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"Das Gesetz reicht aus, es muß nur angewandt werden"

In der Nacht zum Mittwoch erstach in Athen ein Mitglied der neofaschistischen "Chrysi Avgi" einen Linken. Ein Gespräch mit Dimitris Psarras *


Dimitris Psarras ist Journalist bei der selbstverwalteten linken Tageszeitung Zeitung der Redakteure und Autor des »Schwarzbuchs Chrysi Avgi«, das im Winter im Laika-Verlag auf deutsch erscheinen wird.


Der 34jährige Pavlos Fyssas, der in der Nacht zum Mittwoch in Athen erstochen wurde, ist nicht das erste Opfer der griechischen Faschisten. Zum ersten Mal geht aber ein Aufschrei durch das ganze Land – warum jetzt?

Unglücklicherweise macht es diesen Fall so besonders, daß das Opfer ein Grieche ist, vorher waren es Migranten. Die müssen sich schon seit Jahren rassistischer Angriffe erwehren – und die Öffentlichkeit war wohl bereit, sich daran zu gewöhnen. Der nun ermordete junge Mann jedoch war »einer von uns«. Das hat diesen Schock ausgelöst.

Spielt es eine Rolle, daß dieses Mal von Anfang an klar war, daß ein Faschist der Mörder ist?

Zum ersten Mal war das so klar. Nicht nur, daß der Täter Mitglied der »Chrysi Avgi« ist – auch, daß es sich um eine organisierte Zusammenrottung und einen geplanten Hinterhalt handelte. Der Angriff entsprang nicht etwa einem Streit. »Chrysi Avgi« hatte eine Falange, eine Art Sturmabteilung, zusammengetrommelt und Fyssas überfallen. Einer der Faschisten stach sofort zu, direkt ins Herz.

Warum gingen die Rechtsextremisten dieses Mal so unvorsichtig vor?

Es war nur eine Frage der Zeit – »­Chrysi Avgi« ist immer gewalttätiger geworden. Vergangene Woche erst erlebten wir den Angriff einer anderen Sturmabteilung auf eine Gruppe plakatierender Mitglieder der Kommunistischen Partei (KKE) und ihrer Jugendorganisation. Zehn von ihnen mußten ins Krankenhaus gebracht werden, meist mit Kopfverletzungen.

Nachdem Faschisten eine Abgeordnete körperlich angegriffen hatten, hatten Sie vor der Illusion gewarnt, das werde die »Chrysi Avgi« Stimmen kosten. Wie sieht es jetzt aus?

Die beiden Ereignisse sind nicht vergleichbar. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber nun könnte es der »Chrysi Avgi« tatsächlich schaden. Die Ohrfeige für die kommunistische Parlamentarierin Liana Kanelli war ein eher symbolischer Akt. Dieses Mal kann von Symbolik aber keine Rede mehr sein. Regierung und die meisten Oppositionsparteien, die alle die Situation bisher für ihre jeweiligen Interessen ausgenutzt haben, werden jetzt wohl ernsthafter nachdenken müssen.

Auch über ein Verbot der »Chrysi Avgi«? Ist das möglich und auch sinnvoll?

Die meisten Verfassungsrechtler sind sich einig, daß ein Verbot nicht möglich ist. Die griechische Verfassung wurde gleich nach der Diktatur verfaßt, in der es eine illegale Partei gegeben hatte, die KKE. Die Linke fürchtete, eine Regelung für ein Parteienverbot könnte irgendwann einmal gegen sie gerichtet werden. Überdies hat »Chrysi Avgi«-Parteiführer Nikolaos Michaloliakos für den Fall eines Verbots bereits angekündigt, am nächsten Tag mit einer Partei neuen Namens weiterzumachen.

Wir brauchen aber auch keine neue Regelung in der Verfassung, es gibt eine viel bessere Möglichkeit: Paragraph 187 des Strafgesetzbuches. Der befaßt sich mit kriminellen Vereinigungen und paßt auf »Chrysi Avgi«. Demnach können auch die Anstifter belangt werden, wenn die Mitglieder Verbrechen begehen. Unter anderem können ihnen die Bürgerrechte entzogen werden.

Es gibt mehrere rechtsgültige Gerichtsurteile, die nachweisen, daß Mitglieder der »Chrysi Avgi« Verbrechen begangen haben. Auf dieser Basis hätte längst Anklage gegen die Parteiführung, gegen Michaloliakos und andere, erhoben werden müssen. Bei einer Verurteilung wären sie nicht nur für viele Jahre ins Gefängnis gewandert, sondern hätten auch sofort ihr Mandat verloren.

Wird das nun geschehen? Der Minister für öffentliche Ordnung und Bürgerschutz, Nikos Dentias, hat eine Verschärfung des entsprechenden Strafrechtsparagraphen angekündigt.

Wir haben erst vor kurzem die Erfahrung mit dem von der Regierung eingebrachten Antirassismusgesetz gemacht, mit dem ebenfalls die »Chrysi Avgi« bekämpft werden sollte. Der Versuch endete in einem Fiasko, und das Gesetz verschwand nach Widerstand aus den Reihen der regierenden Nea Dimokratia in der Schublade.

Wird das auch diesmal geschehen?

Mit solchen Diskussionen wird nur Zeit verloren. Das gültige Gesetz reicht aus, es muß nur angewandt werden.

Interview: Heike Schrader, Athen

* Aus: junge Welt, Samstag, 21. September 2013


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