Beruhigungspille für die Finanzmärkte
Mit dem Bankfachmann Lucas Papademos übernimmt in Griechenland der Wunschkandidat der EU und der Anleger das Steuer
Von Martin Ling *
Der Wink mit dem Zaunpfahl hat gewirkt:
Die Herbstprognose der EUKommission
entwarf ein verheerendes
Bild für Griechenlands Zukunft, falls
das Rettungspaket scheitern sollte.
Kurz darauf klappte es mit der Regierungsbildung
in Athen. Nun soll es
der neue Premier Lucas Papademos
richten – das Paket verabschieden
und vor allem umsetzen.
Es war eine schwere Geburt: Nach
tagelangem Ringen hat Griechenland
eine neue Regierung und einen
neuen Premier. Den Ausweg
aus der Wirtschaftskrise soll Lucas
Papademos weisen – ein ausgewiesener
Euro- und Stabilitätsfanatiker,
was er in seiner Rolle
als Vizepräsident der Europäischen
Zentralbank (EZB) unter
Beweis gestellt hat.
In Brüssel dürfte die Erleichterung
darüber groß sein, dass sich
der Wunschkandidat trotz anfänglicher
Widerstände sowohl der
sozialdemokratischen PASOK als
auch der konservativen Nea Dimokratia
(ND) durchsetzen ließ.
Untätig blieb man im griechischen
Tauziehen ohnehin nicht. Die EU
stoppte im Zuge der sich dahinschleppenden
Regierungsbildung
die Auszahlung weiterer Kredite
und brachte Hellas damit der
Staatspleite noch einen Schritt näher.
Wie dramatisch sich die Situation
vor der Einigung darstellte,
bekundete der Gouverneur der
Griechischen Nationalbank, Giorgos
Provopoulos, gegenüber der
»Financial Times«: Jede weitere
Verzögerung bei der Regierungsbildung
»bedroht und beschädigt
die Glaubwürdigkeit des Landes
nur noch weiter«. Nur eine starke
Regierung könne Griechenlands
Zukunft in der Eurozone sichern,
sagte Provopoulos.
Damit liegt der Banker ganz auf
der Linie von EU-Währungskommissar
Olli Rehn, der erklärte, dass
jeder künftige Regierungschef eine
schriftliche Garantie für die Umsetzung
der bereits mit Brüssel
vereinbarten Spar- und Reformschritte
zu geben habe. Bei Papademos
dürfte das kein Problem
sein, der konservative Antonis Samaras
wollte dagegen nur sein
Wort geben und sprach von einer
Frage der »nationalen Würde«.
Unterstützung erhielt Rehn
auch von der Herbstprognose, die
die EU-Kommission gestern in
Brüssel vorlegte. Demnach würde
sich der Schuldenberg im Krisenland
Griechenland 2012 der Marke
von 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
(BIP) nähern, falls
das Rettungspaket nicht wie geplant
umgesetzt wird. In diesen
Dimensionen bewegt sich bisher
nur Japan, wobei die dortige Regierung
bei den eigenen Bürgern
verschuldet ist und bisher kaum
auf internationale Anleger und
schon gar nicht auf den Internationalen
Währungsfonds (IWF) zurückgreifen
muss. So ist in Japan
die Lage trotz der immens hohen
Schuldenlast noch stabil. Zudem
ist Japan als Einzelstaat mit einer
eigenen Währung für Spekulanten
ein weniger attraktives Ziel als
Griechenland, das offenkundig
wirtschaftlich schwächste Land
innerhalb der Eurozone.
Laut der Herbstprognose
wächst Griechenlands Staatsverschuldung
allein im laufenden Jahr
um 8,9 Prozent, im kommenden
Jahr um weitere sieben Prozent,
jeweils gemessen am BIP. Die
wachsende Verschuldung ist wiederum
ein Produkt der massiven
Kürzungen, die die Konjunktur
und damit die Steuereinnahmen
haben einbrechen lassen. Die oft
gescholtenen Griechen müssen
sich mangelnde Sparanstrengungen
nicht vorwerfen lassen: »2010
wurde das Budgetdefizit um rund
fünf Prozentpunkte vom BIP gesenkt
(...) Kein anderes OECDLand
hat in den vergangenen zwei
Jahrzehnten so eine Verbesserung
in einem einzigen Jahr zustande
gebracht«, vermeldete die Organisation
für Wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung
(OECD) in ihrem Länderjahresbericht,
der sich im übrigen durchaus
kritisch mit den Leistungen
Athens auseinandersetzte und die
Verschwendung öffentlicher Ressourcen,
die Steuerflucht und die
Ineffizienz des Öffentlichen Dienstes
anprangerte.
Ein Ende der griechischen Rezession
ist derweil nicht in Sicht.
Die Kommission befürchtet einen
Rückgang der Wirtschaftsleistung
um 5,5 Prozent in diesem und 2,8
Prozent im nächsten Jahr.
Papademos tritt auf alle Fälle
ein schweres Erbe an. Seine
Hauptaufgabe wird sein, eine Pleite
des Landes zu verhindern. Wie
er es anstellen will, gesellschaftliche
Akzeptanz für einen Sparkurs
zu erreichen, der ohne ein begleitendes
Investitionsprogramm nur
in eine unendliche Abwärtsspirale
münden kann, bleibt vorerst sein
Geheimnis. Klar ist, dass Griechenland
für die milliardenschwere
Unterstützung durch die
EU und den IWF weiter heftig sparen
muss. Ein Investitionsprogramm
steht indessen nach wie
vor nicht zur Debatte. Das müsste
ohnehin extern finanziert werden
– wofür nur die EU oder zahlungskräftige
EU-Mitgliedstaaten
infrage kämen, denn private Investoren
haben an langfristigen
strukturellen Investitionen selten
Interesse.
Griechenland braucht neben
dem Schuldenschnitt, der unter
Umständen noch einmal nachgebessert
werden muss, und einem
Investitionsprogramm auch die
von der OECD verlangte Überholung
des Steuersystems und des
Öffentlichen Dienstes. Damit steht
der neue Regierungschef vor einer
Sisyphos-Aufgabe. Doch Albert
Camus zufolge sollte man sich Sisyphos
ja als einen glücklichen
Menschen vorstellen.
Zumindest ein kurzfristiger
Bankrott Griechenlands scheint
abgewendet zu sein. Der nächsten
Brüsseler Tranche von acht Milliarden
Euro für Athen stünde nach
einer gelungenen Regierungsbildung
und unterschriebener Garantierklärung
nichts mehr im
Wege. Das zumindest dürfte Lucas
Papademos schaffen. Wenn er
Glück hat.
* Aus: neues deutschland, 11. November 2011
Zur Person: Der eiserne Lucas
Von Anke Stefan, Athen **
Ausgerechnet der Fachmann,
der sich vehement gegen einen
Schuldenschnitt für Griechenland
ausgesprochen hatte, soll
ihn nun umsetzen. Noch vor
zwei Wochen hatte Lucas Papademos
in der angesehenen griechischen
Zeitung »To Vima« einen
Schuldenschnitt als »ernste
Gefahr für Griechenland und
Europa« bezeichnet.
Der am 11. Oktober 1947 in
Athen geborene Zentralbanker
kommt ursprünglich gar nicht
aus der Finanzwissenschaft.
Seine Studien am Massachusetts
Institute of Technology schloss
er 1970 mit einem Diplom als
Physiker ab, es folgte 1972 ein
Master der Elektrotechnik. Erst
danach absolvierte Papademos
ein Studium der Wirtschaftswissenschaften,
das er 1978 mit
einem Doktorgrad abschloss.
Auch seine ersten beruflichen
Sporen verdiente Papademos
im Ausland. Erst 1985
kehrte er als Chefökonom für die
Griechische Nationalbank nach
Athen zurück. 1988 kam eine
Professur der Wirtschaftswissenschaften
an der Athener
Universität hinzu. Andreas Papandreou,
der Vater Giorgos Papandreous,
ernannte den parteilosen
Papademos 1994 zum
Direktor der Nationalbank. In
seine bis 2002 andauernde
Amtsperiode fiel auch die Einführung
des Euro als Zahlungsmittel
in Griechenland am 1. Januar
2002. Im April 2002 wählten
die Finanzminister der EU
den Griechen in den Vorstand
der Europäischen Zentralbank,
wo er sich als Vizevorsitzender
einen Ruf als ausgezeichneter
Pragmatiker erarbeitete.
Nach achtjähriger Amtszeit
verließ Papademos im Mai 2010
turnusgemäß die Zentralbank.
Zurück in Athen, arbeitete er als
Berater für den im Oktober
2009 zum Premier gewählten
Giorgos Papandreou. Der hätte
ihn schon bei der Umbildung des
Kabinetts im Juni dieses Jahres
gerne in die Regierung geholt,
das Amt des Finanzministers
hatte Papademos allerdings abgelehnt.
** Aus: neues deutschland, 11. November 2011
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