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"Anwohner berichten von brutalen Polizeieinsätzen"

Auf der griechischen Halbinsel Chalkidiki soll ein riesiges Goldbergwerk entstehen. Proteste aus der Bevölkerung. Ein Gespräch mit Giorgos Velegrakis *


Giorgos Velegrakis forscht an der Harokopio Universität von Athen und ist Mitglied in der "Arbeitsgemeinschaft Energie" beim Vorstand der Linkspartei Syriza.

Im Norden Griechenlands, östlich von Thessaloniki auf der Halbinsel Chalkidiki protestieren die Anwohner gegen den geplanten Abbau von Gold. Weshalb?

Die Menschen brauchen dieses Goldbergwerk einfach nicht. Zum einen ist es eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer Umwelt und damit ihrer Lebensqualität, zum anderen schafft es nur in sehr begrenztem Umfang Arbeitsplätze. Das Unternehmen, das den Tagebau erschließt und sich zu 95 Prozent in der Hand des kanadischen Bergbaukonzerns Eldorado befindet, stellt nur wenige Menschen aus der unmittelbaren Nachbarschaft ein.

Allerdings ist dort der Abbau von Gold nichts Neues.

Das stimmt. Dort wurde schon in der Antike Gold gewonnen, insofern gehört der Bergbau in gewisser Weise zur lokalen Ökonomie. Im Vergleich zu dem, was jetzt geplant ist, war der Umfang aber bisher sehr klein. 380 Millionen Tonnen Abraum und Erz sollen bewegt werden!

Um einen Vergleich zu haben: In den vergangenen zweieinhalbtausend Jahren wurden schätzungsweise 33 Millionen Tonnen aus der Erde geholt – also nicht einmal ein Zehntel. Es werden also riesige Halden entstehen. Bisher basiert die Wirtschaft in dieser Region vor allem auf Forst- und Landwirtschaft sowie auf Tourismus. Damit wird mehr oder weniger Schluß sein, wenn dieses Megaprojekt durchgesetzt wird.

Wegen der Umweltschäden?

Und wegen der sozialen Schäden, beides ist eng miteinander verknüpft. Was die Umweltschäden angeht, so ist da zunächst die große Menge an Wasser, die benötigt wird, um das Gold vom Gestein zu trennen. Außerdem wird eine große Fläche entwaldet und größtenteils in einen Tagebau verwandelt. Schließlich ist unklar, was mit dem Abraum und den giftigen Schlämmen passiert, die vom Auswaschen des Goldes übrigbleiben. Die Anwohnern fürchten, daß Staub und Gifte an den Stränden und im Meer landen.

Was verstehen Sie unter sozialen Schäden?

Auf der Halbinsel Chalkidiki zerfällt die lokale Gesellschaft. Um das Projekt durchzusetzen, haben das private Unternehmen und die Behörden gemeinsam in der Region eine Art Polizeistaat etabliert. Die Polizei schützt die private Infrastruktur gegen die Anwohner und patroulliert in den umliegenden Dörfern, nimmt Menschen fest, nimmt DNA-Proben. Die Botschaft ist: Der Goldabbau soll unter allen Umständen durchgesetzt werden. Viele Anwohner berichten von zum Teil brutalen Polizeieinsätzen. Das sorgt natürlich auch innerhalb der Dörfer für erhebliche Spannungen, denn ein Teil der Bewohner unterstützt das Vorhaben, weil sie auf Arbeitsplätze hoffen.

Und warum DNA-Tests?

Vor zwei Monaten hat eine Gruppe von 40 Leuten – wer das war, ist bis heute unbekannt – im Schutze der Dunkelheit die Absperrungen des geplanten Abbaugeländes überwunden und nahezu alle Einrichtungen der Bergbaugesellschaft zerstört. Für den Staat war das ein Vorwand, die Repression zu verstärken. Es gab viele Verhaftungen und die erwähnten DNA-Tests. Eine große Kundgebung vor einer Polizeistation wurde mit Tränengas auseinander gejagt.

Gibt es Solidarität mit dem örtlichen Widerstand aus anderen Teilen Griechenlands?

Es gibt ein breites Solidaritätsnetzwerk. Zur Zeit ist der Kampf auf der Chalkidiki die größte soziale Bewegung in Griechenland. Das hat damit zu tun, daß soziale und Umweltbewegungen in vielen Regionen unter mehr oder weniger ähnlicher Unterdrückung leiden. Viel Unterstützung kommt zum Beispiel von der Bewegung, die vor zwei Jahren im Großraum Athen gegen eine neue Mülldeponie gekämpft hat. Auf der anderen Seite gibt es politische Unterstützung von der gesamten Linken, von den Anarchisten über Syriza bis hin zur Kommunistischen Partei.

Konflikte wie auf der Chalkidiki spielen sich in vielen Ländern ab. Gibt es eine internationale Vernetzung?

Bisher gibt es nur Kontakte zu Initiativen aus Rumänien. Dort, in Rosia Montana, gibt es ähnliche Auseinandersetzungen um einen Tagebau. Für den sollen Hunderte Bauern umgesiedelt und wertvolle archäologische Fundstätten zerstört werden.

Interview: Wolfgang Pomrehn

* Aus: junge Welt, Dienstag, 9. April 2013


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