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Unsere Schulden in Athen

Angela Merkel und Wolfgang Schäuble haben ihre Quittung erhalten: Griechenland ist aufgestanden und läßt sich nicht länger aus Berlin kujonieren

Von Otto Köhler *

Das Land taumle in den »finanziellen Abgrund«. Hochkonjunktur in Griechenland, warnte dieses Handelsblatt vom Mittwoch, hätten jetzt die »politischen Rattenfänger«. Die Ratten – das sind die Griechen, die unbedingt wählen, also schlimmstenfalls über ihr Schicksal selbst bestimmen wollen. Rattenfänger, das ist zuallererst Alexis Tsipras von SYRIZA, dem Bündnis der sozialistischen Linken. Sein Wahlerfolg aber, so scheint es, hat dem deutschen Handelsblatt eine Einsicht vermittelt: »Die Hungerkur ruiniert das Land, die immer schärferen Sparauflagen zehren an seinen Kräften – ökonomisch, politisch und gesellschaftlich. Es ist deshalb Zeit für eine Kurskorrektur.«

Höchste Zeit. Griechenlands herrschende Klasse ist in eine selbstgestellte Falle gelaufen. Ihr Wahlrecht sieht vor, daß die jeweils stärkste Partei nach der Wahl zusätzlich fünfzig Sitze im Parlament bekommt, um eine regierungsfähige Mehrheit zu garantieren. Dafür standen seit dem Ende der Obristendiktatur nach Gewohnheitsrecht stets nur die beiden heutigen Hungerkurparteien zur Wahl: die konservative Nea Dimokratia und die sozialdemokratische PASOK. Doch schon bei der Mai-Wahl war diese kuriose Sozialdemokratie auf den dritten Platz gefallen.

Das ist die Situation, vor der wir Deutschen die ahnungslosen Griechen schon immer gewarnt haben. Noch im November konnte Angela Merkel ihre Ideologie der »marktkonformen Demokratie« in Athen durchsetzen. Der sozialdemokratische Premier Giorgos Papandreou mußte die von ihm angekündigte Volksabstimmung über das sogenannte Hilfspaket unter dem Druck der deutschen Kanzlerin schon nach wenigen Stunden absagen.

Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble hält auch nichts von Volksherrschaft im Mutterland der europäischen Demokratie. Er warnte schon im Februar vor einem Urnengang im Mai (»sehr bedenklich«) und empfahl den Griechen, erst in einem Jahr abzustimmen, wenn alle Entscheidungen gefallen sind. Und sie so durch Wahlen nichts mehr ändern können.

Deutsches Protektorat

Als dann doch gegen den erbitterten deutschen Rat abgestimmt wurde und so entsetzlich falsch, daß die Linkssozialisten die bewährten Sozialdemokraten vom zweiten Platz verdrängten, da riß dem hochangesehenen und einflußreichen Präsidenten des öffentlich finanzierten Hamburger Weltwirtschaftsinstituts Thomas Straubhaar die Geduld mit den Griechen. Kaum waren die Stimmen ausgezählt, der Undank des Hellenenvolkes offenbar, da erhob er die konsequente Forderung: »Wir brauchen ein Protektorat«. Im Tagesspiegel nannte er Griechenland, einen »gescheiterten Staat«, aus dem man ein »europäisches« – und das heißt heute ein deutsches – »Protektorat« machen müsse.

Doch der zielstrebige Straubhaar irrt. Das deutsche Protektorat Griechenland ist längst geschaffen. Am symbolkräftigen 30. Januar stand auf Seite 2 der Frankfurter Allgemeinen die Überschrift: »›Protektoratsähnliche Zustände‹: Schon jetzt wachen Deutsche über Athen«. Seit 2010 bereits stehe Athen »unter Aufsicht«. Die »griechischen Reformbemühungen« werden von der »Troika« und der »Arbeitsgruppe für Griechenland« überwacht. Die Troika aus Fachleuten des Internationalen Währungsfonds, der EU und der Europäischen Zentralbank wahrt den Schein. FAZ: »Sie macht Vorgaben zur Sparpolitik und zu Reformen, hilft aber nicht bei deren Durchsetzung.« Das macht die später geschaffene Task Force – auf gut deutsch: Einsatzgruppe. Sie ist in Griechenland so verhaßt, daß ihr Büro in Athen, laut FAZ, »nach Bombendrohungen bereits mehrfach geräumt werden mußte«. Einsatzgruppen-Führer Horst Reichenbach geht den Griechen an die Nieren. Vor allem mit der von ihm angeordneten »Reform des Gesundheitswesens«. Der deutsche Befehlshaber: »Es gibt in diesem Bereich ein übergeordnetes Ziel: Griechenland darf nicht mehr als sechs Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit ausgeben. Dazu müssen 1,1 Milliarden Euro weniger für pharmazeutische Produkte ausgegeben werden.« Auch die Verwaltung der Krankenhäuser müsse »verschlankt« werden. In diesem Bereich, verlangt Reichenbach, »müssen 400 Millionen Euro eingespart werden«.

Die Wut über sein Spardiktat verfolgt Reichenbach bis auf sein Heimatgrundstück an einem See bei Potsdam. Seine Villa wurde beschmiert, sein Auto angezündet. Am Dienstag tauchte ein Bekennerschreiben auf, unterzeichnet von »Die FreundInnen von Loukanikos«. Loukanikos, ein real existierender Hund, ist immer dabei, wenn in Athen gegen das deutsche Spardiktat demonstriert wird.

Wer Herr im Lande ist

Hier bei uns bangen die maßgebenden Medien, ob man auch grob genug mit Griechenland umgehe. Aus Athen, wo er den Griechen Wahlempfehlungen und den Parteien Richtlinien geben will, meldete sich am Freitag um 7.17 Uhr im Deutschlandfunk der deutsche Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz zu Wort: »Ich werde den Führer der Linkspartei heute treffen«. Der DF-Moderator besorgt: »Und klare Worte finden?« Schulz versprach es.

Schon Außenminister Joachim von Ribbentrop hatte am 8. April 1943 erkannt, »in Griechenland müsse brutal durchgegriffen werden, wenn die Griechen Morgenluft wittern sollten«. Man müsse »den Griechen eisern zeigen, wer Herr im Lande ist«. Derartige harte Maßnahmen seien notwendig, wenn man sich in einem Krieg mit Stalin befinde, der kein Kavalierskrieg, sondern ein brutaler Ausrottungskrieg sei.

Und dies ist heute im Kampf gegen den Linksparteivorsitzenden Tsipras nur wenig anders. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schloß Neuverhandlungen mit Griechenland über das europäische »Hilfspaket« aus. »Es wird durch Wiederholung nicht besser«, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Wenn das Land in der Euro-Zone bleiben wolle, müsse in Athen eine handlungsfähige Regierung sitzen, die den eingeschlagenen Weg mitgehe. Handlungsfähig heißt: Die Regierung muß unsere Anordnungen durchführen. Schäuble: »Jetzt muß Griechenland selber die Entscheidung treffen.«

Schäuble, der am Donnerstag in ­Aachen den Internationalen Karlspreis – diese Prämie ist nach dem Sachsenschlächter Karl »der Große« benannt – verdientermaßen verabreicht bekam, hatte schon kurz zuvor in Brüssel erklärt, wenn Griechenland den Euro behalten wolle, dann müsse es auch die – seine – Bedingungen dafür akzeptieren. Doch danach sieht es nicht mehr aus.

* Aus: junge Welt, Samstag, 19. Mai 2012


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