Planmäßig zu Tode retten
Maßregeln für Griechenland zielen auf das ganze Euro-Volk
Von Conrad Schuhler *
Griechenlands Staatsverschuldung beläuft sich derzeit auf 160 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im letzten Jahr, unter intensiver Anleitung und Kontrolle der Troika von EU, Europäischer Zentralbank
und Internationalem Währungsfonds, ist die Staatsverschuldung um 10 Prozentpunkte gestiegen. Das BIP ist um über 7 % geschrumpft. Die Schere zwischen öffentlicher Verschuldung und Wirtschaftsleistung klafft immer weiter auseinander. Nun kommt die Troika mit einem neuen Hilfspaket über 130 Milliarden und einer verschärften Neuauflage der alten Maßregeln zum Wohlverhalten Griechenlands. Es geht um das schon vielfach gescheiterte Rezept einer neoliberalen Rosskur für die Problemländer der Eurozone. Austerity und Aufgabe demokratischer Rechte, sonst gibt es keine weiteren Kredite, und so weiter, und so weiter. Am Ende wird der politische und soziale Zusammenbruch Griechenlands stehen. Dieses Fiasko ist geplant. Der Niedergang
Griechenlands und seine Folgen für die übrige Eurozone werden offenkundig von den Strategen in Berlin längst eingerechnet. In Griechenland findet beispielgebend für das ganze Euro-Volk die
Züchtigung unbotsamer Massen statt, die sich dem Diktat der kapitalistischen Wettbewerbsfähigkeit – Arbeitsrechte reduzieren, länger arbeiten, weniger verdienen, größere Arbeitshetze, weniger
Sozialleistungen – widersetzen. Es geht nicht nur um Athen oder Thessaloniki, gerade so wird auf Wolfsburg oder München oder Utrecht gezielt.
Die Euro-Finanzminister haben am 21.2.2012 ein umfangreiches neues Hilfspaket für Griechenland beschlossen. So leisten Euro-Länder, EU und IWF 100 Milliarden Euro öffentliche Hilfe, 30 Milliarden Euro werden als Garantien für neue Anleihen von privaten Gläubigern gegeben. Die
privaten Gläubiger, die Kredite über 200 Milliarden Euro halten, verzichten auf 53,5 % ihrer Forderungen (Schuldenschnitt), die übrigen 93 Milliarden Euro tauschen sie in neue griechische Staatsanleihen mit langer Laufzeit um.
Mit diesen Maßnahmen soll der Schuldenstand Griechenlands von den 160 % des BIP heute auf 120,5 % im Jahr 2020 gesenkt werden. Nun ist das Paket längst nicht fertig geschnürt. Der IWF
will, wie es heißt, nur 13 Milliarden Euro zum 130 Milliarden – Gesamtpaket beisteuern. Erst in den Tagen vom 9. bis 13. März wird sich herausstellen, wie viele der privaten Gläubiger sich mit
dem „freiwilligen Schuldenschnitt“ und dem Austausch mit neuen Papieren einverstanden erklären. Möglicherweise setzt die Hedgefonds-Fraktion ihr Interesse durch, dass der Schuldenschnitt als erzwungen anerkannt wird und sie dadurch ihre Kreditausfallversicherungen (CDS) – natürlich hat sie gegen Griechenland gewettet – einkassieren kann. Aber in der allgemeinen Richtung wird der neue Euro-Beschluss zum Tragen kommen.
Nur: Sein angebliches Ziel wird er niemals erreichen. Schon heute ist es allen Beteiligten klar, dass Griechenland die Marke, 2020 einen Schuldenstand von 120,5 % des BIP aufzuweisen, bei weitem
verfehlen wird. Nun wären ja die 120 % das Doppelte dessen, was die Maastricht-Verträge zum Euro überhaupt zulassen. Doch geht es längst nicht mehr um solche Kriterien aus grauer Vorzeit, 20 Jahre her. Zum aktuellen Griechenland-Programm hat die EU-EZB-IWF-Troika ein Gutachten
vorgelegt, dass bei Eintreffen aller positiven Annahmen Griechenland 2020 eine Staatsverschuldung von 129 % des BIP aufweisen würde. Nun darf man sagen, eigentlich egal, denn auch eine Staatsschuld von 120 % des BIP könnte Griechenland aus eigener Kraft nicht finanzieren. Nehmen wir eine Zinsrate von 5 % für die Staatsschulden an, müsste Griechenland bei 120 % BIP-Schuld jährlich 6 % seines BIP an die Gläubiger abführen. Ein Land, dass in Armut und Arbeitslosigkeit
versinkt, dass jeden Cent zur Entwicklung der Infrastruktur, der Bildung, des wirtschaftlichen Aufbaus brauchte, soll 6 % seiner Wirtschaftsleistung weggeben können an Finanzinvestoren, denen an der realwirtschaftlichen Entwicklungen des Landes gar nichts, aber alles an ihrer Höchstverzinsung liegt? Ohne den Bruch mit der Schuldenwirtschaft, mit den zinsabschöpfenden Finanzinvestoren überhaupt wird kein Schuldenland je auf die Beine kommen.
Im Falle Griechenlands liegen die Dinge noch sehr viel krasser. Das Land hat nicht nur keine Aussichten, auf die ominösen 120 % BIP-Schulden zu kommen, seine konkreten Aussichten weisen
darauf hin, dass der Schuldenstand sich über die jetzigen 160 % noch erhöhen wird. Denn auch diesmal ist das „Hilfspaket“ an Sparauflagen gebunden, die die Wirtschaftsleistung und dementsprechend
die öffentlichen Einnahmen weiter empfindlich drücken werden. Die Arbeitslosenrate liegt bereits bei klar über 20 %. Löhne und Gehälter sind seit dem Ausbruch der Krise um 30 und mehr % gesenkt worden. In den letzten Wochen und nun im Zusammenhang mit dem neuen
„Hilfspaket“ wurden Renten und Mindestlohn erneut gekürzt. Zu den aktuell erfüllten Forderungen gehört auch die Zusicherung, in den nächsten drei Jahren 150.000 Staatsbedienstete zu entlassen.
Griechenland hat 11 Millionen Einwohner. Eine entsprechende Maßnahme in Deutschland würde bedeuten, dass über eine Million öffentlich Beschäftigte ihre Arbeit verlören. Und das in einem
Land, in dem es nur für ein Jahr monatlich 400 Euro Arbeitslosengeld gibt und dann nichts mehr! Wie passend, dass Ifo-Chef Sinn eine „EU-Aufsicht“ fordert, um bei den Griechen „sicherzustellen,
dass sie den Gürtel enger schnallen“.
Eben dies geschieht im Zug der neuen „Rettung“. Dass die Griechen sich an alle Spardiktate exakt halten, soll nicht mehr, wie bisher, sporadisch kontrolliert, sondern mithilfe einer permanenten
Expertengruppe der Troika auch permanent überwacht werden. Und zukünftig haben die Griechen die Beträge für Zinsen und Tilgungen von Staatsanleihen auf ein Sperrkonto zu legen; bevor die
Griechen also an die Erfüllung öffentlicher Aufgaben denken können, haben sie zuerst einmal sicherzustellen, dass die ausländischen Kreditgeber ihr Geld erhalten.
Dieses Schlachtprogramm für Griechenland wird nicht ausreichen, lässt der Spiegel den US-Krisenspezialisten Kenneth Rogoff ausführen. Um überhaupt wettbewerbsfähig zu werden, müssten die Griechen ihre Löhne um die Hälfte senken. Die Südeuropäer insgesamt – Griechen, Portugiesen,
Spanier, Italiener – müssten begreifen, dass ihr Lebensstil unter den Bedingungen der Globalisierung nicht mehr zu halten ist. Nach Rogoff müssen diese Südeuropäer sich auf die sozialen Bedingungen Asiens einlassen, wenn sie je wieder wirtschaftlich mitspielen wollen.
Die schwarz-gelbe Regierung zieht die Spar- und Bescheidenheitskonsequenzen weit in die deutschen Lande. Um die skeptischen Euro-Partner zu überzeugen, so heißt es, wollen Merkel und
Schäuble daheim dem Sparkurs verschärfen. „Führen durch Vorbild“ heißt die Devise. Müssen die anderen sparen, so zeigen wir ihnen mal, wie das wirklich geht. Der Sozialabbau wird zu einer ideologischen Monstranz. Die perversen und fehlgeschlagenen Ideen des Neoliberalismus feiern
fröhliche Urständ als angebliches Kraut gegen die neoliberale Krise der Finanzwirtschaft und der Staatsfinanzen.
* Dieser Beitrag erschien isw-Newsletter vom Februar 2012; www.isw-muenchen.de/
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