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Endlose Krise

Griechenland in der Abwärtsspirale. Zunehmende Armut wird von Regierung mit weiteren Kürzungen »bekämpft«

Von Heike Schrader, Athen *

Von oben wird kräftig Optimismus verbreitet. »Wir befinden uns auf den letzten Meilen des Marathons«, ließ EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch nach einem Treffen mit dem griechischen Ministerpräsidenten Andonis Samaras in Brüssel verlauten. Dessen Staatssekretär im Finanzministerium versuchte unterdessen, zu Hause die dem Land aufgezwungene Austeritätspolitik als erfolgreich zu verkaufen. Nach drei Jahren gäbe es »starke Indizien dafür, daß die Opfer Früchte tragen«. Als Indizien zählte Christos Staikouras auf, daß Rezes­sion und Arbeitslosigkeit nicht mehr so stark stiegen wir bisher und leitete daraus die gewagte Schlußfolgerung ab, Griechenland würde bereits im kommenden Jahr wieder ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen haben.

In der Bevölkerung sieht man die Lage dagegen gar nicht rosig. Was denn ein abgebremster Anstieg der Arbeitslosigkeit bei 60 Prozent arbeitslosen Jungendlichen bedeute, wurde zynisch auf Twitter gefragt und gemutmaßt, bei erreichten 100 Prozent würde die Regierung dies wohl als »Ende des Anstiegs der Arbeitslosigkeit« bejubeln.

Von den versprochenen Früchten ist im Land wenig zu sehen, von den – sicherlich nicht freiwillig – geleisteten Opfern umso mehr. Die Spitze des Eisberges bildet dabei der erste Todesfall dieses Winters. In der nordgriechischen Stadt Thessaloniki verstarb Anfang Dezember ein 13jähriges Mädchen an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Die seit Monaten ohne Arbeit oder staatliche Unterstützung lebende Mutter der kleinen Sarah hatte versucht, die Wohnung mit Hilfe eines offenen Grills zu wärmen. Geld für Heizöl hatte sie nicht, und der Strom war den beiden wegen Schulden bei der halbstaatlichen Stromgesellschaft bereits vor Monaten abgedreht worden. In zwei weiteren derartigen Fällen, ebenfalls in der Gegend von Thessaloniki, entkamen eine Frau bzw. eine vierköpfige Familie nur knapp dem Tod. Im zweiten Fall konnte die Feuerwehr Mutter, Vater, die fünfjährige Tochter und die Großmutter gerade noch aus ihrer Wohnung retten. Auch diesen Bewohnern hatte man wegen Schulden den Strom abgedreht und die statt elektrischem Licht verwendeten Kerzen hatten in beiden Fällen einen Wohnungsbrand verursacht. In Reaktion auf den Todesfall ordnete Ministerpräsident Samaras an, die Stromversorgung für arme Menschen wiederherzustellen und keinen weiteren Haushalten mehr den Strom abzustellen.

Mehr als 350000 Haushalten und Kleinunternehmen wurde aufgrund unbezahlter Rechnungen allein im letzten Jahr der im Zeitalter der Technik überlebensnotwendige Strom abgeschaltet. Während sich etwa 60 Prozent den Zugang zur Energieversorgung durch eine Ratenvereinbarung mit der Stromgesellschaft DEH und weitere zehn Prozent durch illegales Netzanzapfen wieder sichern konnten, sitzen mehr als 100000 Familien in Griechenland nach wie vor im Dunkeln und in der Kälte. Geld für das auch im Mittelmeerstaat im Winter nötige Heizöl hat ohnehin fast niemand mehr. Seitdem die Regierung die Steuern für Heizöl und Diesel – nach oben – angeglichen hat, ist die Bezeichnung »schwarzes Gold« für die Wärmequelle in Griechenland bittere Realität.

Wie sehr sich die Menschen hier mittlerweile auf die Befriedigung absoluter Grundbedürfnisse beschränken müssen, läßt sich auch an den Werbespots im Fernsehen ablesen. Hier haben die Supermärkte mit Werbung für Tiefpreisangebote den früher dominierenden Spots mit trendigen Produkten für trendige Konsumenten längst den Rang abgelaufen.

Nach den jüngsten Erhebungen der landeseigenen Statistikbehörde lebten bereits im vergangenen Jahr mehr als 2,5 Millionen Griechen (23,1 Prozent) an der Armutsgrenze, die mit einem Jahreseinkommen von 5 708 Euro pro Kopf beziehungsweise 11 986 Euro für eine vierköpfige Familien angegeben wird. In der Statistik nicht erfaßt, sind dabei Bevölkerungsgruppen, die bereits per Definition unter die Armen fallen, wie Obdachlose, Migranten ohne Papiere und Roma.

Der durch Absturz in Hungerlöhne und die Umwandlung unbefristeter Vollzeitstellen in prekäre Arbeitsverhältnisse abgebremste Anstieg der Arbeitslosigkeit wird unterdessen von Regierung und Troika mit einem kräftigen »Weiter so« der Austeritätsmaßnahmen bekämpft. So werden die an den Schulen trotz Klassenvergrößerung und Streichung ganzer berufsbildender Zweige immer noch vakanten Stellen nicht wie bisher üblich durch professionelle Lehrkräfte von der Behörde für Einstellungen in den Staatsdienst besetzt. Solche Lehrer erhielten zwar auch nur einen Vertrag für acht Monate, wurden aber immerhin noch nach wenn auch im Zuge der Gläubigermemoranden kräftig gestutzten Tarifen bezahlt. Statt ihrer sollen nun Langzeitarbeitslose vom Arbeitsamt für jeweils fünf Monate und mit 420 bis 490 Euro Nettogehalt im Monat an die Schulen vermittelt werden.

Ein Ende von Rezession, Verelendung und Massenarmut läßt sich mit dieser Politik sicherlich nicht erreichen. Kein Wunder, daß die Aussage von Barroso in Griechenland mit dem Verweis auf das Ende des historischen Marathons 490 vor unserer Zeitrechnung kommentiert wird. Dem Mythos nach soll der Bote mit der Nachricht des Sieges über die Perser am Zielort Athen tot zusammengebrochen sein.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 10. Dezember 2013


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