Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Griechenlands Wähler wieder am Zug

Nach dem Scheitern auch des letzten Versuchs einer Regierungsbildung sind Neuwahlen unvermeidlich

Von Anke Stefan, Athen *

»Neuwahlen in Griechenland!« Obwohl seit Tagen erwartet, war diese Nachricht den Agenturen am Dienstagnachmittag Eilmeldungen wert. Alle Versuche, nach den Parlamentswahlen am 6. Mai eine Regierung zu bilden, wurden kurz nach 15 Uhr für gescheitert erklärt.

Die Ball liegt wieder beim Wähler: Ohne Erfolg endete am Dienstagnachmittag nach etwa zweieinhalb Stunden Verhandlungen auch der Versuch des griechischen Staatspräsidenten Karolos Papoulias, eine parlamentarische Mehrheit für die Bildung einer Regierung aus »im Volk angesehenen Persönlichkeiten zu bilden«. Papoulias hatte die Chefs von fünf der sieben im Parlament vertretenen Parteien um sich geschart.

»Die Parteien der Gläubigervereinbarungen fahren damit fort, das griechische Volk zu plagen, und ziehen es vor, den Gläubigern zu dienen«, erklärte ein sichtlich gereizter Panos Kammenos den am Eingang des Präsidentenpalastes wartenden Journalisten. In der Runde der Parteiführer war der Vorschlag des Vorsitzenden der Unabhängigen Griechen, eine Regierung des »nationalen Wohls« mit ihm selbst als Ministerpräsidenten zu bilden, durchgefallen.

»Das Land wird unter sehr schlechten Bedingungen leider wieder in Wahlen geführt, weil einige kaltblütig das eigene Parteiinteresse über das Wohl des Landes gestellt haben«, schimpfte der Vorsitzende der sozialdemokratischen PASOK, Evangelos Venizelos, unmittelbar nach Ende der Verhandlungen. Seine Partei habe zwar bei den Wahlen am 6. Mai eine Niederlage erlitten, danach aber jeden möglichen Versuch unternommen, eine Koalitionsregierung zu bilden, fügte Venizelos hinzu. Dies sei leider an der Weigerung des linksradikalen Bündnisses SYRIZA gescheitert, sich an einer solchen Regierung zu beteiligen, und an dem Beharren der Demokratischen Linken (DIMAR) auf eben dieser SYRIZA-Beteiligung.

Er habe sein Mögliches getan, um das Land vor einer Wiederauflage des Urnengangs zu bewahren, erklärte seinerseits der Vorsitzende der Demokratischen Linken kurze Zeit später. Auch Fotis Kouvelis machte kleinmütige Parteiinteressen für das Scheitern der Regierungsbildung verantwortlich.

Natürlich beteuerte Antonis Samaras, der Vorsitzende der konservativen Nea Dimokratia (ND), ebenfalls, alles für eine Regierungsbildung geleistet zu haben, was in seiner Kraft gestanden habe. Man sei aber an einer »Wand aus Engstirnigkeit und Hochmut« gescheitert. Bei den nun anstehenden Wahlen kämpften die »links ausgerichteten Bestandteile des Nihilismus mit der europafreundlichen Front der schöpferischen Kräfte«, sagte Samaras voraus.

Der so gescholtene SYRIZA-Vorsitzende Alexis Tsipras wehrte sich: Die Chefs von Nea Dimokratia und PASOK seien den von ihnen unterschriebenen Verpflichtungen gegenüber Griechenlands Gläubigern treu geblieben und hätten die Vorschläge von SYRIZA zur Umsetzung des Wählerwillens abgelehnt, sagte Tsipras am späten Nachmittag. »Im Grunde haben sie uns vor das Dilemma ›Gläubigervereinbarung oder Neuwahlen‹ gestellt«, fügte er hinzu. Von SYRIZA sei dabei nicht einfach nur Zustimmung verlangt worden, »sondern man hat uns aufgefordert, unsere Unterschrift unter die Maßnahmen für Armut und Verelendung zu setzen«. Demgegenüber habe SYRIZA darauf bestanden, »die Erwartungen des Volkes nicht zu enttäuschen«. Scheinbar unbeeindruckt sprach die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) von einer »zu erwarten gewesenen Entwicklung«. Generalsekretärin Aleka Papariga war der Einladung des Staatspräsidenten gar nicht erst gefolgt. Für die KKE komme die Unterstützung einer Technokratenregierung, »wie immer man sie auch nennen mag«, nicht in Frage, hatte Papariga bereits am Montagabend erklärt.

Am heutigen Mittwoch soll über die Formalitäten zur Bildung einer Übergangsregierung beraten werden. Als wahrscheinliches Wahldatum gilt der 17. Juni.

Am Donnerstag wird ungeachtet dessen in Athen erst einmal das aus den Wahlen am 6. Mai hervorgegangene Parlament zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. Der Vereidigung der Abgeordneten soll am Freitag eine weitere Sitzung folgen, bei der die neuerliche Auflösung beschlossen und der Termin für Neuwahlen offiziell bekannt gegeben werden.

Der aktuellsten Umfrage zufolge würde die Linksallianz SYRIZA dabei stärkste Partei mit 20,5 Prozent der Stimmen, gefolgt von der Nea Dimokratia (ND) mit 19,4 Prozent. Die PASOK fiele auf 11,8 Prozent, die Unabhängigen Griechen auf 7,8, die Demokratische Linke käme auf 6,2 Prozent - in etwa ihr Ergebnis vom 6. Mai. Der Kommunistische Partei Griechenlands werden 4,8 Prozent vorausgesagt, der faschistischen Chriysi Avgi (Goldene Morgenröte) 3,8 Prozent. In Griechenland gilt eine Dreiprozentklausel.

Eine Lanze für geduldige Diplomatie und den Verbleib Griechenlands in der EU und der Eurozone brach am Dienstag der ehemalige PASOK-Ministerpräsident Kostas Simitis. Auf einer Tagung zur Europäischen Schuldenkrise im fernen China erklärte Simitis, die Vorstellung, zur Drachme zurückzukehren, sei »eine Idee, die nicht funktioniert«. Die Parteien in seinem Land versuchten mit einer »bestimmten Logik«, die Bedingungen mit der EU neu zu verhandeln. Simitis zeigte sich zuversichtlich, dass die EU auch mit dieser vom Wähler am 6. Mai gestellten Forderung umgehen könne. »Heute sagt Europa noch nein, aber nach einiger Zeit wird es, wie es üblicherweise passiert, ›in Ordnung‹ sagen.«

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. Mai 2012


Drohkulisse

Von Kurt Stenger **

Niemand hat die Absicht, Griechenland aus dem Euro zu drängen - mit diesem etwas abgedroschenen Kalauer könnte man die Botschaft vom jüngsten Treffen der Euro-Finanzminister zusammenfassen. Denn zwischen den Zeilen ist diese Drohung von konservativen Kreisen längst ausgesprochen worden. Wolfgang Schäuble und auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso haben über die Möglichkeit eines Austritts aus der Währungsunion allgemein philosophiert - zur Freude von Rechtspopulisten und Marktradikalen. Die Botschaft ist eindeutig: Wenn in Griechenland nicht die gewünschte Regierung zustande kommt, welche die brutalen Kürzungsprogramme ohne Punkt und Komma umsetzt, dann gibt es kein Geld mehr. Der Euro-Austritt Athens wäre dann wohl zwangsläufige Folge.

Immerhin gibt es in der Eurogruppe auch Kritik an solchen Drohkulissen - mit dem Kalkül, dass diese nur den griechischen Gegnern des Sparkurses weiter Auftrieb geben. Es wäre zu wünschen, dass auf europäischer Ebene endlich die notwendigen Schlussfolgerungen aus den jüngsten Wahlen in Griechenland wie auch in Frankreich gezogen werden - und die Austeritätspolitik aufgegeben wird, die nur die wirtschaftliche und soziale Kluft zwischen den Euro-Mitgliedern weiter vertieft.

** Aus: neues deutschland, Mittwoch, 16. Mai 2012 (Kommentar)


Zurück zur Griechenland-Seite

Zurück zur Homepage