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"Der Widerstand wächst langsam, ist aber die einzige Hoffnung"

Der Soziologe Costas Panayotakis über die Krise und den Protest der Griechen gegen die verordnete Sparpolitik


Costas Panayotakis ist Professor für Soziologie am New York City College of Technology. Der 37-jährige Grieche publiziert in den Bereichen Politische Ökonomie, Ökologie und soziale Bewegungen. Über die Entwicklung einer Protestbewegung gegen die Sparmaßnahmen in Griechenland und den Blick auf die deutsche Politik sprach mit ihm für "neues deutschland" (nd) Max Böhnel.


Neue Hilfen für Griechenland wurden beschlossen. Doch der Protest hält an, weil die Hilfe an weitere Sparmaßnahmen gekoppelt ist. Wer geht gegen diese Austeritätspolitik auf die Straße?

Die Krise in Griechenland ist zur Wirtschaftsdepression geworden und hat die gesamte griechische Gesellschaft erfasst. Es sind nicht mehr nur die Linken, die protestieren. Zur Bewegung gegen die Austerität stoßen Menschen, die man sonst nicht auf der Straße gesehen hat. Das sind vor allem Angehörige der Mittelschicht, die nicht mehr solide ist. Es sind die neuen Arbeitslosen, jüngst in die Armut Getriebene, erstmals Obdachlose und Menschen, die sprichwörtlich hungern.

Angesichts der Härten, die die Kürzungen hervorbringen, könnte man mehr und militantere Proteste erwarten. Weshalb tut sich bisher relativ wenig?

Soziale Bewegungen wachsen nicht über Nacht. Das Bewusstsein der Krise war zunächst in großen Teilen der Gesellschaft auf das Gefühl eines Schocks reduziert. Mit der Regierung und mit den beiden Großparteien wurde nach dem Motto »Im Zweifel für den Angeklagten « verfahren. Zum Bruch zwischen Bevölkerung und Establishment kam es erst, als es von oben hieß, wir müssten diese Maßnahmen durchsetzen, sonst werden wir aus der Eurozone geschmissen. Wenn jetzt einige europäische, vor allem deutsche Kapitalvertreter sagen, Griechenland müsse die Zone so oder so verlassen, verfestigt sich der Eindruck, dass es dazu keine Alternative gibt.

Wo stehen die Gewerkschaften?

Die Gewerkschaften waren in der Vergangenheit von der sozialdemokratischen PASOK dominiert, manche auch von den Konservativen. Inzwischen wachsen die Spannungen zwischen Parteien und Gewerkschaften. Denn die Sparprogramme sehen auch die gewerkschaftliche Entmachtung vor. Der langsam wachsende Widerstand, auch der Gewerkschaften, ist die einzige Hoffnung, die Griechenland noch hat.

Wie stehen griechische Linke zum möglichen Staatsbankrott?

Einige argumentieren, Griechenland solle sich bankrott erklären und die Eurozone verlassen. Der Gedanke dahinter ist, dass dies dem Land helfen würde, seine Wettbewerbsfähigkeit wieder herzustellen. Durch eine neue Währung und andere Maßnahmen wie die Verstaatlichung des Bankensystems könne dann die Wirtschaft besser reguliert werden. Andere linke Wirtschaftswissenschaftler halten dagegen, die Lage sei zu kompliziert, und warnen vor einem Staatsbankrott. Sie argumentieren, Griechenland habe keine eigene Währung, auf die es zurückfallen kann. Die Rückkehr zur Drachme werde katastrophale Auswirkungen haben. Wieder andere meinen, Griechenland solle einfach für eine gewisse Zeit keine Schulden mehr zurückzahlen und abwarten.

Profitiert die griechische Linke vom Kollaps der PASOK?

Nach Umfragen auf jeden Fall, aber politisch gesehen stehen sich die Linken für eine Regierungsbildung selbst im Weg. Von den drei Hauptkräften der parlamentarischen Linken sind weder die Kommunisten noch die von PASOK enttäuschten sozialdemokratisch orientierten Kräfte willens, ein breites linkes Wahlbündnis zu bilden. Einzig SYRIZA ruft dazu mit konkreten Vorschlägen auf. Einig ist sich die Linke in der Ablehnung der rigiden Sparprogramme, anscheinend unüberbrückbare Differenzen bestehen in der Frage nach den Auswegen.

Wie wird die Rolle Deutschlands eingeschätzt?

Zu der Bewegung gegen die Kürzungen stoßen etliche Neulinge mit nationalistischen Gefühlen hinzu. Dies halte ich für legitim, soweit sich dies auf die Sicht beschränkt, dass Europa Griechenland einen Teil seiner nationalen Souveränität zu nehmen versucht. Die Wut drückt sich aber auch antideutsch aus. Deutschland wird zu Recht als dominante Wirtschaftsmacht angesehen und als das Land, das am meisten vom Eurozonen-Projekt profitiert. Die Griechen haben außerdem gute Antennen für die Wahrnehmung des deutschen Opferkultes entwickelt, wonach die Deutschen Opfer der Griechen seien. Das bekommt man aus Kommentaren in deutschen Zeitungen mit.

* Aus: neues deutschland, 22. Februar 2012


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