Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Griechisches Parlament stimmt für Milliarden-Sparpaket

Entscheidender Schritt zur Abwendung von Staatsbankrott? *

Das griechische Parlament hat am Mittwoch (29. Juni) das Sparpaket von Ministerpräsident Giorgos Papandreou angenommen. Für die massiven Sparmaßnahmen kamen nach Abschluss der Auszählung der namentlichen Stimmabgabe am Mittwoch in Athen insgesamt 155 Stimmen zusammen. Gegen das Paket stimmte ein Abgeordneter von Papandreous sozialdemokratischer PASOK-Partei, im Gegenzug stimmte ein Parlamentarier der konservativen Opposition für die Maßnahmen. Vier Konservative gaben ungültige Stimmzettel ab. Ein PASOK-Abgeordneter, der ebenfalls mit einem Nein gedroht hatte, erklärte, Papandreous Rede vor dem Parlament habe ihn umgestimmt.

Das griechische Parlament besteht aus insgesamt 300 Abgeordneten, 155 von ihnen gehören der PASOK an. Das in der Bevölkerung unpopuläre Sparpaket sieht für die Jahre 2012 bis 2015 neben Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen in Höhe von insgesamt etwa 28 Milliarden Euro auch umfangreiche Privatisierungen im Umfang von rund 50 Milliarden Euro vor. Am Donnerstag sollte das Parlament noch über ein Ausführungsgesetz zu dem Sparpaket abstimmen.

Die Sparmaßnahmen sind Grundvoraussetzung für weitere Hilfen von Europäischer Union und Internationalem Währungsfonds (IWF). Ohne die Auszahlung einer weiteren Rate ihres Hilfspakets bis Mitte Juli wäre Griechenland bankrott.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


Mangel an Demokratie

Von Anke Stefan, Athen **

Im beschaulichen Bonn wurden im Mai 1993 die Parlamentarier mit Hubschraubern ins Parlament geflogen, weil draußen Tausende gegen die geplante Einschränkung des Asylrechts demonstrierten und alle Wege zu Lande und zu Wasser dicht gemacht hatten.

Den Hubschrauber gibt es in Athen nur auf einem Transparent vor dem Parlament, mit dem die Abgeordneten aufgefordert werden, ihr »Memorandum zu nehmen und abzuhauen«. Denn in der protesterfahrenen griechischen Hauptstadt hatte die Polizei bereits frühzeitig die entscheidenden Abschnitte rund um das Parlamentsgebäude abgesperrt, um den Politikern die Verabschiedung eines Gesetzes zu ermöglichen. Eines Gesetzes, dass Millionen von Erwerbstätigen und kleinen Selbstständigen ein weiteres Mal die schier untragbaren Lasten einer Krise aufbürdet, die sie nicht selbst verschuldet haben. Ein Gesetz, vorgelegt von einer Regierung und einem Ministerpräsidenten, der 2009 im Wahlkampf versprochen hatte, die krisengeschüttelte Wirtschaft durch staatliche Investitionen und moderate Lohnerhöhungen fördern zu wollen. Doch der Ministerpräsident setzte, kaum an der Macht, eine Steuererhöhung, eine Lohn- und Rentenkürzung nach der anderen durch und senkte die staatlichen Ausgaben drastisch. Und gegen den wachsenden Widerstand seiner Wähler führt er diese Politik fort. Demokratie sieht anders aus.

** Aus: Neues Deutschland, 30. Juni 2011


Vertreter gegen das Volk

Von Heike Schrader, Athen ***

Mit dem zweiten Tag eines 48stündigen Generalstreiks, dem vierten seit Beginn des Jahres, haben sich auch am gestrigen Mittwoch (29. Juni Millionen Griechen gegen die Verabschiedung eines neuen Pakets von Steuererhöhungen, Einkommenskürzungen und den Ausverkauf sämtlicher öffentlicher Unternehmen protestiert. Dabei demonstrierten am Mittwoch wie bereits am Vortag auch Tausende Mitglieder der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME in Athen. Gleichzeitig scheiterte ein Versuch der viele tausend Menschen umfassenden Bewegung der »Empörten«, die Abgeordneten durch eine Umzingelung des Parlamentes von der Abstimmung fernzuhalten. Die Polizei sorgte durch weiträumige Absperrungen dafür, daß die Zugänge zum Gebäude für die »Volksvertreter« freigehalten wurden. In der Folge kam es auch gestern zu stundenlangen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen kleineren Gruppen vermummter Demonstranten und der Polizei, die flächendeckend Tränengas einsetzte und sowohl gewalttätige als auch friedliche Demonstranten vom Platz vertrieb. Straßenschlachten geringeren Ausmaßes hatte es bereits am Dienstag nachmittag (28. Juni) und in den späten Abendstunden gegeben.

Die an Deutlichkeit nicht zu überbietende Botschaft der Bevölkerung wurde von den Regierenden ignoriert. Mit den Stimmen von 154 der 155 Parlamentarier der sozialdemokratischen Regierungspartei PASOK sowie einer Abweichlerin aus den Reihen der konservativen Nea Dimokratia verabschiedete man am Nachmittag einen weiteren Baustein jener Politik, die Griechenlands Binnenwirtschaft bereits ruiniert, die Arbeitslosigkeit auf 16 Prozent getrieben und die Staatsschulden weiter erhöht hat. Aus den Reihen der PASOK verweigerte lediglich der Abgeordnete Panagiotis Kouroumplis den Kürzungen seine Zustimmung. Er wurde daraufhin sofort aus der Fraktion ausgeschlossen, bleibt aber als unabhängiger Abgeordneter im Parlament. Alle anderen als »Abweichler« geltenden Abgeordneten der Regierungspartei hatten sich dem teilweise in persönlichen Gesprächen mit führenden Regierungsmitgliedern bis zur letzten Minute ausgeübten Druck gebeugt und stimmten dem Kürzungspaket zu.

Die Parlamentarier der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) und der Linksallianz stimmten dagegen, ebenso die Abgeordneten der rechtspopulistischen Partei LAOS. Die Abgeordneten der von Nea-Dimokratia-Aussteigerin Dora Bakogianni gegründeten Demokratischen Allianz enthielten sich der Stimme.

Gewinner dieses neuen Deals zwischen griechischer Regierung, EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) sind die Finanzmärkte, deren Kurse bereits vor der Abstimmung in Erwartung der parlamentarischen Verabschiedung angezogen hatten. EU und IWF hatten die Verabschiedung des Pakets zur Bedingung sowohl für die Auszahlung der fünften Rate bereits gewährter Kredite als auch für die Bereitstellung neuer Milliardendarlehen gemacht. Das Geld braucht Ministerpräsident Papandreou dringend, um alte Schulden bei eben jenen Gläubigern begleichen zu können. Die durch diese Politik in massenhafte Verarmung getriebene Bevölkerung wird davon keinen Cent sehen. Daß die Proteste abflauen, ist deswegen kaum zu erwarten. Daß sie aufgrund der totalen Ignoranz »der da oben« an Stärke, aber auch an Gewalttätigkeit zunehmen werden, eher.

*** Aus: junge Welt, 30. Juni 2011


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