Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Widerstand gegen den Ausverkauf

Aktivisten richten einen besetzten Strand bei Athen her

Von Anke Stefan, Athen *

In Zeiten der Krise besinnen sich immer mehr Griechen auf Selbstorganisation. Besuch eines besetzten Strandabschnitts im Süden von Athen.

»Ehemaliger Campingplatz von Voula, Eintritt frei und umsonst«, steht auf einem Schild am Eingangstor zu einem großen verwilderten Gelände südlich von Athen, das bis zum Meer reicht. Seit 2004 der Campingplatz geschlossen hatte, blieb das Areal ungenutzt - bis am 10. Juni Aktivisten der Bürgerinitiative »Alternative Aktion«, unterstützt durch den Gemeinderat, das Schloss am Eingang knackten und das Gelände kurzerhand besetzten.

Recht auf Lebensqualität

»Die Arbeit für den Betrieb des ehemaligen Campingplatzes wird freiwillig geleistet werden und die Aktivitäten auf dem Gelände werden in Zusammenarbeit mit dem Gemeinderat stattfinden«, beschlossen die Besetzer auf ihrer ersten Vollversammlung drei Tage später. Seither kümmern sich das »Netzwerk für den Schutz des saronischen Golfs«, die »Alternative Aktion«, das »Netzwerk für Solidarität« und die »Freiwilligen« um eine Nutzung von Strand und Land, die vor allem den Anwohnern der Großgemeinde aus den südlichen Athener Vororten Voula, Vari und Vouliagmeni zu Gute kommen soll.

»In der heutigen Zeit wird es immer dringender, den Anspruch auf Lebensqualität zu erheben«, heißt es auf der Internetseite der bereits im September 2011 gegründeten und als Dachorganisation dienenden »Alternativen Aktion«. Die Krise führe zu einer »von Mangel an ideeller Zusammenarbeit und Solidarität geprägten Lebensart« und einer »Überheblichkeit gegenüber der Natur«. Deshalb wollen die Aktivisten für eine Gesellschaft kämpfen, in der »die Bedingungen für soziale Gerechtigkeit, Kollektivität und Solidarität zwischen den Bürgern, Respekt für die Umwelt und die Rettung kultureller und künstlerischer Schöpfung geschaffen werden«.

»Im Sommer hatten wir am Strand jeden Samstag mehr als 2000 Besucher«, erzählt Makis Stavrou. Der passionierte Fahrradfahrer war bereits bei der Besetzung im Juni dabei und gehört zu der Gruppe von Freiwilligen, die seit Monaten daran arbeiten, das Gelände zunächst zu säubern. Tonnenweise haben sie Müll in Säcken gesammelt, die dann von der Müllabfuhr der Gemeinde abgeholt wurden. »Das klappt prima, weil wir gute Beziehungen zur Gewerkschaft der Gemeindearbeiter haben«, sagt Makis und zeigt stolz den ersten vorbereiteten Acker gleich am Eingang. Hier soll in den nächsten Tagen die erste Saat gelegt werden. Neben biologischem Anbau von Obst und Gemüse ist ab dem nächsten Sommer wieder ein Campingplatz auf dem weitläufigen Gelände geplant. »Dann könnte man die Ernte direkt an die Camper verkaufen«, meint Makis.

Ein Teil der Gebäude wurden auf Anweisung des griechischen Umweltministeriums bereits vor zwei Jahren mit dem Bulldozer plattgemacht. Die übrig gebliebenen, früher beispielsweise als Kasse oder Kantine dienenden Bauten sollen nun für Versammlungen, Filmvorführungen oder Veranstaltungen hergerichtet werden. Weiter unten, direkt am Wasser ist bereits ein Freiluftkino in Betrieb. Wenn die Sonne gesunken ist, werden hier Filme gezeigt wie »Geschichten von den Gleisen« von Ken Loach. Er handelt von der Privatisierung der britischen Eisenbahn. Da auch in Griechenland die staatliche Bahn OSE verkauft werden soll und man man fürchtet, dass daraus wie in England schlechtere Löhne und Arbeitsbedingungen folgen, steht im Anschluss eine Diskussion mit einem griechischen Bahngewerkschafter auf dem Programm.

Von Privatisierung ist auch das nun besetzte Gelände bedroht. Um die klammen Kassen zu füllen, plant die Regierung, fast die gesamte Küstenlinie von Athen bis Kap Sounio zu veräußern. Eine »griechische Riviera« mit Hotelburgen, Kasinos und Nachtlokalen soll vor allem zahlungskräftige Touristen anlocken. Von den Einheimischen könnte sich kaum einer den Eintritt zum Strand, geschweige denn einen Abend in Kasino und Bar leisten.

Vorbild Elliniko

Der Widerstand der Besetzer gegen diese Pläne ist vielfältig. Die Aktivisten beteiligen sich auch an Streiks gegen die von der Gläubigertroika aus EU-Kommission, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank verlangten neuen Sparmaßnahmen. Denn zu diesen gehört die Forderung, für den Abbau der Staatsverschuldung alles zu versilbern, was sich an öffentlichem Eigentum verkaufen lässt. Küstenstreifen wie der im Süden Athens gehören dabei zu den Filetstücken, die das Interesse in- und ausländischer Investoren auf sich ziehen.

Die Besetzer des ehemaligen Campingplatzes sind nicht die Einzigen, die sich gegen diesen Ausverkauf der Küstenregion wehren. Auf der jeden Mittwoch stattfindenden Versammlung der »Freiwilligen« wird an diesem Tag die Teilnahme an einem Protestfestival in Elliniko, der Küstengemeinde wenige Kilometer weiter westlich diskutiert. Dort wurde bereits vor Jahren ein widerrechtlich kommerziell betriebener Strand »befreit« und der kostenlosen Nutzung übergeben. Auch am Strand von Elliniko kümmern sich seither Freiwillige um Sauberkeit und die selbst aufgebauten Holzschirme.

Die gibt es hier in Voula noch nicht; nur daneben, am kommerziellen Strand, wo im Sommer pro Person sieben Euro bezahlt werden müssen. »Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich generell gegen kommerzielle Strände bin«, sagt Marios Vathis, der erst kürzlich zu den »Freiwilligen« gestoßen ist. »Was vom Staat bereit gestellt wird, bezahlen wir alle. Warum sollten auch die für die Schirme zahlen, die sie nie nutzen«, erklärt er seine Position. Als andere einwenden, dass jeder auch für andere staatliche Dienstleistungen zahlt, die er vielleicht nie in Anspruch nimmt, aber trotzdem für gut hält, winkt Marios ab: »Das ist eine komplizierte Diskussion.«

Der Kommerzialisierung der Küste soll auch ein direkt neben dem Gelände liegendes Heim für behinderte Kinder zum Opfer fallen. In der bereits seit 1954 betriebenen Einrichtung sind derzeit etwa 70 teilweise im Rollstuhl sitzende Kinder untergebracht. Um gegen die Schließung ihrer Einrichtung zu protestieren, haben sie sich etwas ausgedacht. Die Kinder werden im nächsten Monat auf dem besetzten Gelände Tschechows »Der Bär« aufführen. Und zwar im Rollstuhl.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 09. Oktober 2012


Samaras’ Chaos

Griechenland bereitet sich mit überdimensionalem Polizeiaufgebot und Scharfschützen auf den Merkel-Besuch vor

Von Heike Schrader, Athen **


Die deutsche Bundeskanzlerin wird am Dienstag in Athen gebührend empfangen werden. Mehr als 7000 Beamte der Bereitschaftspolizei, motorisierter Sondereinheiten und Scharfschützen stehen bereit, wenn Angela Merkel sich heute Mittag mit dem griechischen Ministerpräsidenten trifft. Nea-Dimokratia-Vorsitzender Antonis Samaras wird sich damit brüsten, daß die Kanzlerin ihn und nicht seinen Vorgänger von der PASOK, Giorgos Papandreou, eines Besuchs für würdig gehalten hat und versuchen, den Abglanz des Inbegriffs von Macht innerhalb der EU zur Stärkung seiner angeschlagenen innenpolitischen Stellung zu nutzen. »Samaras oder Chaos« heißt die vom griechischen Ministerpräsidenten wieder einmal an die Wand gemalte Alternative. Zuletzt hatte er mit der damit verbundenen Drohung eines Ausstiegs Griechenlands aus der EU die Wahlen knapp gegen die in der Krise zu ungeahnten Höhen aufgestiegene Linksallianz SYRIZA gewonnen.

Die Chancen, das drohende »Chaos« der Weltöffentlichkeit plastisch vor Augen führen zu können, stehen nicht schlecht. Das dürfte auch die Erklärung dafür sein, warum die Kanzlerin nicht den sonst üblichen Weg des »Blitzbesuchs« ohne vorherige Ankündigung gewählt hat. Denn trotz oder auch wegen der martialischen Polizeipräsenz wird es wahrscheinlich nicht bei den »friedlichen Massendemonstrationen« bleiben, zu denen Gewerkschaften, SYRIZA, KKE, außerparlamentarische kommunistische Linke und diverse Bürgerbewegungen aufgerufen haben.

»Das Volk des Landes wird seine Antwort auf die Austeritätspolitik geben und die Botschaft eines demokratischen Umsturzes in ganz Europa aussenden«, heißt es im Kommentar der größten Oppositionspartei SYRIZA zu den geplanten Massendemonstrationen.

Das »werktätige Volk« solle sich »mit einer großen Demonstration gegen die Regierung Samaras und Frau Merkel« wehren, erklärte die Generalsekretärin der KKE. Mit ihrem Besuch wolle die deutsche Kanzlerin »die Regierung in ihren Bemühungen stärken, den höchstmöglichen Druck an Erpressung und Einschüchterung auf das Volk auszuüben«, damit es sich den neuen Maßnahmen beuge. »Das griechische Volk muß in den kommenden Tagen neue große Streiks und andere Mobilisierungen vorbereiten«, sagte Aleka Papariga weiter.

Solche sind ohnehin bereits im Gange. Am Montag vormittag zogen mehrere hundert Angehörige Athener Rentnerorganisationen in einem Protestmarsch vor das Parlament und die nahegelegenen Büros der Europäischen Union. Am Abend fanden in Athen und Thessaloniki von den Gewerkschaftsdachverbänden organisierte Demonstrationen gegen die neuen Maßnahmen statt. Aus Protest gegen die Kürzungen im Gesundheitswesen hatten am Montag vormittag Gesundheitsarbeiter am Athener Krankenhaus Dromokaiteio den Eingang symbolisch mit Ziegelsteinen vermauert. Die Polizei löste den Protest gewaltsam auf, vier Gewerkschafter, darunter der Betriebsratsvorsitzende M. Giannakos wurden vorläufig festgenommen. Bereits am Sonntag abend hatten Gewerkschafter der halbstaatlichen Stromgesellschaft DEI das Rechenzentrum des Konzerns besetzt. GENOP-DEI-Gewerkschaftsvorsitzender Nikos Fotopoulos hatte schon Mitte letzten Monats dazu aufgerufen, im Kampf gegen die Austeritätsmaßnahmen zu Dauerstreiks und der massenhaften Besetzung öffentlicher Einrichtungen überzugehen. Das DEI-Gebäude wurde noch am Sonntag abend von der Polizei geräumt, 18 Besetzer, darunter auch Fotopoulos, vorläufig festgenommen.

Die seit Beginn des Monats jeden Tag ab halbelf Uhr die Arbeit niederlegenden Richter des Landes haben ihren Streik vorläufig bis zum 20. Oktober ausgedehnt. Seit gestern und für eine Woche streiken ebenfalls die in der Technikergewerkschafts TEE organisierten Ingenieure. Wegen ausstehender Lohnzahlungen haben außerdem Redakteure, Techniker und Verwaltungsangestellte in diversen griechischen Zeitungen und Radiosendern seit Tagen die Arbeit niedergelegt

** Aus: junge Welt, Dienstag, 09. Oktober 2012


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