Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Athener Demokratie

Regierung will Schuldenreferendum, Opposition lieber Neuwahlen

Von Anke Stefan, Athen *

Die Ablehnung des in der vergangenen Woche mit der Euro-Gruppe ausgehandelten Schuldenschnitts fällt in Griechenland deutlich aus. Sollte das Paket durchfallen, könnte dies zu Neuwahlen führen.

Seit 1974 hat es keine Volksabstimmung mehr in Griechenland gegeben. Damals, kurz nach Ende der Militärdiktatur, waren die Bürger aufgefordert, über die Zukunft der Monarchie zu entscheiden. Mit dem Ergebnis, dass König Konstantin II. endgültig abdanken musste. Bei dem am Montag von Giorgos Papandreou angekündigten Referendum wird es dagegen vordergründig um eine ökonomische Frage gehen. Denn der Ministerpräsident will seine Wähler über die Zukunft des erst vergangene Woche in Brüssel mit den Gläubigern vereinbarten Schuldenschnitts abstimmen lassen. Im Hintergrund aber steht auch hier die Frage, wer das Land regiert. Denn Bestandteil eben jenes Abkommens ist die Installation einer ständigen internationalen Aufsicht in Athen, was einem Verzicht des Landes auf einen nicht unerheblichen Teil seiner nationalen Hoheitsrechte gleichkommt.

Doch trotz anhaltender Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und massenhafter Verelendung, die das von den Gläubigern verordnete Sparprogramm zur Konsolidierung der Staatsfinanzen verursacht hat, wollen die meisten Menschen im krisengebeutelten Griechenland in EU und Eurozone bleiben. Das ist zumindest das Ergebnis einer erst am Sonntag in der griechischen Zeitung »To Vima« veröffentlichten Umfrage. Demnach befürchteten 58,9 Prozent der Befragten negative Entwicklungen durch den in Brüssel verabredeten Schuldenschnitt. Gleichzeitig votierten 72,5 Prozent für einen Verbleib in der Gemeinschaftswährung.

In der nicht repräsentativen Leserabstimmung des Nachrichtenportals »in.gr« lagen die Gegner des Abkommens am Dienstagmittag bereits deutlich in Führung. Von den knapp 7000 abgegebenen Stimmen entfielen 48 Prozent auf das Nein, 34,5 Prozent stimmten für das Abkommen, nur 7,34 Prozent erklärten, noch unentschlossen zu sein.

Sollte das Abkommen wirklich durchfallen, könnte dies zum unkontrollierten Konkurs Griechenlands, dem Austritt aus dem Euro, zumindest aber zu Neuwahlen führen. Die werden von der Opposition ohnehin gefordert. Bei der Ausrufung des Referendums handele es sich um »fortgesetzten Betrug am griechischen Volk«, erklärte der wirtschaftspolitische Sprecher der konservativen Oppositionspartei Nea Dimokratia. »Mit Blick auf sein politisches Überleben und seine persönlichen Interessen« zögere Papandreou nicht einmal, »unser Vaterland in ernsthafte Gefahr zu bringen«, wetterte Giannis Vroutsis. Die Lösung sei eine andere: »Neuwahlen jetzt!« Der Vorsitzende der Parlamentarierfraktion der Linksallianz SYRIZA bezeichnete die Entscheidung für den Volksentscheid als »gefährlichen Würfelwurf«, der die Demokratie in Verruf bringe. Für die Kommunistische Partei Griechenlands KKE handelt es sich um »die Einrichtung eines Mechanismus zur Erpressung des Volkes«, der das Ziel habe, »die Arbeiterklasse und die Schichten des Volkes in die Knie zu zwingen, um das Ja zum neuen Abkommen zu rauben«. Auch die beiden linken Parteien forderten die Regierung auf, Neuwahlen anstelle des geplanten Referendums anzuberaumen.

Sollten diese tatsächlich stattfinden, könnte die Nea Dimokratia der bereits oben erwähnten Umfrage zufolge mit 22,2 und die PASOK mit 14,7 Prozent der Stimmen rechnen. Die KKE käme auf 9,1, die rechtspopulistische LAOS auf 6,3 und die Linksallianz SYRIZA auf 5,1 Prozent. Weitere 10 Prozent entfielen auf drei kleinere Parteien, die fehlenden über 30 Prozent verteilen sich auf Nichtwähler und Unentschlossene. Derselben Umfrage zufolge stehen die Wähler selbst der Forderung nach Neuwahlen jedoch skeptisch gegenüber. Nur 37,3 Prozent favorisieren den Gang zur Urne, 55,2 Prozent bevorzugen die freiwillige Bildung einer Mehrparteienregierung zur »nationalen Rettung des Landes«. Für eine solche Lösung hatte Giorgos Papandreou in der Vergangenheit mehrfach geworben, war aber bei der Opposition durchgängig auf Ablehnung gestoßen.

Zu Neuwahlen könnte es auch kommen, sollte die ebenfalls am Montag von Papandreou gestellte Vertrauensfrage für ihn negativ ausgehen. Mit der für Freitag angesetzten namentlichen Abstimmung will der Ministerpräsident sich ein weiteres Mal der Unterstützung der ihm verbliebenen knappen Mehrheit von 152 Parlamentariern versichern. Deren Stimmen sind in den nächsten Wochen für die Verabschiedung weiterer Kürzungen und Einschnitte nötig, die aus früheren Abkommen mit den Gläubigern resultieren. Angesichts des drohenden Konkursszenariums ist es allerdings unwahrscheinlich, dass PASOK-Abgeordnete Papandreou die Stimme verweigern.

* Aus: neues deutschland, 2. November 2011


Papandreou: Ihr seid das Volk!

EU und Börsen verunsichert über Referendum in Griechenland

Von Uwe Sattler **


Mit der Ankündigung einer Volksabstimmung zum Rettungspaket für Griechenland hat Ministerpräsident Giorgos Papandreou ein neues Beben in Europas Schuldenkrise ausgelöst.

Erstmals sollen nicht Regierungsvertreter oder Geheimgremien hinter verschlossenen Türen über ein Sparprogramm entscheiden, sondern die Betroffenen selbst. Griechenlands Premier Giorgos Papandreou kündigte am Montagabend einen Volksentscheid über das Rettungspaket an, das die Euro-Staaten seinem Land am vergangenen Donnerstag diktiert hatten. Die Runde hatte Athen nochmals eine 100-Milliarden-Tranche zugesichert und verlangt, den Schuldenstand des Landes von derzeit 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf 120 Prozent bis 2020 zu drücken. Der »Schuldenschnitt« ist an weitere harte Sparmaßnahmen und eine stärkere Kontrolle der griechischen Haushaltspolitik durch EU, Europäische Zentralbank und Währungsfonds geknüpft.

Vier Sparpakete hat die Athener Regierung auf EU-Weisung seit Anfang 2010 auf den Weg gebracht, die Maßnahmen reichen von einer Mehrwertsteuererhöhung über die Anhebung des Rentenalters bis zur rigorosen Kürzung von Sozialleistungen und Entlassungen im Staatsdienst. In einer Meinungsumfrage vom Wochenende sehen nicht einmal 13 Prozent der Befragten etwas Positives in dem jüngsten Brüsseler Schuldendeal. Trotzdem ließ sich Papandreou von seinem Vorhaben nicht abbringen: »Der Willen des Volkes ist bindend«, betonte er vor Abgeordneten seiner sozialistischen PASOK-Partei. Lehne das Volk die Vereinbarung ab, »wird sie nicht verabschiedet«. Das Referendum wird jedoch erst abgehalten, wenn die Einzelheiten des Schuldendeals ausgehandelt sind. Das könnte Anfang 2012 sein. Ob Papandreou den Ausgang des Referendums noch als Premier erlebt, ist fraglich. Er kündigte für Freitag eine Vertrauensabstimmung im Parlament an, in dem seine Partei - nach einem Austritt am Dienstag - nur noch 152 der 300 Mandate hält.

Die Reaktionen auf die Ankündigung waren absehbar. An der Frankfurter Börse stürzte der Dax am Dienstag ab, lag am Ende bei Minus fünf Prozent. Brüssel zeigte sich verschnupft, Banker sprachen vom »Selbstmord« Griechenlands und deutsche Unionspolitiker sahen sich von der Regierung in Athen getäuscht. Während Bundeskanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy hektisch ein Krisentreffen vereinbarten, brachte Finnland wieder einmal einen Rauswurf der Griechen aus der Euro-Zone ins Gespräch. Aus der Linksfraktion im Bundestag gab es dagegen Lob für den Schritt Papandreous. Allerdings sehen die linken Parteien in Griechenland das geplante Referendum durchaus kritisch: Der Premier könnte sich damit nur das Plazet für weitere Sparmaßnahmen holen wollen.

** Aus: neues deutschland, 2. November 2011


Tumult um Athen

Von Arnold Schölzel ***

Die Helden des EU-Gipfels der vergangenen Woche hätten nicht aus Brüssel abreisen müssen. Nach der Ankündigung einer Volksabstimmung in Griechenland über das in Brüssel verordnete sogenannte Rettungspaket treffen sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy bereits am heutigen Mittwoch zum nächsten Krisentreffen, diesmal in Cannes, wo am Donnerstag und Freitag der G-20-Gipfel stattfindet. Die Drohung Athens mit etwas Demokratie hatte am Dienstag die EU-Regierungen, Hinterbänkler von CDU/CSU, deutsche Wirtschaftsverbände und die Börsen in leichte Panik versetzt. EU-Vertreter äußerten dagegen, sie hätten »volles Vertrauen« in die Zusagen der griechischen Regierung, Politiker der deutschen Linkspartei begrüßten das griechische Referendum.

Regierungssprecher Steffen Seibert teilte am Dienstag in Berlin mit, Merkel und Sarkozy hätten in einem Telefonat vereinbart, bei ihren Beratungen, an denen auch die zuständigen EU-Institutionen und der Internationale Währungsfonds (IWF) teilnehmen sollen, auf Wege zur »umgehenden Umsetzung« des Gipfel-Diktats gegenüber Griechenland vom 27.Oktober zu drängen. Seine an die Rhetorik des DDR-Politikers Günter Schabowski am 9.November 1989 (»sofort, unverzüglich«) erinnernde Wortwahl bekräftigte Seibert mit dem Satz: »Deutschland und Frankreich wünschen, daß in Abstimmung mit ihren europäischen Partnern und dem IWF bald ein Zeitplan zur Umsetzung dieser Vereinbarung angenommen wird.« Beide Länder seien weiterhin überzeugt, »daß diese Übereinkunft Griechenland die Rückkehr zu einem dauerhaften Wachstum erlaubt«. Sie seien »entschlossen, gemeinsam mit ihren europäischen Partnern die vollständige und umgehende Umsetzung der Gipfelentscheidungen zu gewährleisten, die heute notwendiger sind denn je«.

Diese Sicht der Dinge teilen nur wenige. Vertreter der deutschen Industrie reagierten überwiegend mit Kritik auf das geplante Referendum. Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, erklärte gegenüber dapd, er sehe in der Abstimmung eine Gefahr für die Euro-Rettung. Der Präsident des Bundesverbandes Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Anton F. Börner, bezeichnete das Referendum als unverantwortlich. Unter dem Titel »Finanzbranche fürchtet den Ernstfall in Griechenland« zitierte Reuters am Dienstag u.a. die Fondsgesellschaft Allianz Global Investors: »Ein drohender Domino-Effekt bei anderen Peripherie-Ländern ist real. Wir könnten letztlich den Anfang vom Ende der Euro-Zone sehen, wie wir sie kennen.«

Der Deutsche Aktienindex (Dax) gab bis Dienstag nachmittag um mehr als sechs Prozent nach. Vor allem die Kurse der Finanzinstitute gerieten unter Druck und brachen teils um fast zehn Prozent ein. Die Börse in Mailand verlor mehr als sieben Prozent. Auch die Handelsplätze in Paris, Madrid und London reagierten negativ.

Vertreter der Regierungskoalition äußerten sich mit »nicht mehr nachvollziehbar« (CSU-Parlamentsgeschäftsführer Stefan Müller) und Andeutungen über einen Austritt Athens aus der Euro-Zone (FDP-Finanzexperte Hermann-Otto Solms). Linksfrak­tionschef Gregor Gysi begrüßte dagegen die Abstimmung. Es sei ein wichtiges Signal, die Griechen erstmals in die Euro-Rettungspolitik einzubeziehen.

*** Aus: junge Welt, 2. November 2011


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage