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Streiken verboten

Nach Metro-, Hafen- und Gemeindearbeitern wurden nun auch die Lehrer in Griechenland zum Dienstantritt gezwungen

Von Heike Schrader, Athen *

Die griechische Regierung hat alle Gymnasiallehrer des Landes zum Dienst verpflichtet. Entsprechende Schreiben wurden am Montag an jeden Lehrer verschickt. Wer nicht erscheint, muß mit Festnahme, Geld- oder Gefängnisstrafe sowie der fristlosen Entlassung rechnen. Regierungschef Antonis Samaras hatte dazu am Samstag einen Erlaß unterzeichnet, wie Regierungssprecher Simos Kedikoglou im Rundfunk bestätigte.

Im Widerstand gegen die fortgesetzte Demontage des öffentlichen Bildungswesens hatte die Gewerkschaft der Mittel- und Oberschullehrer, OLME, einen Dauerstreik beschlossen. Beginnen sollte der am kommenden Freitag und auch in der darauffolgenden Woche durchgängig fortgesetzt werden. Am kommenden Montag beginnen in Griechenland die schulischen Eingangsprüfungen für die Hochschulen. Nach den Dienstverpflichtungen der streikenden Metro-Angestellten, der Hafenarbeiter und der bei den Gemeinden Beschäftigten in den vergangenen Monaten, wurde nun auch den Lehrern das Streiken verboten. Erstmalig wurde damit in Griechenland ein Streik bereits präventiv unter Strafe gestellt. Dagegen protestierten am Montag abend überall im Land Tausende Menschen.

Eine von der OLME eingereichte Klage beim Obersten Verwaltungsgerichtshof auf die Aussetzung der Zwangsverpflichtung bis zur endgültigen Klärung von deren Verfassungskonformität wurde ebenfalls am Montag abgelehnt. Auch der griechische Gewerkschaftsdachverband im öffentlichen Dienst, ADEDY, stellte sich nur halbherzig an die Seite der Lehrer. Statt der von der OLME geforderten allgemeinen Arbeitsniederlegung im öffentlichen Dienst für den Freitag, rief die ADEDY eine solche für den gestrigen Dienstag aus. Krankenhäuser mußten deshalb gestern mit einer Notbesetzung arbeiten, viele Schulen blieben ganz geschlossen. Auch die kommunalen Finanzämter sollten nicht öffnen. Lehrer, Ärzte und Verwaltungsangestellte setzten für den Vormittag eine Demonstration im Zentrum Athens an. »Das ist unsere Antwort auf die autoritäre Politik der Regierung gegen Lehrer an weiterführenden Schulen«, teilte ADEDY mit. Am Donnerstag ist ein weiterer vierstündiger Streik geplant, dem sich auch die größte Gewerkschaft im Privatsektor, GSEE, anschließen will.

»Der Ministerpräsident hat den Ängsten von Tausenden Schülern ein Ende bereitet«, begrüßte das Bildungsministerium die Arbeitsverpflichtung. Lehrer, aber auch Eltern und Schüler dagegen sprachen von der Heuchelei einer Regierung, die das öffentliche Bildungswesen im Namen des Defizit­abbaus systematisch zugrunde richtet.

Erstmalig sei ein Streikbeschluß mit derartiger Mehrheit gefaßt worden, betonten Sprecher der Lehrergewerkschaft OLME auf deren Demonstrationen am Montag. Entgegen den Verleumdungen in den griechischen Massenmedien ginge es den Lehrern weniger um den Protest gegen die geplante Erhöhung der von ihnen zu leistenden Wochenstunden, als vielmehr um die Rettung des öffentlichen Bildungswesens an sich. Insbesondere wehrten sie sich gegen die drastischen Mittelkürzungen, die Entlassung von mehr als 10000 saisonalen Lehrkräften, die Zusammenlegung von Schulen und die Anhebung der Schülerzahlen pro Klasse.

Für den Streik hatten im Vorstand der OLME die Gewerkschaftsfraktionen der größten Oppositionspartei im Parlament, SYRIZA, aber auch die den Regierungsparteien Nea Dimokratia und PASOK nahestehenden DAKE und PASKE gestimmt. Die der Kommunistischen Partei Griechenlands, KKE, zugehörige Gewerkschaftsfraktion im Bildungswesen der PAME hatte dagegen einen 24stündigen Streik am gestrigen Dienstag vorgeschlagen. Man sei nicht grundsätzlich gegen einen Streik in der Prüfungsperiode gab der PAME-Vertreter im OLME-Vorstand, Ilias Patridis, gegenüber der Presse an. Ein solcher müsse allerdings besser vorbereitet werden.

»Du hast recht, wenn dir die Entscheidung der OLME Probleme bereitet«, heißt es auch in einem Brief der Jugendorganisation der KKE, KNE, an die in den Prüfungen stehenden Abiturienten. »Denn das ganze Jahr über haben sie praktisch nichts gegen die Gesamtheit der Angriffe getan, denen Schüler und Lehrer ausgesetzt sind.« Trotzdem müsse man sich insbesondere gegen die Dienstverpflichtung wehren, so die KNE. »Wenn du die hinnimmst, wird sie dir in Zukunft selbst begegnen, wenn du dich für deine Rechte einsetzt.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 15. Mai 2013


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