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SYRIZA will mit dem Spardiktat brechen

Griechische Linksallianz stellte ihr Wahlprogramm vor

Von Anke Stefan, Athen *

»Memorandum oder SYRIZA« - auf diese kurze Formel brachte Alexis Tsipras am vergangenen Freitag die Alternativen Griechenlands für die Parlamentswahlen am 17. Juni.

Einen Fehler gab der Fraktionschef der griechischen Linksallianz SYRIZA vor der Vorstellung des Wahlprogramms zu: Der Saal sei viel zu klein gewählt worden. Denn das Interesse in- und ausländischer Medien an dem Programm, nach dem Griechenland im Falle eines Wahlsieges der Linken regiert werden könnte, war riesig.

Verständlich, denn das Programm der Linksallianz stellt einen radikalen Bruch mit der bisher dem Land auferlegten Sparpolitik dar. Es gäbe kein besseres und kein schlechteres untaugliches Medikament gegen die griechische Krankheit, das Memorandum mit den Gläubigern könne man entweder umsetzten oder annullieren, erklärte Alexis Tsipras zu Beginn seiner Rede. »Wir werden es annullieren.«

Zu den ersten Maßnahmen einer Linksregierung gehörten die Rücknahme der Kürzungen von Mindestlohn und Arbeitslosengeld und die Abschaffung aller im Zuge der Memorandumspolitik eingeführten Sondersteuern, die kleine und mittlere Einkommen belasten, führte der SYRIZA-Spitzenkandidat aus. Das Steuersystem werde so umgestaltet, dass Spitzeneinkommen stärker und sozial schwächere Schichten weniger belastet werden. Gleichzeitig soll der Steuerflucht mit besserer personeller und technischer Ausstattung der Steuerämter ein Riegel vorgeschoben werden. Der Vetternwirtschaft im Staatsapparat kündigte Tsipras den Kampf an, unter anderem sollten alle staatlichen Ausgaben von einer zentralen Stelle überprüft werden. Auch die bisher üblichen teuren Beraterverträge werde es mit einer Linksregierung nicht geben.

Diese Abkehr von der Sparpolitik ist für SYRIZA nicht gleichbedeutend mit einer Abkehr von Euro und EU. Mit der Union will die Linksallianz die Bedingungen für die Rückzahlung der Schulden des Landes neu aushandeln. Ziel ist laut Tsipras die Streichung jenes Teils der Schulden, der auf unlautere Verträge beispielsweise mit Bestechung zurückzuführen ist, und die Kopplung der Rückzahlung an ein Wirtschaftswachstum Griechenlands. »Ohne eine gemeinsame europäische Lösung für das Problem der aufgehäuften Schulden und der Finanzierung des Wirtschaftswachstums kann Griechenland nicht gleichzeitig eine finanzielle Anpassung, einen Primärüberschuss im Staatshaushalt, die Bezahlung der Schuldzinsen und die Finanzierung öffentlicher Investitionen leisten«, appellierte Tsipras an die europäische Politik.

Bereits am Vortag hatte die rechte Nea Dimokratia (ND) ihr Wirtschaftsprogramm vorgestellt, in dem ebenfalls die Wiedererhöhung von Mindestlohn und Arbeitslosengeld, die Rücknahme verschiedener Sondersteuern und ein gerechteres Steuersystem in Aussicht gestellt werden. Antonis Samaras macht dies allerdings von der Zustimmung von EU und IWF abhängig.

Allen Umfragen zufolge liegen die beiden Parteien etwa gleichauf im Rennen um den Platz der stärksten Partei und die damit verbundenen 50 Bonussitze im 300-köpfigen Parlament.

* Aus: neues deutschland, Montag 4. Juni 2012


Abwärtstrend stoppen

Griechenland: SYRIZA kündigt für den Fall des Wahlsieges am 17. Juni das Ende der Kürzungsmaßnahmen und die Loslösung von der NATO an

Von Heike Schrader, Athen **


Das mit den Gläubigern von griechischer Seite ausgehandelte Memorandum über die Austeritätsmaßnahmen wird annulliert. Mindestlohn und Arbeitslosengeld werden wieder auf den alten Stand gebracht. Alle kleinere und mittlere Einkommen belastenden Sondersteuern werden zurückgenommen, die Mehrwertsteuer schrittweise gesenkt und statt dessen hohe Einkommen stärker besteuert. Das versprach Alexis Tsipras bei der Vorstellung seines Wahlprogramms am Freitag in Athen. Gleichzeitig kündigte der SYRIZA-Spitzenkandidat ein Ende der Vetternwirtschaft im Staatsapparat sowie der Steuerhinterziehung und die schrittweise Einführung einer staatlichen Kontrolle über Banken und Schlüsselindustrien des Landes an.

Eine Aufkündigung der Mitgliedschaft in Euro und EU verbindet SYRIZA mit diesem Programm jedoch nicht. Man werde mit den Gläubigern über die Streichung eines Teils der Schulden sowie bessere Bedingungen bei der Rückzahlung des Restes verhandeln, so Tsipras. Außenpolitisch gelte es, neben der EU vor allem die Beziehungen zu den benachbarten Balkanstaaten, aber auch mit Lateinamerika zu stärken, erläuterte im weiteren der SYRIZA-Abgeordnete Thodoris Dritsas, dessen Äußerungen von den anwesenden Botschaftern Venezuelas und Kubas sowie des französischen Konsuls in Athen verfolgt wurden. Unmißverständlich erteilte Dritsas der Beteiligung einer griechischen Linksregierung an etwaigen Interventionen im Iran oder Syrien eine Absage. Kein griechischer Soldat habe etwas außerhalb der Landesgrenzen zu suchen, so der SYRIZA-Abgeordnete. Langfristig werde eine Loslösung von der NATO angestrebt.

Die von der sozialdemokratischenPASOK zur Linksallianz gewechselte Abgeordnete Sofia Sakorafa stellte das Programm des Bündnisses für eine Demokratisierung staatlicher Institutionen vor. Es umfaßt unter anderem Änderungen des Wahlsystems, die Stärkung der regionalen Verwaltung sowie basisdemokratischer Strukturen und die Trennung von Kirche und Staat. Bei Demonstrationen eingesetzte Polizeibeamte dürften keine Waffen tragen, die Einheiten der Bereitschaftspolizei (Riot-Cops) würden aufgelöst und die Beamten in den normalen Polizeidienst eingegliedert, so Sakorafa.

Man hätte zumindest verbal ein radikaleres Programm erwartet, kommentierte die Generalsekretärin der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE, den Entwurf der Konkurrenz im linken Lager. »Verbal, denn in seinem Wesen vertrauen wir ihm ohnehin nicht«. Statt dessen hätte sich »der Diamant als Kohlenstaub« herausgestellt, so Aleka Papariga. »Ich kann mir vorstellen, daß ein großer Teil der Industriellen, der Reeder dem Programm von SYRIZA applaudiert, denn es bleibt weit hinter den großen Parolen und radikalen Aussagen der ersten Wahlkampfrunde zurück. Stellt euch vor, wie sich dieses Programm erst entwickelt, wenn SYRIZA Regierung wird.«

Bereits am Donnerstag hatte auch die konservative Nea Dimokratia ihr Wirtschaftsprogramm vorgestellt, das unter anderem ebenfalls die Anhebung von Mindestlohn, Arbeitslosengeld und niedrigen Renten sowie die Senkung der Mehrwertsteuer auf den Stand von 2009, vor Unterzeichnung des ersten Austeritätsmemorandums, enthält. Die Umsetzung all dieser Maßnahmen wird aber von erfolgreichen Neuverhandlungen der Memoranden mit den Gläubigern abhängig gemacht. In der Vergangenheit war der Vorsitzende der Nea Dimokratia, Antonis Samaras, mit derartigen Vorschlägen insbesondere bei der deutschen Schwesterpartei CDU mehrfach gescheitert.

Letzten Umfragen zufolge liefern SYRIZA und Nea Dimokratia sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Platz der stärksten Partei und die damit verbundenen, für eine Regierungsbildung ausschlaggebenden 50 Bonussitze im 300köpfigen Parlament bei den am 17. Juni anstehenden Wahlen.

** Aus: junge Welt, Montag 4. Juni 2012


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