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Herabgestuft und vor dem Ausverkauf

Proteste in Griechenland gehen weiter *

In Athen wird weiter protestiert, während die Diskussion um zusätzliche Hilfen für Griechenland andauert und die Ratingagentur Moody's das Land auf »Ramschniveau« abwertet. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fordert derweil, auch private Gläubiger zu beteiligen.

Während die Regierung in Athen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Union und der Europäischen Zentralbank (EZB) fieberhaft über ein Rettungspaket für das hoch verschuldete Eurozonenland verhandelt, erhöhte die Ratingagentur Moody's den Druck auf alle Beteiligten. Sie stufte die Kreditbewertung Griechenlands um mehrere Stufen von »B1« auf »Caa1« nach unten und damit tief in die Kategorie »Ramschstatus«. Als Grund nannten die Experten von Moody's unter anderem das hohe Risiko, dass Griechenland es nicht schaffe, seine Verschuldung unter Kontrolle zu bringen. Selbst bei einem denkbar positiven Szenario seien die Staatsfinanzen des Landes in den kommenden Jahren durch mögliche Konjunktureinbrüche gefährdet. Das Kreditrisiko Griechenlands sei nunmehr »sehr hoch«, kommentierte der Experte Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank die jüngste Entwicklung.

Derweil verliert die politische Klasse in Griechenland immer mehr Rückhalt bei den Bürgern. Zehntausende demonstrieren nun schon seit neun Tagen vor dem Parlament in Athen und in anderen Städten gegen die geplanten Privatisierungen und die Sparmaßnahmen der Regierung. Abend für Abend machen die Menschen ihrem Ärger Luft. Aufgebrachte Bürger bewarfen auf der Insel Korfu in der Nacht zum Donnerstag mehrere Abgeordnete des Parlamentes mit Steinen. Am Vorabend hatten in Athen Demonstranten Abgeordnete bespuckt und beschimpft, als sie das Parlamentsgebäude verließen.

Die Überprüfung durch EU, EZB und IWF soll in dieser Woche abgeschlossen werden. Die »Troika« will dazu heute eine gemeinsame Erklärung vorlegen. Dies war am Donnerstag aus EU-Kreisen zu erfahren. Laut ergänzenden Angaben von Diplomaten wird bereits an einem neuen Paket für Athen gearbeitet – in Griechenland ist von 65 Milliarden Euro die Rede.

Die Bundesregierung knüpft eventuelle weitere staatliche Finanzhilfen für Griechenland an die Beteiligung privater Gläubiger. Das sei eine »klare Erwartung«, sagte Martin Kotthaus, der Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble am Mittwoch in Berlin. »Wenn die öffentliche Seite – also auch der Steuerzahler – sich bereit finden müsste oder würde, den Griechen mehr Zeit zum Atmen zu geben, dann halte ich es für selbstverständlich, dass auch die privaten Gläubiger sich einem derartigen Projekt anschließen würden, in einer Verantwortung für das Ganze«, sagte Kotthaus. Die Einzelheiten seien allerdings derzeit noch nicht klar, das hänge auch von der laufenden Überprüfung ab.

* Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2011


Null Verantwortung

Von Haidy Damm **

Während in Athen und anderen griechischen Städten die Proteste gegen die Sparpläne und die geforderten Privatisierungen von Staatsunternehmen andauern, »erwartet« der deutsche Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von der Privatwirtschaft, sich an neuen Finanzpaketen für das krisengeschüttelte Land zu beteiligen. Schließlich hätten auch sie »eine Verantwortung fürs Ganze«. Bei den Demonstranten auf dem Syntagmaplatz wird diese Forderung sicher auf ebenso wenig Begeisterung stoßen wie bereits der Vorschlag, das deutsche Modell »Treuhandanstalt« zu exportieren. Griechenland steht vor dem Ausverkauf. Die »Troika« aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und Europäischer Union will die neoliberale Umstrukturierung voranbringen. Verkauft wird alles, was Gewinn bringt – privaten Gewinn. Dagegen wurden die Schuldenpapiere Griechenlands bereits überwiegend umgeschichtet – zu Lasten der öffentlichen Hand. Damit stehen nicht mehr die privaten Gläubiger, also die Banken, in der Verantwortung, sondern letztlich die Steuerzahler. Gewinne werden weiterhin privatisiert, Verluste sozialisiert. Da könnte es fortschrittlich daherkommen, dass Schäuble an die Verantwortung der Unternehmen appelliert. Ist es aber nicht, denn damit verschleiert der Finanzminister bewusst, dass die privaten Gläubiger sich in den vergangenen Wochen bereits mit Hilfe der »Troika« aus eben dieser Verantwortung gezogen haben.

** Aus: Neues Deutschland, 3. Juni 2011 (Kommentar)

Griechenland weiter herabgestuft

Ratingagentur sieht hohe Risiken für weitere Staatsanleihen ***

Das Vertrauen in die griechischen Staatsfinanzen sinkt weiter: Die Ratingagentur Moody’s stufte die Bonität griechischer Staatsanleihen erneut herunter und droht mit einer weiteren Herabstufung. Moody’s begründete die Entscheidung vom Mittwoch, Griechenland vom Niveau B1 auf Caa1 herabzustufen, mit dem erhöhten Risiko, daß Athen seine Finanzkrise nicht ohne Umschuldung in den Griff bekomme. Außerdem erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, daß Griechenlands Geber der Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) die Freigabe ihrer Finanzhilfe an die Beteiligung privater Kreditgeber an der Umschuldung knüpfen könnten.

Das griechische Finanzministe­rium erklärte, Moody’s Entscheidung sei durch »intensive Spekulationen« in Print- und elektronischen Medien beeinflußt und lasse die Anstrengungen der Regierung in Athen zur Stabilisierung der Finanzen außer acht. Experten der Troika prüfen derzeit, ob Griechenland beim vereinbarten Schuldenabbau vorankommt. Von der Untersuchung hängt ab, ob die fünfte Tranche über zwölf Milliarden Euro der internationalen Notkredite ausgezahlt wird. Nach Presseberichten könnten neue Nothilfen für das Land in Höhe von rund 60 Milliarden Euro erforderlich werden.

Die Bundesregierung will weiteren Hilfen nicht ohne eine Beteiligung der privaten Gläubiger zustimmen. Das sei eine »klare Erwartung«, sagte ein Sprecher von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Mittwoch in Berlin. »Wenn die öffentliche Seite – also auch der Steuerzahler – sich bereit finden müßte, den Griechen mehr Zeit zum Atmen zu geben, dann halte ich es für selbstverständlich, daß auch die privaten Gläubiger sich einem derartigen Projekt anschließen würden.« Auch EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark bezeichnete die Beteiligung privater Gläubiger als notwendigen Beitrag zur Überwindung der Krise.

In Griechenland gehen derweil die Proteste gegen den Ausverkauf von Staatsbesitz weiter. Die Angestellten des Telekommunikationskonzerns OTE traten am Donnerstag in einen 24stündigen Streik. Die griechische Regierung will ihre gesamten Anteile an OTE verkaufen und hat die Deutsche Telekom dazu aufgerufen, ihre Anteile an dem griechischen Telekommunikationsunternehmen zu erhöhen.
(dapd/jW)

*** Aus: junge Welt, 3. Juni 2011




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