Operation gelungen, Patient tot
Der Gläubigerverzicht verhindert die schnelle Pleite, hilft Griechenlands Wirtschaft aber nicht auf die Beine
Von Anke Stefan, Athen *
In Griechenland halten sich
Erleichterung und Zukunftsangst
die Waage. Mit dem
Schuldenschnitt und der ersten
Tranche des Rettungspaketes
hat das gebeutelte Euroland
zwar finanziell etwas
Luft gewonnen, die immensen
Probleme bleiben jedoch bestehen.
»Die größte Streichung staatlicher
Schulden«, jubelte die konservative
griechische Tageszeitung »Kathimerini
« am Morgen danach,
»Glückwunsch zum Haircut«, titelte
das Konkurrenzblatt
»Ethnos«. »Die Regierung treibt
das Volk in den Bankrott und finanziert
die Banken«, hieß es dagegen
auf der Titelseite der Zeitung
der kommunistischen Partei »Rizospastis
«. Die Zeitung der Linksallianz
SYRIZA, »Avgi« dagegen
kommentierte den erfolgreichen
Schuldenschnitt vom Donnerstag
am Freitag (9. März) nur am Rande. Ihr Titel
wurde von den ebenfalls am Donnerstag
veröffentlichten Zahlen
über Arbeitslosigkeit und Betriebsschließungen
dominiert. Danach
betrug die Arbeitslosigkeit im
Dezember 21 Prozent, bei den Jugendlichen
unter 24 ist sogar bereits
jeder Zweite ohne Anstellung.
Einer Studie des griechischen
Handelsverbandes zufolge hat
gleichzeitig mehr als ein Viertel der
Läden in den bekanntesten Einkaufstraßen
der Hauptstadt dicht
gemacht.
Um 21 Uhr Ortszeit war am
Donnerstag die Frist für die Gläubiger
zur Teilnahme an der Umschuldung
der griechischen
Staatsobligationen abgelaufen. Zu
dem Zeitpunkt hätten sich Halter
von Anleihen in Höhe von 177 Milliarden,
das entspricht einer Quote
von 85,8 Prozent beteiligt, ließ das
Finanzministerium am Abend erleichtert
verlauten. Damit wurde
die Mindestbeteiligung von 66
Prozent für ein Zustandekommen
des Deals deutlich überschritten.
Zufriedengeben wird sich Finanzminister
Evangelos Venizelos
hiermit allerdings nicht. Er wird
für die unter griechischem Recht
vergebenen Anleihen die sogenannte
Zwangsklausel aktivieren,
mit der auch die übrigen Gläubiger
zur Beteiligung gezwungen werden
können. Insgesamt sollen so 197
der 200 Milliarden Euro von privaten
Gläubigern gehaltenen Forderungen
einbezogen werden. Sie
müssen damit auf die Hälfte verzichten
und bekommen die andere
Hälfte bei längeren Laufzeiten und
niedrigeren Zinsen zurückbezahlt.
Er wolle »für die Griechische
Republik all jenen Gläubigern, die
das ehrgeizige Programm der Reformen
und Anpassungen unterstützt
und die Opfer des griechischen
Volkes in dieser historischen
Anstrengung geteilt haben«, seine
Anerkennung aussprechen, verkündete
Venizelos noch am Donnerstagabend.
Griechenland werde
fortfahren, alle Maßnahmen
umzusetzen, die für die erfolgreiche
Anpassung des Finanzwesens
und die Strukturreformen, zu denen
Griechenland sich verpflichtet
habe, notwendig seien, versprach
der Finanzminister.
Ein Erfolg lasse unweigerlich
die eigenen Sozialkassen zusammenbrechen,
kommentierte dagegen
der Vorsitzende der Parlamentarierfraktion
der griechischen
Linksallianz SYRIZA, Alexis
Tsipras, den Schuldenschnitt. Bis
zuletzt hatten sich einige der in der
Vergangenheit zum Kauf von
Staatsanleihen in Milliardenhöhe
verpflichteten Sozialkassen geweigert,
am Schuldenschnitt teilzunehmen.
Sie können nun allerdings
durch die Zwangsklausel ins
Boot geholt werden. Gleichzeitig
wies Tsipras darauf hin, dass dem
Schuldenschnitt spätestens im Juni
neue Einschnitte bei Löhnen und
Renten folgen werden. Diese werden
in den Vereinbarungen zum
Hilfspaket über neue Kredite in
Höhe von 130 Milliarden von EU
und IWF gefordert, das den Schuldenschnitt
als Voraussetzung hatte.
Für den normalen Menschen in
Griechenland hat sich die Situation
nach dem Schuldenschnitt erst
einmal nicht verändert. Seine eigenen
Schulden bei Staat und
Banken sind vom Haircut nicht
betroffen, bevor das griechische
Bankensystem mit frischem Geld
aus den neuen Krediten versorgt
ist, werden Kleinunternehmer und
Privatpersonen weiter vergeblich
auf Bankkredite warten. Auch ein
Ende der seit fünf Jahren grassierenden
Rezession mit weiteren
Betriebsschließungen und steigender
Arbeitslosigkeit ist nicht
abzusehen. Und selbst die für Ende
April versprochenen Wahlen stehen
unter einem großen Fragezeichen.
Umfragen zufolge wird keine
der das Schuldenmemorandum
stützenden Parteien eine Alleinregierung
erreichen, selbst eine stabile
Koalition der Memorandumsbefürworter
erscheint schwierig.
Sicher ist dagegen, dass die
Parteien der Memorandumsgegner
zulegen werden. Unter diesen Voraussetzungen
könnte Ministerpräsident
Papademos entscheiden,
den Wahltermin erneut zu verschieben.
Formal läuft die Legislaturperiode
erste im September
kommenden Jahres ab. Sollte die
Regierung bis dahin nicht gestürzt
werden, kann niemand den Ministerpräsidenten
zwingen, vorgezogene
Neuwahlen auszurufen.
* Aus: neues deutschland, 10. März 2012
Wie weiter nach dem Schuldenschnitt?
Den Griechen und der gesamten Eurozone stehen auch in Zukunft entscheidende Tage bevor.
09. März: Nach dem Schuldenschnitt
geben die EU-Finanzminister
das zweite Hilfspaket zum Teil frei.
30 Milliarden Euro zur Unterstützung
des Schuldenschnitts plus 5,5 Milliarden
Euro für die Begleichung aufgelaufener
Zinsen stehen nun bereit.
Eine endgültige Entscheidung über
das Gesamtpaket soll Anfang kommender
Woche fallen.
12. März: Nach bisherigen Planungen
sollen die verschiedenen Verträge
zum Tausch der alten in neue
Staatsanleihen mit langen Laufzeiten
und günstigeren Konditionen unterzeichnet
werden.
12./13. März: Die Finanzminister
der Eurogruppe und der EU treffen
sich zu ihrer planmäßigen Sitzung in
Brüssel.
20. März: Anleihen Griechenlands
über 14,5 Milliarden Euro werden
fällig. Ohne das neue Hilfspaket
könnte das Euroland die Schulden
nicht zurückzahlen.
April: Wahlen in Griechenland sollen
für klare politische Verhältnisse
sorgen. Die 17 Eurostaaten erwarten,
dass sich die Parteien weiter zum
Sparen verpflichten.
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