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Krankes System

Griechenland: Klinken werden geschlossen, Medikamente sind vielfach nicht vorhanden

Von Heike Schrader, Athen *

Zum erstem Mal würden Gelder aus den Krediten von EU, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank in die griechische Wirtschaft fließen, hatte Antonis Samaras Mitte letzter Woche nach der Zusage der EU-Finanzminister zu der Auszahlung der längst fälligen Kreditrate in Höhe von 43,7 Milliarden Euro erklärt. Damit gab der griechische Ministerpräsident erstmals offen zu, was bislang immer verschwiegen worden war: Alle Griechenland bisher gewährten Kredite des sogenannten Europäischen Rettungsschirms hatten nicht der Überwindung der Schuldenkrise oder der Ankurbelung der Wirtschaft, sondern lediglich der fristgerechten Begleichung alter Schulden an dieselben Gläubiger gedient.

Gleichzeitig verschwieg der griechische Ministerpräsident, daß auch von den neuen Milliarden nur ein kleiner Bruchteil den Menschen im Lande zugute kommen wird. Von der für Dezember angekündigten Auszahlung in Höhe von 34,4 Milliarden sollen 23,8 Milliarden zur Refinanzierung der griechischen Privatbanken dienen. Daß diese danach den Kredithahn für die am Boden liegende heimische Wirtschaft wieder öffnen werden, ist wohl eher eine Wunschvorstellung der Regierung. Von den restlichen 10,6 Milliarden Euro wird der überwiegende Teil für die Begleichung fälliger Schulden an die Gläubigertroika benötigt.

Nur etwa 1,9 Milliarden Euro fließen tatsächlich in die griechische Wirtschaft. Diesen Betrag will die Regierung für die Begleichung eines Teils der Staatsschulden in Höhe von insgesamt 9,3 Milliarden Euro bei Bürgern und einheimischen Unternehmen aufwenden. Dabei steht allein das durch Mittelentzug ruinierte griechische Gesundheitssystem mit drei Milliarden Euro in der Kreide. Soviel schulden die staatlichen Krankenhäuser und die durch Zusammenlegung fast aller Krankenkassen entstandene Einheitskasse EOPYY ihren Beschäftigten und Zulieferern.

Die Folgen von Mittelstreichungen und Überschuldung sind fatal. Von den 132 griechischen Krankenhäusern sollen lediglich 82 bestehen bleiben. Gleichzeitig können sich immer mehr Griechen die Behandlung in einem der privaten Krankenhäuser nicht mehr leisten. Die ohnehin überlasteten öffentlichen Behandlungszentren können diese zusätzlichen Patienten oft nicht einmal rudimentär versorgen. In fast allen öffentlichen Einrichtungen stehen wieder Notbetten in den Fluren.

Behandlungsprogramme werden ersatzlos gestrichen. So wurde beispielsweise die Betreuung für geistig Behinderte am Athener Krankenhaus Evangelismos eingestellt. Anstatt Unterbringung in betreuten Wohnungen müssen diese Patienten jetzt allein zurechtkommen oder sich in die als "Seelenabstellkammern" zynisch, aber leider zutreffend beschriebenen vollkommen unterfinanzierten psychiatrischen Einrichtungen einweisen lassen.

Ebenso schlimm sieht es bei der Versorgung mit Medikamenten aus. Krankenhäuser und EOPYY schulden ausländischen Pharmakonzernen und einheimischen Apotheken insgesamt weit über eine Milliarde Euro. Zahlreiche Medikamente sind deshalb nur stark eingeschränkt verfügbar. Besonders Krebskranke berichten in den Medien immer wieder von tagelangen Odysseen durch die Apotheken auf der Suche nach den für sie lebenswichtigen Präparaten. Wer sich in einem staatlichen Krankenhaus behandeln läßt, tut überdies gut daran, vorher abzuklären, ob die benötigten Materialien bis hin zu sterilen Einweghandschuhen, Binden oder Spritzen vorhanden sind - oder bringt sie selbst mit, sofern er sich das leisten kann.

Die meist als Familienbetrieb organisierten Apotheken des Landes sind durch die staatlichen Mittelstreichungen und die aufgelaufenen Rechnungen gegenüber der Einheitskasse EOPYY längst an ihre Grenzen gelangt. Während diese bei ihnen Schulden hat, müssen die Apotheker die Pharmafirmen bei Lieferung der Medikamente bezahlen. Zusätzlich verlangt der Staat die fristgerechte Überweisung von Einkommens- und Mehrwehrtsteuer auf gegen Rezept abgegebene Medikamente, obwohl die Kasse den Apothekern die eingereichten Rezepte erst Monate später bezahlt. Zum wiederholten Male lösen seit letzter Woche deswegen die Apotheker Rezepte der EOPYY nur gegen Barzahlung der Patienten ein, die sich das Geld wieder bei der Kasse holen sollen. Wer das Geld nicht hat, bekommt die benötigten Medikamente nicht.

* Aus: junge Welt, Montag, 03. Dezember 2012


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