weg korrigieren und
den Enthusiasmus der Vorjahre
wiederfinden. Stellen Sie sich doch
bloß einmal vor, es gäbe am selben
Tag in ganz Europa Massendemonstrationen.
Dann könnten
die politischen Führer unserer
Länder ihre Entscheidungen nicht
mehr weiter so einsam wie bisher
ohne die Menschen treffen.
* Aus: neues deutschland, Samstag, 4. August 2012
Außen und innen
Von Jörg Meyer **
Griechen raus aus dem Euro! Jetzt muss Härte gezeigt werden! So meldete sich der bayerische Finanzminister Markus Söder (CSU) am Wochenende aus New York knatternd zu Wort. An der Krise Griechenlands seien nur die Griechen schuld, sagte Söder. Was denkt der sich? Fernab von Rationalität und Argumenten hetzt er den deutschen Kleinbürger auf. Peinlich. Fakt ist doch, dass ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone große Gefahren birgt und überdies dann noch weniger klar ist, ob Griechenland das geliehene Geld wird zurückzahlen können. Aber noch viel wichtiger ist, dass die Art und Weise, wie Söder agitiert, eher dazu geeignet ist, Zwist und Zwietracht in der EU zu nähren, wo Solidarität und Gemeinsamkeit gefragt sind.
Und während Griechenland ein weiteres Mal hart an der Staatspleite entlang schrammt, beweisen die Behörden dort EU-kompatiblen Aktionismus und internieren Bürgerkriegsflüchtlinge und Asylsuchende, die keine Papiere haben, illegalisiert leben. Der Druck von außen wird auf die Schwächsten im Inneren durchgereicht. Die Orte, an denen sie eingesperrt werden, heißen übersetzt »Geschlossene Gastfreundschaftszentren«. Orwell grüßt herzlich. Markus Söder sollte auf seiner nächsten Reise so einen Ort besuchen. Vielleicht geht ihm dann ein Licht auf, in welchem Kontext seine Äußerungen zu sehen sind. Die Krise betrifft nicht allein die südeuropäischen Staaten, sondern ist ein internationales Problem, das nicht mit nationalem Geknarze und harter Hand gelöst werden kann.
** Aus: neues deutschland, Montag, 6. August 2012 (Kommentar)
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