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Lissabon und Madrid auf Athener Kurs

Portugals Bonität trotz drastischen Sparplans herabgestuft / Spanien erwartet Schrumpfen

Von Günther Bading, Madrid *

Weder Lissabon noch Madrid können in diesem Jahr mit einem Wirtschaftswachstum rechnen. Insbesondere die Probleme Portugals, Sorgenkind Nummer zwei der Eurozone, werden damit verschärft. Die Regierung fährt einen Sparkurs -- unter Protesten der Gewerkschaften.

Portugals Ministerpräsident José Sócrates trägt einen griechischen Namen. Mehr aber will man in Lissabon mit Griechenland nicht zu tun haben. Vor allem will man sich nicht von der griechischen Finanztragödie anstecken lassen. Die Regierung setzt auf den eigenen drastischen Sparkurs, der irgendwann die Einhaltung der Maastricht-Kriterien bringen soll. Dass die Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) Portugal jetzt von A+ auf A-, also um zwei Stufen, niedriger eingestuft hat, wird in Lissabon erbost zur Kenntnis genommen. Noch am 14. April hatte die EU-Kommission Portugals Regierung das Vertrauen ausgesprochen und den Sparplan akzeptiert. Dieser sieht unter anderem die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, das Einfrieren der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst, das Aussetzen von Investitionen und die Privatisierung öffentlichen Eigentums durch den Teilverkauf der Luftlinie TAP oder der Post vor.

Sechs Milliarden Euro an Einsparungen erwartet die Regierung dadurch. Um seinen Sparplan durchzusetzen, braucht der sozialistische Regierungschef allerdings die Zustimmung der Opposition. Denn Sócrates führt eine Minderheitsregierung. Angesichts der Krise ist ihm allerdings von der großen Sozialdemokratischen Partei, die trotz ihres Namens konservativ ausgerichtet ist, Unterstützung signalisiert worden. Noch am Mittwochabend sollte ein gemeinsames Notpaket geschnürt werden.

Mehr Ärger bereiten Sócrates dagegen andere. Die Gewerkschaften hatten bereits bei der Ankündigung der Sparpläne im März mehrere Tage gestreikt. In dieser Woche haben sie wieder zu Protesten aufgerufen, die dazu geführt haben, dass der öffentliche Nahverkehr vor allem in Lissabon seit vergangenem Montag nur sehr eingeschränkt funktioniert. Post wird in dieser Woche nicht zugestellt. Und gestern streikten sogar die Bediensteten der Assambleia Nacional, des portugiesischen Parlaments.

Auch die portugiesische Börse reagiert auf die Krisensituation. Die Nachricht von der Herabstufung durch S&P führt zu einem Kurssturz mit Verlusten von mehr als fünf Prozent. Und die Zinsen, die Portugal für seine Staatsanleihen jetzt bezahlen muss, liegen deutlich höher als vor wenigen Monaten. Für Anleihen mit zehn Jahren Laufzeit musste Portugal am Mittwochvormittag 6,28 Prozent Zinsen bezahlen.

Die Wirtschafts- und Finanzzahlen Portugals sind zwar besser als jene Griechenlands, geben aber doch zu ernster Besorgnis Anlass. Dabei geht es dem großen Nachbarn Spanien nicht besser, dort wird sogar ein leichtes Minuswachstum erwartet. Wie Sócrates in Portugal, der das Haushaltsdefizit in seiner ersten Amtszeit von sechs auf drei Prozent zu drücken verstand, hatte sein sozialistischer Kollege José Luis Zapatero in Spanien in der vergangenen Legislaturperiode recht gute Zahlen vorgelegt. Seither aber geht es auch in Madrid bergab. Die Staatsschuld Spaniens lag 2009 bei 56 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, könnte 2010 bei 66 Prozent und 2011 bei 74,5 Prozent liegen. 2008 hatte Spanien »nur« Schulden von 53,2 Prozent des BIP. In Portugal waren es im vergangenen Jahr 76,6 Prozent, im kommenden Jahr könnten es 91 Prozent sein.

* Aus: Neues Deutschland, 29. April 2010


Der Preis der Hinhaltetaktik

Indem die Kanzlerin die staatlichen Hilfen verzögert, bringt sie den Euro in Gefahr

Von Dieter Janke **

Paradoxer könnte die Situation nicht sein: Angesichts der bislang tiefsten Krise der europäischen Einheitswährung finden sich linksalternative Kritiker des Euro argumentativ auf der Seite seiner vehementesten Verteidiger wieder, während der bundesdeutsche politische Mainstream durch sein Abwarten offenbar in Kauf nimmt, den Euro eher über kurz als über lang zu Grabe zu tragen. Paradox ist dies schon deshalb, weil letzterer sich als Erbe der »großen Europäer« Helmut Kohl und Theo Waigel präsentieren. Diese hatten sich seinerzeit als Kanzler und oberster Kassenwart der Republik trotz aller Stammtischparolen pro D-Mark vehement für die kompromisslose Einführung der Einheitswährung eingesetzt.

Jene Stammtische sind es nun, die willfährig assistiert durch hiesige Boulevardmedien nationalistische Urinstinkte bedienen. Bierselig wird hier skandiert, es könne nicht angehen, dass wir mit unseren Steuern »griechische Luxusrenten« finanzieren sollen. Mit Blick auf die wichtigen Wahlen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai zeigt sich Kanzlerin Angela Merkel davon derart beeindruckt, dass sie den Hellenen zwar Unterstützung zusichert, im Stillen aber darauf hofft, der Kelch gehe noch einmal an ihr vorüber. Einzig greifbares Resultat ihres Aussitzens ist bislang, dass der Preis für den Verbleib Griechenlands im Euroraum auch für die Bundesrepublik in die Höhe ging.

Denn nichts lieben die aus unsicheren Ereignissen Gewinne schöpfenden Finanzmarktspekulanten so sehr, wie politische Unentschlossenheit und Panikmache. Wie die in die Höhe schießenden Risikoaufschläge für die händeringend nach neuen Krediten suchenden Athener Kassenwarte beweisen, hat man jenes Ansinnen nicht zuletzt von Berlin aus bislang bestens bedient.

Spätestens wenn weitere Länder wie Portugal, Spanien und Irland folgen werden, wird man nicht mehr nur über die vermeintlichen Sünder sowie über Strategien diskutieren, wie diese ihren Hals aus der Schlinge bekommen könnten. Schon jetzt wird der Ausstieg Griechenlands aus der Einheitswährung als ein denkbares Szenario erörtert. Sollte jener Fall tatsächlich eintreten und andere Staaten dem folgen, steht der Euro insgesamt zur Disposition. Daran aber kann keinem der Mitgliedsländer gelegen sein -- auch nicht der Bundesrepublik, deren Volkswirtschaft wie keine andere vom Wegfall der Wechselkurse profitiert hat. Es fiele indes nicht allein jener zweifelhafte, durch exzessives Lohndumping erzielte Wettbewerbsvorteil der deutschen Exportwirtschaft weg. Ein Rückfall zu nationalen Währungen birgt aufgrund der Stärke der deutschen Volkswirtschaft zudem ein schwer kalkulierbares Aufwertungspotenzial mit negativen konjunkturellen Wirkungen. Das dürfte eigentlich auch der Bundeskanzlerin nicht entgangen sein. Im Unterschied zu ihr hat Finanzminister Wolfgang Schäuble durchblicken lassen, dass ihm jene Zusammenhänge durchaus bewusst sind.

Ob er der Kanzlerin allerdings auch die Folgen ihrer Hinhaltetaktik vor Augen geführt hat, kann nur gemutmaßt werden. Unzweifelhaft fest steht allerdings bereits jetzt: Die Bundesrepublik wird sich aus wohlverstandenem Eigennutz an einer Hilfsaktion für Griechenland beteiligen müssen, um den Euro aus seiner existenziellen Krise herauszuhelfen. Offen ist dabei lediglich die Frage des Preises.

** Aus: Neues Deutschland, 29. April 2010


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