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Griechenland vor heißem Winter

Nun haben sie ihn, die Griechen, ihren Vollzugsbeamten

Von Hansgeorg Hermann *

Nun haben sie ihn, die Griechen, ihren Vollzugsbeamten. Loukas Papadimos, 64 Jahre alter Makroökonom und in der kapitalistischen Welt als ausgewiesener Fachmann für die Strukturen und Funktionen der Finanzmärkte bekannt, ist – pünktlich zum Beginn des Karnevals (11.11.) – designierter Ministerpräsident des hochverschuldeten Landes am südlichen Rand Europas. Vorgeschlagen vom Staatspräsidenten Karolos Papoulias, der allerdings nur dem in drei Tagen und drei Nächten von den Führern der beiden großen Parteien ausgeheckten Personalplan folgte. Hinter Papadimos, der die von Brüssel geforderten Sparmaßnahmen durchsetzen soll, stehen – bis auf weiteres – der scheidende bisherige Ministerpräsident Giorgos Papandreou (PASOK), der Chef der rechtskonservativen Partei Nea Dimokratia (ND), Antonis Samaras – und der Führer der rechtsextremistischen LAOS, Giorgos Karatzaferis.

Papadimos muß laut griechischer Verfassung innnerhalb der nächsten 15 Tage von einer einfachen Parlamentsmehrheit gewählt werden. Danach ist er frei, sich seine Minister auszusuchen. Oder es ganz alleine zu machen, was ihm die Verfassung, die Syntagma, ebenfalls erlaubt.

Mit Papadimos hat sich schließlich, nach langen nächtlichen Streitrunden, konspirativen Smalltalks in öffentlichen Parkanlagen und Hinterstuben von Kaffeehäusern, der Kandidat der Europäischen Gemeinschaft und des bisherigen Premiers durchgesetzt. Der Ökonom stand schon lange auf Papandreous Wunschliste für das Finanzministerium, hatte es aber bisher immer abgelehnt, in das Kabinett des Regierungschefs einzutreten. Nun hat er sich selbst auf dessen Sessel gesetzt und wird von dort aus Europas für Griechenland beschlossene Spar-, sprich Strafmaßnahmen durchsetzen. Sofern ihn das Volk läßt.

Wenn es nach Samaras, Papandreou und Karatzaferis geht, hat er dafür nur bis zum 19. Februar Zeit. Dann sollen die Bürger wieder zu den Urnen gebeten werden, um ein neues Parlament zu wählen und eine neue Regierung, die Papadimos’ Übergangskabinett ablösen und den Banker dahin zurückschicken würde, wo er hergekommen ist: in den Ruhestand. Bis dahin haben die Brüsseler Kassenwarte sozusagen direkten Zugriff auf das griechische Budget. Papadimos war acht Jahre lang selbst in Brüssel zu Hause, als Stellvertreter Jean-Claude Trichets, des Chefs der Europäischen Zentralbank. Dritte in dieser trauten Runde ist die Französin Christine Lagarde, Direktorin des Internationalen Währungsfonds und gelernte Anwältin, deren New-Yorker Kanzlei sich zudem bestens mit Waffengeschäften auskennt. Wie amerikanische Blogger jüngst aufdeckten, vermitteln die Kollegen Lagardes unter anderem den Handel mit Kriegsgerät zwischen der US-amerikanischen Militärindustrie und Kleinstaaten wie Polen – und Griechenland.

Es wird ein heißer Winter werden für diese ganz besondere Troika. Das haben griechische Gewerkschaften und die Linksparteien, die echten, schon versprochen.

* Aus: junge Welt, 12. November 2011


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