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Generalstreik soll Sparpaket stoppen

Von Anke Stefan, Athen *

Führende Gewerkschaften in Griechenland haben am Dienstag (28. Juni) mit einem 48-stündigen Streik gegen die Sparpolitik der Regierung begonnen.

»Ob sie es schaffen, hängt von uns ab«, meint Anna im Block der unabhängigen Basisgewerkschaften. »Wenn genug Leute vor dem Parlament demonstrieren, stimmen sie vielleicht gar nicht erst ab.« Gemeint ist das jüngste Kürzungspaket der griechischen Regierung, das von den Kreditgebern in EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank zur Bedingung für die Auszahlung der anstehenden Rate über 12 Milliarden Euro gemacht wurde und am heutigen Mittwoch früh im Parlament verabschiedet werden soll. Es sieht eine allgemeine Senkung des Steuerfreibetrags von 12 000 auf 8000 Euro und zusätzliche Sondersteuern von bis zu fünf Prozent auf Jahreseinkommen über 12 000 Euro vor. Hinzu kommen eine zusätzliche Abgabe für Freiberufler und Selbstständige in Höhe von bis zu 500 Euro, Erhöhungen der Steuern auf Mineralöl und Kraftfahrzeuge sowie weitere Kürzungen bei Renten über 1700 Euro monatlich und den Bezügen der Staatsbediensteten.

Der Widerstand in der Bevölkerung gegen dieses neue Memorandum ist groß. Die beiden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) hatten für Dienstag und Mittwoch zum bereits vierten Generalstreik des Jahres – dem ersten zweitägigen in der jüngeren Geschichte des Landes – aufgerufen, dem sich auch der Verband der griechischen Einzelhändler angeschlossen hatte. Während nur wenige Läden am Dienstag tatsächlich geschlossen blieben, lag die Beteiligung im Staatsdienst, den staatlich kontrollierten Unternehmen und den Großbetrieben nach Angaben der GSEE zwischen 80 und 100 Prozent. Schulen, Banken und Behörden blieben geschlossen, Züge, Schiffe und Busse fuhren nicht und in den staatlichen Krankenhäusern wurden nur Notfälle behandelt. Auch die Journalisten des Landes beteiligten sich für vier Stunden am Streik, so dass gestern über Mittag keine Nachrichten in Rundfunk und Fernsehen ausgestrahlt wurden.

In verschiedenen Städten des Landes fanden Demonstrationen und Kundgebungen statt. Begleitet wurden die Gewerkschaften dabei von der seit über einem Monat jeden Abend zu Protesten mobilisierenden Bewegung der »Empörten«, die zu einer zentralen Demonstration in der Hauptstadt aufgerufen hatte. Mit einer symbolischen Umzingelung des Gebäudes sollte es dabei den Abgeordneten schwer gemacht werden, ins Parlament zu kommen und das Kürzungspaket zu verabschieden. Die Empörten hatten unter anderem dazu aufgefordert, im Schneckentempo auf den großen Verkehrsadern in die Innenstadt zu fahren, um Staus zu produzieren, die auch die Konvois der Parlamentarier aufhalten sollen.

»Hunderttausend Streikende und die Bürger auf den Plätzen des Landes platzen vor Wut und Empörung über die neuen Maßnahmen, die ein weiteres Mal ihnen schaden, während die Reichen und Superreichen, die den öffentlichen Reichtum gestohlen haben und keine Steuern zahlen, auf ihr Wohl trinken«, erklärte GSEE Vorsitzender Giannis Panagopoulos auf der Kundgebung der Dachverbände. Als die einige tausend Teilnehmer zählenden Demonstrationen der unabhängigen Basisgewerkschaften und der Gewerkschaftsdachverbände gegen Mittag den Platz vor dem Parlament erreichten, hatten sich hier immerhin ebenfalls bereits einige tausend Menschen versammelt, zu denen im Laufe des Tages immer mehr hinzustießen.

Bereits am Vormittag war auch in einem eigenen Demonstrationszug die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME mit ihrerseits mehreren tausend Mitgliedern vor das Parlament gezogen. Es reiche nicht, nur die Abstimmung des neuen Memorandums zu verhindern, erklärte PAME-Sprecher Kostas Ziogas in seiner Rede vor dem Parlament. Vielmehr müsste die Politik abgelöst werden, die solche Memoranden hervorbringe.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2011


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