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"Wir nennen das einen Überlebenskampf"

Griechisches Bündnis "Solidarity4all" unterstützt Krisenopfer beim Aufbau von Selbsthilfestrukturen. Gespräch mit Christos Giovanopoulos *


Christos Giovano­poulos arbeitet im griechischen Netzwerk »Solidarity4all« (Solidarität für alle) und befindet sich derzeit mit einer Delegation griechischer Gewerkschafter und Journalisten auf Rundreise durch die Bundesrepublik.

Was will das Solidarity4all-Netzwerk?

Das Netzwerk wurde von Basisaktivisten aufgebaut, allerdings vor dem Hintergrund eines Beschlusses des Linksbündnisses Syriza. Alle Abgeordneten geben 20 Prozent ihrer Einkünfte für soziale Selbsthilfegruppen. Politisch sind wir allerdings unabhängig. Die Aufgabe des Netzwerkes ist es, diese Gelder zu verteilen und beim Aufbau selbstorganisierter Selbsthilfestrukturen zu helfen. Im wesentlichen geht es dabei um sechs Felder: Gesundheit, Bildung, Versorgung mit Nahrungsmitteln, Rechtshilfe, Kultur und etwas, das wir solidarische Wirtschaft nennen. Außerdem geht es um Solidarität mit Einwanderern und darum, die internationale Solidarität mit Griechenland zu organisieren.

Wie ist das Netzwerk organisiert?

Wir sind weder die Koordinatoren noch die Vertreter der zahlreichen sozialen Initiativen, sondern wir bieten ihnen lediglich Möglichkeiten, sich abzusprechen und Erfahrungen auszutauschen. Unser Ziel ist es, den Prozeß der Selbstorganisation der Bevölkerung zu beschleunigen, um den Folgen der Krise entgegenzuwirken. Wir nennen das einen Überlebenskampf. Es geht um dem Zerfall der Gesellschaft, der das Anwachsen von Faschismus und Rassismus begünstigt, nachbarschaftliche Hilfe entgegenzusetzen.

Außerdem soll das Netzwerk dieses Universum kleiner lokaler Solidaritätsgruppen sichtbarer gemacht werden. Zum einen, damit sie für die Bedürftigen und für jene, die helfen wollen, besser zu erreichen sind. Zum anderen, damit in der Öffentlichkeit deutlich wird, daß es überall Menschen gibt, die ein neues, solidarische Griechenland von unten aufbauen. Bisher gibt es etwa 250 solcher lokalen Gruppen.

Wie arbeiten diese Gruppen?

Es gibt zum Beispiel einige Gruppen, die sammeln vor Supermärkten oder vor Wochenmärkten Lebensmittelspenden, die dann an sehr arme Familien verteilt werden. Diese Gruppen sind sehr demokratisch organisiert. Alles wird in den Mitgliederversammlung organisiert und sie versuchen zugleich, die Empfänger einzubeziehen, um der Demoralisierung entgegenzuwirken. Tatsächlich ist letzteres ein wichtiger Aspekt dieser Arbeit, denn es geht immer auch darum, den Widerstand gegen die Austeritätspolitik, das heißt, die Sparpolitik der Troika zu organisieren.

Noch ein Beispiel?

Die sogenannten sozialen Ambulanzen. Vor zwei Jahren gab es in ganz Griechenland nur drei oder vier von ihnen. Ziel war es, Einwanderer zu versorgen. Inzwischen sind aber durch die Austeritätsmaßnahmen etwa 1,3 Millionen Menschen ohne Krankenversicherung, und die sozialen Ambulanzen versuchen, diese Leute nicht ganz ohne Hilfe zu lassen. 35 gibt es mittlerweile, und fünf bis zehn weitere werden demnächst ihre Arbeit aufnehmen. In diesen Ambulanzen arbeiten Ärzte, Krankenschwestern, Pharmazeuten und andere zusammen. Alle wichtigen Entscheidungen werden von den Mitgliederversammlungen getroffen.

Viele der teuren Arzneimittel werden inzwischen nicht mehr von Krankenkassen bezahlt, zum Beispiel Krebsmedikamente. Es gibt also Menschen, die alle 14 Tage ein paar hundert Euro für ihre Medizin ausgeben müssen, und sich das nicht leisten können. Auch denen versuchen wir zu helfen. Das Netzwerk organisiert Medikamentensammlungen und verteilt diese an die Ambulanzen. Inzwischen können diese sich aber auch über unsere Webseite selbst koordinieren.

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Aus: junge Welt, Montag, 29. April 2013


Veranstaltungen mit der griechischen Delegation:

29.4., 19 Uhr, Hamburg, Gewerkschaftshaus, Besenbinderhof 60: »In Griechenland: Sozialgefüge und Gewerkschaften werden zerschlagen – kann uns das egal sein?«

29.4., 19:30 Uhr, Berlin, Mehringhof, Gneisenaustr. 2a: »Griechenland Krank gespart«30.4., 18 Uhr, Berlin, ver.di, Paul-Tiede-Ufer 10: »Volltreffer: Demokratie marktkonform versenkt«

2.5., 19 Uhr, Düsseldorf, ZAKK Fichtenstr.: »Griechenland zwischen Troika und Widerstand – Perspektiven eines europäischen Widerstands von unten«

2.5., 19 Uhr, Frankfurt, Saalbau Gutleut, Rottweiler Str. 32: »Gesundheit in der Krise. Berichte von widerständiger Praxis und Solidarität im Gesundheitswesen in Griechenland und Deutschland«

3.5., 19 Uhr, Kassel, Café Buchoase, Germaniastr. 14: »Griechenland Solidarität mit den Beschäftigten Südeuropas – Schicksalsfrage der europäischen Gewerkschaftsbewegung?«





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