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Krisenkomplott empört Griechen

Generalstreik gegen den von Regierung, EU und IWF verordneten rabiaten Sparkurs

Von Anke Stefan, Athen *

Der zweite Generalstreik in diesem Jahr aus Protest gegen die unsozialen Sparpläne der Regierung hat das öffentliche Leben in Griechenland am Mittwoch (11. Mai) erneut lahmgelegt.

»Das öffentliche Eigentum gehört gar nicht der Regierung, sondern den Menschen hier«, kommentiert Thanassis die Forderung von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF), das Land solle zur Deckung seiner Schulden in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro durch den Verkauf von Staatseigentum einnehmen. Zusammen mit seinen Kollegen steht der Mittvierziger hinter dem Transparent des Betriebsrates beim staatlichen Rüstungsunternehmen PYRKAL auf der Generalstreikkundgebung der Gewerkschaftsdachverbände GSEE und ADEDY. Sie legten das Land am Mittwoch mit dem bereits zweiten Generalstreik des Jahres gegen die von der Regierung im Zusammenspiel mit EU und IWF verordneten Sparmaßnahmen lahm. Den ganzen Tag blieben Schulen, Universitäten und Behörden geschlossen, die Schiffe im Hafen und die Züge in den Bahnhöfen. Behinderungen gab es auch im Flugverkehr, weil die Fluglotsen über die Mittagsstunden am Generalstreik teilnahmen. Da auch die Journalisten streikten, fielen darüber hinaus alle Nachrichtensendungen in Rundfunk und Fernsehen aus, während am heutigen Donnerstag keine Zeitungen erscheinen.

Doch während die Teilnahme wie bereits bei früheren Generalstreiks zwischen 70 und 100 Prozent bei großen Industriebetrieben und im gesamten öffentlichen Dienst betrug, war die Teilnahme der Streikenden auch an den Demonstrationen geringer als beispielsweise beim vorigen Generalstreik im Februar. Auf den drei Streikkundgebungen in der Hauptstadt erreichte lediglich die der kommunistisch orientierten Gewerkschaftsfront PAME fünfstellige Teilnehmerzahlen. Die Kundgebung der beiden Gewerkschaftsdachverbände und die von der außerparlamentarischen Linken, unabhängigen Basisgewerkschaften und dem anarchistischen Spektrum organisierten Proteste blieben mit einigen tausend Teilnehmern hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Das mag seine Gründe auch in einer fehlenden Perspektivlosigkeit vieler angesichts der widersprüchlichen offiziellen Rettungsszenarien haben.

Angesprochen auf die derzeit selbst in Kreisen der Regierungspartei diskutierte Option von vorgezogenen Neuwahlen zuckt Thanassis mit den Schultern. »Von dem, was da ist, will ich nichts wählen. Was fehlt, ist jemand, der eine echte Alternative anbietet«, meint auch sein Kollege Giannis. Der beim staatlichen Fernsehen angestellte Nassos dagegen würde Neuwahlen begrüßen, weil die linke Opposition daraus wohl gestärkt hervorgehen würde.

Wie es in Sachen Griechenlandkrise weitergehen soll, sollte auch bei einem Treffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch in Berlin zur Sprache kommen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Mai 2011


Die Regierung treffen

Von Heike Schrader, Athen **

Mit ihrem bereits zweiten Generalstreik in diesem Jahr haben die Beschäftigten in Griechenland das Land am Mittwoch (11. Mai) weitgehend lahmgelegt. Der Protest richtete sich sowohl gegen neue als auch gegen die bereits umgesetzten Kürzungen bei Löhnen, Renten und Arbeitsrechten. Nach Angaben der beiden aufrufenden Gewerkschaftsdachverbände GSEE (private Wirtschaft) und ADEDY (öffentlicher Dienst) lag die Teilnahme in Industrie und Staatsdienst zwischen 75 und 100 Prozent. Behörden, Schulen, Universitäten und staatliche Banken blieben geschlossen, die Krankenhäuser nahmen nur Notfälle auf. Rundfunk und Fernsehen brachten keine Nachrichtensendungen, und am heutigen Donnerstag erscheint keine der etwa 20 Tageszeitungen des Landes. Die Schiffe blieben im Hafen, die Züge in den Bahnhöfen und auch der Luftraum war am Nachmittag für vier Stunden durch die Teilnahme der Fluglotsen am Streik gesperrt. Die öffentlichen Nahverkehrsmittel arbeiteten nur, um den Streikenden die Teilnahme an den überall im Land stattfindenden Demonstrationen zu ermöglichen.

Allein in Athen versammelten sich mehrere zehntausend Streikende zu drei verschiedenen Kundgebungen. Die mit Abstand größte führte die kommunistisch orientierte Gewerkschaftsfront PAME durch. Hier erklärte Vassilis Stamoulis zu den verschiedenen auf der Ebene der EU und des Internationalen Währungsfonds (IWF) diskutierten Umschuldungsszenarien: »Uns interessieren ihre Sorgen und Differenzen nicht, welches Rezept der Sparmaßnahmen mit den geringsten politischen Kosten umgesetzt werden kann.« Der Vorsitzende der griechischen Gewerkschaft in der Webereibranche unterstrich: »Wir sind daran interessiert, daß es sie so hart wie möglich trifft, denn sie verdüstern unser Leben und das unserer Kinder.«

Auf der Kundgebung der beiden Dachverbände forderte der GSEE-Vorsitzende Giannis Panagopoulos »eine Politik, die die Ungerechtigkeiten behebt, die Lohnabhängigen stärkt und einen Schwerpunkt auf die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und die Schaffung neuer Arbeitsplätze legt«.

Auf der dritten Versammlung, die von Teilen des griechischen Linksbündnisses SYRIZA, der außerparlamentarischen Linken, unabhängigen Gewerkschaften und dem autonomen Spektrum organisiert wurde, gab es keine Reden. »Diese Regierung muß weg, entweder durch Neuwahlen, oder indem sie mit Hubschraubern aus dem Parlament flieht«, erklärte Babis Lambiris im Gespräch mit junge Welt, während autonome Aktivisten aus einem leerstehenden Gebäude ein Transparent abseilten, das »Freiheit für die Gefangenen aus dem gesellschaftlichen und Klassenkrieg« forderte. Für den Aktivisten der griechischen »Front für Solidarität und Umsturz« ist darüber hinaus der Austritt des Landes aus EU, Euro-Zone und NATO Grundvoraussetzung für einen Ausweg seines Landes aus der Krise.

Nach einem Milliardenloch im letzten Jahr sind die Staatseinnahmen Griechenlands auch im Mai weit hinter den geplanten zurückgeblieben. Ein Ende der Krise ist nicht abzusehen, denn die bisherigen Sparmaßnahmen haben die Wirtschaft nur weiter gedrosselt. Um das Land vor einer Pleite zu bewahren, seien weitere 50 bis 60 Milliarden Kredit in den nächsten zwei Jahren nötig, war Anfang der Woche in der internationalen Presse zu lesen. Um an dieses Geld zu gelangen, plant die Regierung in Athen weitere, noch drastischere Einschnitte für die Erwerbstätigen des Landes. Diese haben am Mittwoch eine erste Antwort gegeben.

** Aus: junge Welt, 12. Mai 2011


Versteckspiel in EU-Finanzkrise

Debatte über Möglichkeit eines Schuldenschnitts für Griechenland ***

In der EU wird weiter über den Umgang mit den neuerlichen Finanzproblemen Griechenlands diskutiert.

Für Frankreich sind neue Hilfszusagen für das hoch verschuldete Griechenland noch keine beschlossene Sache. »Bislang ist keinerlei Entscheidung gefallen. »Die Regierung (in Athen) muss zuerst ihre eigenen Ressourcen mobilisieren«, sagte Finanzministerin Christine Lagarde der Tageszeitung »Le Figaro« (11. Mai). Vor allem müsse das Privatisierungsprogramm schnell umgesetzt werden.

Die Möglichkeit einer Umschuldung der griechischen Verbindlichkeiten sieht Lagarde weiter nicht. »Wir schließen das absolut aus – in welcher Form auch immer.« Außer Frage stehe auch ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone. »Es liegt mir sehr daran, die Investoren zu beruhigen«, sagte Lagarde. Sollten weitere Hilfen für Griechenland notwendig sein, sei die EU gerüstet.

Beim Treffen der Finanzminister der Eurozone am kommenden Montag (16. Mai) soll die Lage in den Euro-Krisenstaaten umfassend diskutiert werden. Griechenland soll nach Medienberichten ein weiteres Hilfspaket im Umfang von bis zu 60 Milliarden Euro erhalten, um den drohenden Staatsbankrott abzuwenden.

Gegen eine Umschuldung Griechenlands sprechen nach Einschätzung Lagardes vor allem die Nebenwirkungen einer solchen Maßnahme. »Die Restrukturierung von Schulden eines Staates würde eine so negative Nachricht an die Märkte senden, dass die gesamte Eurozone darunter leiden würde«, sagte die Ministerin. Für alle Eurostaaten würden die Refinanzierungskosten steigen. Zudem müsste die Europäische Zentralbank (EZB) hohe Verluste auf ihre griechischen Anleihen verkraften.

Derweil hat der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider der Bundesregierung Vertuschung bei der Bekämpfung der griechischen Schuldenkrise vorgeworfen. »Ich erwarte jetzt mal von der Bundeskanzlerin ein klares Wort«, sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion am Mittwoch im ARD-»Morgenma- gazin«. Die Bundesregierung äußere sich nicht konkret zum Ausmaß und möglichen Lösungen für die Krise. »Das ist hier alles nur Versteckspiel, das ist Verheimlichen, Vertuschen.«

Schneider sprach sich für einen Schuldenschnitt als eine Möglichkeit zur Beendigung der Krise aus. »Es kann nicht sein, dass im Endeffekt nur der Steuerzahler die Tasche aufmacht, wir das bezahlen und dauerhaft letztendlich Griechenland alimentieren.« SPD-Parlamentsgeschäftsführer Thomas Oppermann forderte in diesem Zusammenhang die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Der Finanzsektor müsse stärker an den Kosten der Krise beteiligt werden.

Der Chefvolkswirt der Linksfraktion im Bundestag, Michael Schlecht, forderte einen »Marshall-Plan für die Krisenstaaten«, finanziert über eine Besteuerung Reicher und Vermögender, zum Beispiel durch Einführung einer Millionärssteuer. Die Zinsforderungen der Kapitalmärkte müssen darüber hinaus beschnitten werden. Schlecht sprach zudem angesichts der Kritik an Griechenland-Hilfen aus den Reihen von einem Union und FDP von einem »Aufstand der Unanständigen«.

*** Aus: Neues Deutschland, 12. Mai 2011


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