Griechenland braucht einen Befreiungsschlag
Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel hält die bisherige Rettungsstrategie für gescheitert und fordert einen zweiten Schuldenschnitt *
Eigentlich sollte der EU-Gipfel die
Freigabe der nächsten Kredittranche
für Griechenland formell absegnen.
Doch die Euro-Finanzminister müssen
wegen technischer Probleme und internen
Streits nächste Woche weiterverhandeln.
Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel fordert im nd-Interview
ein Ende der Politik des »Weiter
so«. Mit ihm sprach Kurt Stenger.
Die Euro-Finanzminister haben
ihre Entscheidung über die Freigabe
der nächsten Tranche der
vereinbarten Griechenland-Kredite
vertagt. Wo hakt es?
Wir sind in einer neuen Etappe,
die ich für sehr dramatisch halte.
Eigentlich haben die Finanzminister
und auch die Troika gesagt,
dass sich die eisernen, neoliberalen
Ziele für den Schuldenabbau in
Griechenland nicht einhalten lassen.
Das ist eine erste vorsichtige
Anerkennung unserer linken Kritik,
dass diese Art von Austeritätspolitik
überhaupt nicht die Sanierung
der Haushalte vorantreibt,
sondern im Gegenteil ökonomische
Krise schafft und die Staatshaushalte
endgültig zerrüttet. Eigentlich
müsste man den Schluss ziehen, dass diese Art von Sanierungsstrategie
– Finanzhilfen nur zum Preis massiver Einsparungen
vor allem im Sozialbereich – gescheitert
ist. Dazu fehlt den herrschenden
Eurokraten der Mut, deshalb will man lediglich eine
Streckung des Defizitabbaus von
2014 auf 2016 zulassen.
Würde die zeitliche Streckung
um zwei Jahre bedeuten, dass
Griechenland noch zusätzliche
Hilfskredite benötigt?
Durch das Hinausschieben des
Defizitabbaus würde sich beim
Rettungsfonds ein Finanzierungsbedarf
von rund 32 Milliarden Euro
auftun, um die Gläubiger zu bedienen.
Daran sieht man die ganze Absurdität dieser Strategie. Zudem
gibt es Streit mit dem zweiten Geldgeber, dem Internationalen
Währungsfonds (IWF), der laut seinen Satzungen nur dann helfen
darf, wenn eine klare Strategie des
Schuldenabbaus vorliegt. IWF-Direktorin
Christine Lagarde will bis 2020 die Quote der Staatsschulden,
bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt
(BIP), von 175 Prozent auf 120 Prozent senken und
sagt, dies ist nur machbar durch
einen erneuten Schuldenschnitt. Das wollen die Finanzminister
wegen möglicher Haushaltsbelastungen
nicht, deshalb suchen sie nach Zwischenlösungen: So könnte
man die Zinsen senken, die die belasteten Griechen an den ESM,
aber auch an Deutschland zahlen müssen. Oder man gibt Athen die
Möglichkeit, alte Staatsschulden, die nur noch zu 25 Prozent ihres
Ursprungswerts gehandelt werden, bei privaten Gläubigern billig
zurückzukaufen. Letzteres würde aber nicht funktionieren: Bereits
die Ankündigung würde die Kurse nach oben treiben.
Was schlagen Sie vor?
Griechenland braucht einen Befreiungsschlag,
um den Teufelskreis
zwischen Wirtschafts- und
Finanzierungskrise zu durchbrechen.
Es müsste eine mehrjährige
wirtschaftliche Sanierungsstrategie
zur Stärkung der Wirtschaft
aufgestellt werden – ein Herkulesplan.
Und das Land muss rasch
von den Schulden befreit werden.
So könnte die Europäische Zentralbank
griechische Anleihen im
Umfang von 40 Milliarden Euro
streichen, die sie in den Büchern
hat. Würde die EZB deshalb Verluste
machen, würde der Bundeshaushalt
belastet.
Wäre ein Schuldenschnitt ohnesolche Probleme möglich?
Man könnte die Idee eines Schuldentilgungsfonds
aufgreifen. Der ESM übernähme die Schulden, um
die Quote auf 60 Prozent des BIP in Griechenland abzubauen. Die
Mitgliedsstaaten finanzieren den Kapitaldienst. Damit würde der
ESM endlich das Schuldenmanagement vergemeinschaften. Der
Weg zu Eurobonds wäre nicht mehr lang.
Beim EU-Sondergipfel in Brüssel
soll das Thema Griechenland
offiziell keine Rolle spielen.
Das ist ein Ärgernis, ja ein Skandal.
Die Zukunft der EU hängt
von der Rettung des Euro ab. In
dieser Phase der dramatischen
Zuspitzung muss der EU-Gipfel
den Befreiungsschlag vorbereiten.
Die wichtigsten Akteure, allen
voran die Bundesregierung,
müssten endlich einräumen, dass
die bisherige Politik des Durchwurschtelns
gescheitert ist. Deutschland kann nicht mehr
länger die Vorteile aus dem Euro
nutzen, jedoch dessen Rettung
verhindern.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 22. November 2012
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