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Die Sorgen von Anne und Dimitris

In vielen griechischen Familien herrscht zu diesem Jahreswechsel keinerlei Feierstimmung

Von Anke Stefan, Athen *

Von Silvesterstimmung ist dieses Jahr in Athen nichts zu spüren. Während der Staat schon im zweiten Jahr an Dienstleistungen, Löhnen und Renten spart, fehlt den Griechen mehrheitlich das Geld für die sonst in rauen Mengen gekauften Knaller. Viele werden auf die Flasche Sekt verzichten müssen oder zumindest nicht unbeschwert auf das neue Jahr anstoßen.

»Durch die Krise haben sich unsere Einkünfte stark vermindert«, schildert Anne, die mit ihrem Mann und den drei Söhnen im Grund- und Vorschulalter im Athener Arbeiterviertel Peristeri wohnt. Ihr Mann Dimitris muss als Fahrer und Verkäufer für eine Lebensmittelfirma das Familieneinkommen stellen; Anne hat ihren Beruf als Sekretärin aufgegeben, als Pavlos, der Älteste, im Anmarsch war. »Das war vor acht Jahren«, erzählt die Mutter, die schon damals keine Chance auf eine Teilzeitstelle gehabt hatte. »Heute suchen Tausende von gut ausgebildeten, jüngeren Frauen Arbeit. Das ist eine Konkurrenz, bei der ich mit meinen 45 Jahren nicht mithalten kann.«

Im Vordergrund der von der Gläubigertroika aus EU, IWF und Europäischer Zentralbank (EZB) eingeforderten Sparmaßnahmen steht der Abbau im öffentlichen Dienst und die Privatisierung von staatlichen Leistungen und öffentlichem Eigentum. Durch die Hintertür aber ist auch die private Wirtschaft betroffen. »Die Arbeitgeber nutzen die Krise aus«, meint Anne. »Die wollen keine Abstriche bei ihren Gewinnen machen, also versuchen sie, bei den Löhnen einzusparen.« Dimitris selbst zählt sich dabei noch zu den Glücklicheren, weil ihm im Gegensatz zu Kollegen bei anderen Firmen nicht der Grundlohn gekürzt wurde. Aber die Lebensmittelfirma mit griechenlandweitem eigenem Ver- trieb, für die er seit fünf Jahren arbeitet, hat ihm die bezahlten Überstunden gestrichen. »Konnten wir früher die Tour auch um 13 Uhr beendet haben, müssen wir heute um 10.45 Uhr zurück sein«, erklärt der Familienvater. Weil er für die gleiche Anzahl von Auslieferungen und Verkaufsgesprächen nun über zwei Stunden weniger Zeit hat, kommt es oft vor, dass er das Verkaufsziel nicht erreicht. »Früher hatten wir etwa 2000 Euro im Monat zur Verfügung und keine großen Schwierigkeiten, über die Runden zu kommen«, konkretisiert seine Frau. »Jetzt, wo er oft nur noch auf 1500 oder 1400 Euro kommt, wird es richtig eng.«

Vor einigen Monaten haben Anne und Dimitris deswegen bei ihrem Vermieter um eine Mietminderung gebeten. Viele Vermieter geben solchen Anfragen nach, wohl wissend, dass sie kaum eine Chance haben, einen anderen Mieter zu finden, der die bisherige Miete aufbringen kann. Anne und Dimitris zahlen jetzt 450 statt 550 Euro für die Vierzimmerwohnung im Altbau mit einfach verglasten Fenstern und einer vom Hausverwalter geregelten Zentralheizung. Doch für Anne ist die Mietminderung nur »ein Tropfen auf den heißen Stein«, denn die übrigen Lebenshaltungskosten sind so hoch wie eh und je. »In einem ganz schlechten Monat hatte ich für Lebensmittel nur noch 50 Euro pro Woche für uns fünf.« Aber auch in guten Monaten sind es nicht mehr als 100 bis 120 Euro die Woche - bei Preisen, die denen in Deutschland etwa gleichen. Im Supermarkt gegenüber kauft Anne deswegen nur Milch und ganz bestimmte Produkte ein, die sie sonst nirgends bekommt. Ansonsten »renne ich zweimal die Woche auf den Wochenmarkt, um dort günstig einzukaufen«. Auch einen billigen Fleischer hat sie gesucht und gefunden, allerdings weit entfernt, so dass sie entweder das Auto nehmen oder viel Zeit veranschlagen muss.

Spürbar für die durchaus repräsentative Familie sind auch die zahlreichen Einschnitte bei den öffentlichen Dienstleistungen. Bis letztes Jahr musste eine Dreikindfamilie für einen Musikkurs bei der Gemeinde nur die einmalige Einschreibegebühr von 50 Euro zahlen. Jetzt sind pro Monat und Kind 15 Euro fällig. »Wir wollten den Mittleren, Konstantinos, dieses Jahr auch zum Fußball anmelden, aber das wird nun zu teuer«, sagt Anne. Der eigentlich geplante Schwimmunterricht für die Kleinen fällt aus anderen Gründen aus. »Die Gemeinde hat kein Geld für die Heizung der Bäder, die haben diesen Winter erst gar nicht aufgemacht.«

Trotz solcher Streichungen hält der Staat andererseits fleißig die Hand auf. Mit der im September eingeführten Sondersteuer auf Jahreseinkommen über 12 000 Euro müssten sie eigentlich 600 Euro bezahlen. »Das haben wir nicht gemacht, erstens, weil dies ungerecht ist, und zweitens, weil wir keine 600 Euro übrig haben«, meint Anne, die weiß, dass sich das Finanzamt den Betrag spätestens bei der nächsten Steuerrückerstattung doch holen wird.

Hoffnung auf Besserung im nächsten Jahr hat sie nicht. »Wir erwarten noch Schlimmeres, weil sich ab 1. Januar die Steuerbemessungsgrenzen ändern«, erläutert Anne. Dann fällt der Steuerfreibetrag für Familien mit drei Kindern von 17 000 auf 14 000 Euro Jahreseinkommen. Das Damoklesschwert aber steckt in der von der Gläubigertroika für Januar eingeforderten »Überprüfung staatlicher Beihilfen«. Wenn dabei das bisherige Kindergeld von 260 Euro im Monat für ihre drei Jungs gekürzt wird, meint Anne, »dann sieht es ganz schwarz aus«.

* Aus: neues deutschland, 30. Dezember 2011


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