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Papandreou dreht das Personalkarussell

Griechenlands Ministerpräsident bildet Regierung um / Parlamentsfraktion soll auf Linie gebracht werden

Von Anke Stefan, Athen *

Das »neue« griechische Kabinett von Giorgos Papandreou und dem Vizeministerpräsidenten und Finanzminister Evangelos Venizelos ist am Freitag in Athen vereidigt worden. Die Regierung will nach Angaben ihres Sprechers am Dienstagnachmittag (21. Juni) im Parlament die Vertrauensfrage stellen.

Am Freitagmittag (17. Juni) wurde sie von Evsebios, dem Erzbischof von Samos und Ikaria, vereidigt, und unmittelbar danach nahm sie mit der ersten Sitzung ihre Arbeit auf: die neue griechische Regierung von Giorgos Papandreou. Eine Vorstellungsrunde konnte ausfallen. Denn die meisten Gesichter sind dieselben geblieben, auch wenn einige Minister nun in anderen Sesseln sitzen. An der von der Bevölkerung abgelehnten Politik der drastischen Sparmaßnahmen wird weiter festgehalten. Das hatte Ministerpräsident Papandreou bereits am Mittwoch, bei der Ankündigung einer Regierungsumbildung, unmissverständlich klar gestellt.

Wer gehofft hatte, dass die neue Zusammensetzung zumindest Anzeichen für frischen Wind in der Regierung bringen würde, sah sich am Freitag getäuscht. Im Grunde verteilte Papandreou einige Ämter auf die bereits in der letzten Regierung vertretenen Minister neu, viele behielten ihre Posten sogar. Lediglich drei Minister verloren ihr Ressort, darunter auch die engagierte Umweltministerin Tina Birbili. Sie hatte sich für rigorose Maßnahmen gegen das Bauen in Naturschutz- und Waldgebieten eingesetzt, war aber am Widerstand von Parteikollegen der PASOK gescheitert, die mit dem Blick auf Wählerstimmen lieber die Augen bei illegalen Neubauten zudrücken wollen. Ebenfalls nicht mehr in der Ministerriege vertreten sind Außenminister Dimitris Droutsas und Arbeitsministerin Loukas Katselis, die sich in den letzten Monaten zu einer scharfen Kritikerin der Sparmaßnahmen entwickelt hatte.

Die wichtigste Änderung betrifft das Finanzministerium. Giorgos Papakonstantinou, der starke Mann in der Regierung, wurde von Papandreou ins Umweltministerium versetzt. Der Mann mit der Leidenschaft für Zahlen wird hier sicher nicht wie seine Vorgängerin die Ökologie über die Wirtschaftsinteressen des Landes stellen. Obwohl es in Griechenland traditionell immer der Ministerpräsident ist, der wie ein Monarch die politische Linie der Regierung bestimmt, war sein Finanzminister von vielen für die Misserfolge der Sparpolitik verantwortlich gemacht worden. Weil direkte Kritik aus den Reihen der Regierungspartei PASOK am Ministerpräsidenten als Destabilisierung Papandreous gewertet worden wäre, war Papakonstantinou auch von Parteifreunden stellvertretend angegriffen worden.

Neuer Finanzminister wird der bisherige Verteidigungsminister Evangelos Venizelos, der – neben dem bereits als stellvertretender Premier amtierenden Theodoros Pangalos – gleichzeitig auch das Amt eines Vizeministerpräsidenten bekleiden wird. Papandreou beruft damit seinen stärksten innerparteilichen Rivalen auf gleich zwei der wichtigsten Regierungsposten. Venizelos war 2007, als sich Papandreou nach zwei Parlamentswahlniederlagen im Parteivorsitz bestätigen ließ, gegen den Parteivorsitzenden angetreten, bei der Abstimmung jedoch klar unterlegen.

Die konservative Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) bezeichnete die Auswechselung des Finanzministers als »Eingeständnis der Erfolglosigkeit der Wirtschaftspolitik der Regierung«. Oppositionsführer Antonis Samaras, dessen Partei nach neuesten Umfragen erstmals vor der PASOK liegt, hatte bereits nach dem Scheitern der Verhandlungen über eine Koalition zwischen Nea Dimokratia und PASOK am Mittwoch Neuwahlen gefordert.

Auch die beiden linken Oppositionsparteien setzen sich für Neuwahlen ein. Für die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) wurde mit der Regierungsumbildung lediglich »eine weitere für das Volk gefährliche Regierung zur Absicherung der neuen barbarischen Maßnahmen und der Vorbereitung der offensichtlichen Zusammenarbeit der Parteien der Plutokratie« geformt. Für die Linkspartei Synaspismos ist es »völlig gleichgültig, wer die ungerechteste und unsozialste Politik der vergangenen Jahrzehnte umsetzt«. »PASOK und Nea Dimokratia sind Teil des etablierten faulen politischen Systems der letzten Jahrzehnte«, erklärte die Partei.

Mit der Regierungsumbildung hofft der Ministerpräsident, seine Parlamentsfraktion nach der immer lauter geäußerten Kritik an den Sparmaßnahmen in den letzten Wochen wieder geschlossen hinter sich zu bringen. Dies ist auch nötig, wenn er in den kommenden Tagen – wie angekündigt – im Parlament die Vertrauensfrage stellen will. Darüber wird voraussichtlich Dienstagnacht abgestimmt. Sollten Papandreou weniger als 151 der verbliebenen 155 PASOK-Abgeordneten das Vertrauen aussprechen, wären Neuwahlen in Griechenland wohl unausweichlich.

* Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2011

Schwergewicht: Evangelos Venizelos wird neuer Finanzminister in Athen

Von Kurt Stenger

Für den Posten des Finanzministers braucht es ein echtes Schwergewicht, wird sich der griechische Premier Giorgos Papandreou bei der jetzt verkündeten Kabinettsumbildung gedacht haben. Evangelos Venizelos ist dies nicht nur von der körperlichen Statur her. Auch verfügt der 54-Jährige über eine starke Hausmacht in der regierenden Panhellenischen Sozialistischen Bewegung (PASOK) und gilt als durchsetzungsfähig. Beides braucht die angeschlagene Regierung dringend, um ihr das Überleben zu sichern und vorgezogene Neuwahlen zu verhindern, bei denen die Erfolgsaussichten gleich null wären.

Venizelos ist anders als sein Amtsvorgänger Giorgos Papakonstantinou kein Finanzfachmann. Dieser galt als Technokrat und schnürte in engster Abstimmung mit EU und IWF die Sparkpakete, die das Land in eine tiefe gesellschaftliche Krise gestürzt und massive Proteste provoziert haben. Nachfolger Venizelos ist dagegen Jurist. An der Universität seiner Heimatstadt Thessaloniki hat er eine Professur für Verfassungsrecht inne und gilt als ein führender Staatsrechtler des Landes. Seine politische Karriere begann der Vater einer Tochter 1993 als Parlamentarier. In mehreren PASOK-Regierungen übte er seither die unterschiedlichsten Ministerposten aus, zuletzt war er Verteidigungsminister im Kabinett Papandreou.

Dass der Neue das Spar- und Privatisierungspaket aufschnüren wird, ist kaum zu erwarten. Seine Aufgabe als Finanzminister und Vizepremier ist es, Mehrheiten zu organisieren und die Flügel der eigenen Partei zusammenzuhalten, der mehrere Abgeordnete den Rücken gekehrt haben. Sollte Papandreou dennoch scheitern, stünde Venizelos wohl als Nachfolger bereit – 2007 wollte er diesen schon mal von der Parteispitze verdrängen, damals noch vergeblich.

Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2011



Schulterschluss zwischen Sarkozy und Merkel

Einigung über Beteiligung von Banken und Versicherungen an Griechenland-Paket ohne Einzelheiten

Von Olaf Standke **


Demonstrativer Schulterschluss war angesagt am Freitag in Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy zeigten sich nach ihrem Treffen grundsätzlich einig, in die Lösung der Griechenland-Krise nun auch Banken und Versicherungen einzubeziehen.

»So viele strittige Themen zwischen beiden Ländern gab es schon lange nicht mehr«, schätzte Claire Demesmay von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vor dem gestrigen Minigipfel ein. Mit dem Euro, Libyen und dem deutschen Atomausstieg gebe es ungewöhnlich viele Fragen, bei denen Paris und Berlin nicht an einem Strang ziehen. Zumindest in der Griechenland- und damit Euro-Krise fand man wieder eine gemeinsame Sprache.

»Frankreich und Deutschland unterstützen gemeinsam nach allen Kräften den Euro«, versicherte Sarkozy auf der Pressekonferenz. Wobei die Einzelheiten des Rettungsplans noch mit der Europäischen Zentralbank (EZB) ausgehandelt werden müssen. Zumindest grundsätzlich aber hat Frankreich seinen Widerstand gegen eine vom Bundestag zur Bedingung gemachte Beteiligung privater Banken und Versicherungen aufgegeben – allerdings müssten die Leistungen strikt freiwillig sein. Doch es gibt bislang ohnehin keine rechtliche Grundlage für einen »Pflichtbeitrag«.

Bei der EZB befürchtet man, dass nach einem von der Bundesregierung favorisierten Zahlungsaufschub für Athen diese Anleihen bis hin zum Ramsch-Status abstürzen und so von der Zentralbank nicht mehr als Sicherheit akzeptiert werden könnten. Paris stieß sich bis zuletzt auch an der vorgeschlagenen Laufzeitverlängerung von sieben Jahren, da französische Banken besonders stark in Griechenland engagiert sind und hohe Wertberichtigungen befürchten müssten. Inzwischen verkneift man sich in Berlin konkrete Terminierungen.

So wie beim zweiten Hilfspaket für Griechenland. Das aktuelle hat ein Volumen von 110 Milliarden Euro. Auf dem EU-Gipfel nächste Woche müssen die Staats- und Regierungschefs zumindest sicherstellen, dass der Internationale Währungsfonds (IWF) der Auszahlung der dringend benötigten nächsten Kredittranche über zwölf Milliarden Euro im Juli zustimmen kann. Experten gehen aber davon aus, dass bis zu 120 Milliarden Euro zusätzliche Unterstützung notwendig sind – verbunden mit einer weiteren Verschärfung des Sparkurses in Griechenland.

Merkel und Sarkozy forderten jetzt einen neuen Prüfbericht der Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF über die Lage dort. Differenzen unter den Euro-Partnern, so ist zu hören, könnten das neue Paket noch bis September verzögern, während Merkel gestern »möglichst schnelles Arbeiten« versprach.

Ihr Vorgehen in der Krise wird in der EU weiter argwöhnisch beäugt. So schrieb die polnische Wirtschaftszeitung »Dziennik Gazeta Prawna« am Freitag, dass die Initiatorin einer Beteiligung aller EU-Staaten am Hilfspaket jetzt einen pathetischen Ton anschlage und von Solidarität, Verantwortung und Rettung der Integration spreche. Diese Worte hätten gefehlt, als sich Griechenland bei deutschen und französischen Banken massiv verschuldete. »Es gab den Konsum, es gab die Nachfrage nach deutschen Waren. Ein Eldorado. Jetzt will Berlin allen Ländern die Rechnung ausstellen, ohne zu berücksichtigen, dass nicht alle europäischen Banken von der griechischen Konjunktur profitierten.«

Drohende Pleite

Griechenland wäre Mitte Juli pleite, wenn es kein neues Geld bekommt. Die Finanzminister der Euro-Länder kommen daher am Sonntag (19. Juni) in Luxemburg zu einem Krisentreffen zusammen. Da die Zeit für die Vereinbarung eines zweiten Rettungsprogramms nicht ausreicht, fordert EU-Währungskommissar Olli Rehn, am Sonntag (19. Juni) die Auszahlung der fünften Tranche des bereits im vergangenen Jahr vereinbarten ersten Hilfspakets für Griechenland über insgesamt 110 Milliarden Euro zu beschließen. Die Rate in Höhe von zwölf Milliarden Euro setzt sich aus Krediten der Euro-Länder sowie des Internationalen Währungsfonds (IWF) zusammen. Damit wäre eine Pleite Griechenlands zunächst abgewendet, das Geld würde aber nur bis September reichen. Langfristige Lösungen wie eine Umschuldung werden diskutiert. AFP/ND



** Aus: Neues Deutschland, 18. Juni 2011


Banken dürfen, wenn sie wollen

Merkel und Sarkozy: Gläubiger sollen an Griechenland-Hilfe beteiligt werden. Details weiter offen ***

Deutschland und Frankreich wollen private Gläubiger auf freiwilliger Basis an der Griechenland-Rettung beteiligen. Das sagten Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy am Freitag (17. Juni) nach einem Treffen in Berlin – ohne aber Details über den Umfang und die genaue Vorgehensweise zur Einbindung des Privatsektors zu nennen. »Wir wünschen uns eine Beteiligung privater Gläubiger auf freiwilliger Basis«, sagte Merkel. Für eine verpflichtende Beteiligung gebe es keine rechtliche Grundlage. Zudem müsse die Beteiligung des Privatsektors im Einvernehmen mit der Europäischen Zentralbank (EZB) erfolgen. Sarkozy sagte, er habe sich mit Merkel auf vier Prinzipien für das neue Hilfspaket geeinigt: Private Gläubiger sollten auf freiwilliger Basis daran beteiligt werden, »ein Kreditereignis, einen Zahlungsausfall« Griechenlands dürfe es nicht geben, die EZB müsse zustimmen, und es müsse schnell eine Lösung geben.

Athen hatte im vergangenen Jahr internationale Notkredite über 110 Milliarden Euro gewährt bekommen. Inzwischen ist jedoch klar, daß weitere Hilfen notwendig sind, um das Land vor dem Bankrott zu bewahren. Streitpunkt zwischen Frankreich und Deutschland war bislang die Beteiligung privater Gläubiger an der Griechenland-Hilfe. Berlin wollte dabei einen möglichst verbindlichen Beitrag des Privatsektors durchsetzen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte etwa vorgeschlagen, die Laufzeiten für griechische Staatsanleihen um sieben Jahre zu verlängern.

Das ging Frankreich aber zu weit. Die französische Regierung will die Privaten nur auf freiwilliger Grundlage ins Boot holen. Französische Banken sind mit Milliardenbeträgen in Griechenland engagiert, drei Großbanken könnten deshalb sogar im Rating heruntergestuft werden. Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hielten die französischen Kreditinstitute Ende 2010 rund 10,5 Milliarden Euro der griechischen Staatsschuld, die deutschen 15,3 Milliarden Euro. (AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 18. Juni 2011


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