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"Wir glauben, daß es einen Dominoeffekt geben wird"

In Thessaloniki produziert eine Baustoffabrik unter Arbeiterkontrolle. Ein Gespräch mit Makis Anagnostou *


Makis Anagnostou ist Vorsitzender der Betriebsgewerkschaft der Firma Viomichaniki Metaleftiki in der griechischen Stadt Thessaloniki. Er ist Teilnehmer einer Delegation griechischer Gewerkschaften, die zur Zeit Deutschland bereist.

Im Februar hat die Belegschaft des Baustoffproduzenten Viomichaniki Metaleftiki (Vio.Me) öffentlich verkündet, ihre Fabrik stehe ab sofort unter Arbeiterkontrolle und nehme die Produktion wieder auf. Wie kam es dazu?

Unser Kampf hatte im Juli 2011 begonnen, damals hatten die Eigentümer ihre Firma Vio.Me aufgegeben. Wir Arbeiter mußten eine Lösung finden – es gab diverse Betriebsversammlungen und schließlich entschieden sich 97,5 Prozent der Teilnehmer dafür, selbstorganisiert weiterzuarbeiten. Am Anfang hatten wir noch versucht, Unterstützung der politischen Par­teien für dieses Ziel zu gewinnen, aber das gelang nicht. Allerdings hat sich dann eine landesweite Solidaritätsbewegung entwickelt. Es gab viel Unterstützung, was die Entschlossenheit der Arbeiter noch steigerte, dieses Projekt durchzuziehen.

Wichtig ist, daß die Vio.Me-Arbeiter zu ihren Worten stehen. Sie haben gesagt, daß sie die Fabrik übernehmen – und sie haben es auch getan.

Wie haben sich während dieses Kampfes der Staat und die Eigentümer verhalten?

Es war ein Fehler der Eigentümer, daß sie ihre Anteile der Mutterfirma Philkeram Johnson, die schwer verschuldet war, überlassen hat. Das Resultat ist, daß sie jetzt keinerlei Rechte mehr auf Vio.Me haben. Was die Eigentümer jetzt sagen, spielt keine Rolle.

Dem Staat war unsere Fabrik anfangs egal. Politiker und Behörden sahen ein, daß sie etwas tun mußten, nachdem sie feststellen mußten, welche Resonanz unser Projekt in der Bevölkerung hat. Es spielte sicher auch Konkurrenz eine Rolle – die linke Partei Syriza hat uns nämlich unterstützt.

Wie stellen Sie sich die Arbeiterkontrolle in der Fabrik vor? Wie sollen Entscheidungen getroffen werden? Gibt es unterschiedliche Bezahlung oder verdienen alle das gleiche?

Wir stellen uns die Arbeiterkontrolle nicht nur vor, sie ist Realität! Wir arbeiten nach dem Prinzip: Dasselbe für alle. Alle bekommen den gleichen Lohn. Und alle Entscheidungen werden in der Vollversammlung der Belegschaft getroffen. Was Entscheidungen bei der jeweiligen Tagesproduktion betrifft, ist es so, daß diejenigen Arbeiter entscheiden, die an diesem Tag arbeiten. Alles soll so hierarchiefrei wie möglich sein, alle haben dieselben Rechte. Jeder, der neu eingestellt wird, genießt nach der Probezeit dieselben Rechte, wie die Belegschaft, die bereits länger hier arbeitet.

Sie haben mehrfach betont, daß das Projekt nur gelingen kann, wenn es nicht isoliert bleibt. Haben Sie bereits Kontakte zu ähnlichen Initiativen in Griechenland und anderen Ländern aufbauen können?

Deshalb sind wir im Moment auf Einladung unserer deutschen Kollegen hier, deshalb werden wir in nächster Zeit auch andere Länder besuchen, zum Beispiel Italien. In Griechenland sieht die Situation so aus: Es gibt eine Reihe von Fabriken, die nicht mehr in Betrieb sind – aber die Gebäude und Maschinen sind noch da. Viele Menschen, die früher in einer dieser Fabriken gearbeitet haben, suchen den Kontakt zu Vio.Me und möchten etwas Ähnliches wie wir aufziehen. Diese Initiativen suchen den Erfahrungsaustausch, sie wollen wissen, wie das funktionieren kann.

Wir glauben, daß es so etwas wie einen Dominoeffekt geben wird, wenn Vio.Me die Produktion wieder voll aufgenommen hat. Dann werden auch andere Menschen in Griechenland denselben Weg gehen.

Welche Form von Solidarität wünschen Sie sich von Kollegen und Initiativen in anderen Ländern?

Die Arbeiter von Vio.Me sagen sehr deutlich: Wir brauchen Druck auf die politischen Entscheidungsinstanzen, damit eine Lösung für Griechenland gefunden wird. Außerdem sind wir gerade dabei, ein Netzwerk aufzubauen, über das die Produkte von Vio.Me in anderen Ländern vertrieben werden können. Wir brauchen Unterstützung, um Kunden zu finden, die Verträge mit Vio.Me abschließen.

Interview: Thomas Eipeldauer

www.labournet.interventionen

* Aus: junge Welt, Dienstag, 30. April 2013


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