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"Regierung hat kein Konzept, sie hampelt herum"

Griechenland hätte längst niedrigere Zinssätze haben müssen. Rezession auch in der BRD wahrscheinlich. Gespräch mit Herbert Schui *


Herbert Schui ist emeritierter Professor für Volkswirtschaft und war Bundestagsabgeordneter für Die Linke.


Das Herbstgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute senkt die Wachstumsprognose für das kommenden Jahr von zwei Prozent auf 0,8 Prozent ab. Wie realistisch ist diese Vorhersage?

Ein Wachstumseinbruch ist sehr wahrscheinlich. Denn die Euro-Zone erholt sich wirtschaftlich viel zu langsam. Nach einem Minus von 4,3 Prozent im Jahr 2009 stieg die Wirtschaftsleistung 2010 um lediglich 1,8 Prozent. Für 2011 schätzt der Internationale Währungsfonds das Wachstum auf 1,6 und für 2012 sogar nur auf 1,1 Prozent. Bei diesem Wirtschaftswachstum der Haupthandelspartner werden die deutschen Exporte kaum zulegen. Wegen zu geringer Löhne und Renten fehlt es überdies an Inlandsnachfrage.

Ein weiteres Problem ist, daß die Kredite für die Unternehmen knapper werden. So haben die US-amerikanischen Anleger – Pensions­fonds und Banken – angesichts der Währungskrise viel Geld aus dem Euro-Raum abgezogen. Ob die Europäische Zentralbank (EZB) die Kreditversorgung garantiert, ist keineswegs gesichert.

Die Forschungsinstitute warnen in einem Alternativszenario vor einer erneuten Rezes­sion. Wovon hängt das ab?

Was das geringe – prognostizierte– Wachstum verursacht, kann auch schlimmere Folgen haben. Etwa, wenn unsere Handelspartner in der EU schlechter abschneiden als bislang erwartet oder die Kredite erheblich knapper werden. Dann rutschen wir in einen zweiten Abschwung hinein – mit großen Ansteckungsgefahren für die Weltwirtschaft. Davor warnen die USA und die Schwellenländer zu Recht. Auch nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 gab es drei kurze Erholungsphasen. Ebenso kurz war die Freude, daß die Große Depression überwunden wäre. Der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt konnte sie erst durch eine hohe Besteuerung der Reichen und der Unternehmen, ergänzt mit Staatsdefiziten, überwinden. Die Bundesregierung hat bislang in der EU jede rasche Lösung verhindert. Sie hat kein Konzept, sie hampelt herum.

Was sollte die Merkel-Regierung denn tun?

Sie hätte schon längst die griechische Schuldenkrise bereinigen müssen ...

Griechenland ist ohnehin pleite. Müßen wir uns nicht langsam damit abfinden?

Auf sich gestellt wäre Griechenland wohl zahlungsunfähig. Deshalb müssen wir dem Land zügig auf die Beine helfen. Dafür muß sich Griechenland zu niedrigen Zinssätzen verschulden können. Das ist mit Euro-Bonds möglich. Hier haften die Euro-Länder gemeinsam, so daß die Zinsen niedrig sind. Der jetzt beschlossene Rettungsfonds ESM hilft Athen vor allem deswegen nicht voran, weil er weniger Staatsausgaben erzwingt und so die Volkswirtschaft schwächt. Das Parlament verliert damit wesentliche Rechte, die Demokratie kommt unter die Räder. Notwendig ist statt dessen ein Konjunkturprogramm, das Arbeit und Produktion schafft. Das führt zu mehr Steuereinnahmen und zu weniger Defizit.

Aber die gemeinsam aufgelegten Euro-Staatsanleihen beschneiden auch das Haushaltsrecht unserer eigenen Volksvertretung.

Die Kanzlerin fordert ein Durchgriffsrecht auf die Haushalte der Schuldnerstaaten. Das verletzt deren nationale Souveränität, wie auch die Sparauflagen der bisherigen Rettungspakete. Euro-Bonds dagegen beeinträchtigen unsere Haushaltshoheit nicht. Denn die nationalen Parlamente beschließen weiterhin die Einnahmen und Ausgaben. Die Schulden werden dann lediglich über eine gemeinsame, bankähnliche Einrichtung aufgenommen.

Eine Möglichkeit, die Zahlungsfähigkeit Athens wieder herzustellen, ist ein Schuldenschnitt. Wäre das sinnvoll?

Das ist eine Lösung, obwohl sie Probleme bei den Gläubigern auslöst. Denn die Banken müßten ihre Griechenland-Kredite zu 50 oder 60 Prozent abschreiben. Das geht zu Lasten des Eigenkapitals. Im Gegenzug würde die Bundesregierung Eigenkapital aus Steuermitteln zuschießen – das steckt hinter dem Begriff »Rekapitalisierung«. Die Frage ist, wie das im Detail aussieht: stille Beteiligungen ohne Einfluß auf die Geschäftspolitik? Viel vernünftiger wäre es, die Privatbanken zu verstaatlichen. Dann ließe sich deren Geschäftspolitik klar regeln. Erneute Spekulationen würden verhindert.

Interview: Mirko Knoche

* Aus: junge Welt, 14. Oktober 2011


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