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Chrysi Avgi wurde der Regierung gefährlich

Dimitris Psarras über die Versuche, die "Goldene Morgendämmerung" in Griechenland zu bekämpfen *


Dimitris Psarras ist Journalist bei der selbstverwalteten griechischen »Zeitung der Redakteure« und Autor des »Schwarzbuchs Chrysi Avgi«, das demnächst auch auf auf deutsch erscheinen soll. Bereits im September ist bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung die Broschüre »Neonazistische Mobilmachung im Zuge der Krise« (online abrufbar unter www.rosalux.de) von Psarras erschienen, die er diese Woche in Deutschland vorstellte. Über das aktuelle Vorgehen der griechischen Regierung gegen die neofaschistische Partei sprach mit ihm für »nd« János Erkens.


Nach der Ermordung des antifaschistischen Musikers Pavlos Fyssas im September durch ein Mitglied der rechtsradikalen Chrysi Avgi wurden führende Politiker der Partei verhaftet und Anstrengungen unternommen, sie zu verbieten. Sind diese Maßnahmen Zeichen dafür, dass die griechische Regierung die Taten von Chrysi Avgi endlich ernst nimmt?

Ja, ich glaube schon. Viele Jahre lang kamen die Schlägertrupps von Chrysi Avgi der Polizei eigentlich ganz gelegen, weil sie die »schmutzige Arbeit« übernommen haben – sprich: MigrantInnen, linke AktivistInnen und unliebsame DemonstrantInnen verprügelt haben. Das war gewissermaßen ein offenes Geheimnis. Obwohl die Opferzahlen in die Tausende gehen, wurden die wenigsten dieser Straftaten zur Anzeige gebracht. Der Mord an Pavlos Fyssas schafft aber eine neue Situation: Das Opfer ist jetzt ein weißer Grieche. Das hat viele Menschen aufgeschreckt und zu Demonstrationen geführt. Auch die Massenmedien, die Chrysi Avgi bisher überwiegend als harmlos dargestellt oder nicht ernst genommen hatten, beziehen mittlerweile Stellung gegen die Partei.

Das klingt tatsächlich nach einem Wendepunkt.

Genau. Bisher war die Botschaft der Regierung an Chrysi Avgi: Ihr könnt machen, was Ihr wollt – wir schauen weg. Das ging so lange gut, wie die Partei keine Bedrohung für die Regierung dargestellt hat. Aber spätestens seit dem Einzug ins Parlament fühlt sich Chrysi Avgi zu stark. Das ist ein strategischer Fehler und der Regierung ist zunehmend klar, dass Chrysi Avgi auch für sie gefährlich ist.

Aber ist die Strategie der Regierung nicht eher, durch eigene rechte Parolen potenzielle Chrysi-Avgi-WählerInnen anzusprechen? Ich denke da etwa an die Operation »Xenios Zeus«, bei der die Polizei mittels »Ethnic profiling« seit dem vergangenen Jahr zahllose MigrantInnen festgenommen hat?

Das stimmt teilweise. Die Regierung hat den Wahlerfolg von Chrysi Avgi 2012 kommen sehen. Im Wahlkampf hat die Nea Dimokratia (Partei des konservativen Ministerpräsidenten Andonis Samaras, Anm. d. Red.) daher versucht, einen Teil der rechten WählerInnen abzufangen, indem sie ein hartes Vorgehen gegen MigrantInnen propagiert hat. Es wurden in der Wahlkampfphase Auffanglager für illegalisierte Einwanderer gebaut und einer ihrer Wahlkampfslogans lautete: »Wir erobern unsere Städte zurück!« In diesem Zusammenhang steht auch die Operation »Xenios Zeus«, die übrigens von der Bevölkerung überwiegend negativ wahrgenommen wurde. Aber Chrysi Avgi ist mehr als »nur« eine rechtsextreme oder faschistische Partei. Das sind handfeste Nazis, für die Gewalt elementarer Bestandteil ihrer Ideologie ist.

Chrysi Avgi gibt es bereits seit 1980 und der personelle Kern der Gruppe ist seitdem weitgehend identisch. Wie Sie schreiben, war die Partei allerdings bis 2012 eher randständig. Wie erklären Sie sich den Wahlerfolg des vergangenen Jahres, als Chrysi Avgi mit 18 von 300 Sitzen ins Griechische Parlament einzog?

Natürlich spielt die ökonomische und soziale Krise eine zentrale Rolle: Als Gründe geben die WählerInnen von Chrysi Avgi diffusen Protest und Verzweiflung an sowie den Wunsch, das System irgendwie zu bestrafen. Denn dem Gefühl der BürgerInnen nach haben die beiden großen Parteien das Land in die Krise geführt, die Stimmung ist also von Wut und Ressentiment geprägt. Dieses Phänomen ist zwar definitiv krisentypisch – aber in Spanien oder Portugal gibt es eine solche Krise auch und dort sitzen keine Nazis im Parlament. Vielmehr ist Griechenland schon lange europaweit an der Spitze, was xenophobe Einstellungen in der Bevölkerung angeht – und die hat schließlich dem Erstarken von Chrysi Avgi überhaupt erst den Boden bereitet.

Wo sehen Sie Potenziale, die Gewalttaten von Chrysi Avgi zu beenden? Halten Sie etwa ein Verbot der Partei für sinnvoll?

Die griechische Verfassung enthält bewusst keine Klausel, mit der eine Partei verboten werden kann. Im Strafgesetz gibt es allerdings Paragrafen, die Chrysi Avgi als kriminelle Organisation klassifizieren – wobei das Problem ist, dass die Partei sich nicht offiziell zu den Straftaten ihrer Mitglieder bekennt, sondern meist mit kruden Verschwörungstheorien auf Anschuldigungen reagiert. Aufgrund des rechtsradikalen Potenzials in der griechischen Bevölkerung würde nach einem Verbot von Chrysi Avgi aber ohnehin eine äquivalente Gruppe auf den Plan treten, dessen bin ich mir sicher.

Meiner Meinung nach ist es also vor allem Aufgabe und Pflicht der linken, antifaschistischen Gruppen und Organisationen, gegen Chrysi Avgi zu mobilisieren.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 24. Oktober 2013


Parteienfinanzierung gestoppt

Das griechische Parlament hat der »Goldenen Morgendämmerung« am Dienstagabend die Parteienförderung gestrichen. Eine deutliche Mehrheit von 235 der 300 Abgeordneten stimmte für eine Gesetzesänderung, die den Entzug der staatlichen Hilfen vorsieht, wenn eine Partei, ihr Vorsitzender oder mindestens ein Zehntel ihrer Abgeordneten »wegen der Gründung oder der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung« angeklagt sind. Bei Chrysi Avgi sind dies sechs der insgesamt 18 Abgeordneten. Drei von ihnen sitzen in einem Hochsicherheitsgefängnis bei Athen in Untersuchungshaft, darunter Parteichef Nikos Michaloliakos. Chrysi Avgi muss nun auf 873 000 Euro verzichten, die sich aus dem Stimmenanteil bei der Wahl im vergangenen Jahr ergaben.

Die Gesetzesänderung wurde von den Abgeordneten der Regierungskoalition aus sozialdemokratischer PASOK und der konservativen Nea Dimokratia sowie von der oppositionellen radikalen Linken Syriza angenommen. Die rechtsradikalen Abgeordneten bezeichneten die Maßnahme als Verstoß gegen die Verfassung. Nach der Debatte, die dem Votum vorausging, verließen sie aus Protest den Saal.

Das Parlament hatte vergangene Woche wegen der Ermittlungen gegen die sechs Abgeordneten deren Immunität aufgehoben. Ein Ausschuss prüft derzeit auf Antrag der Justiz einen entsprechenden Schritt gegen die Abgeordnete Eleni Zaroulia, die Ehefrau des Parteivorsitzenden. Sie soll versucht haben soll, ihrem Mann bei einem Gefängnisbesuch eine Patrone zu übergeben. Die Entscheidung über die Aufhebung ihrer Immunität wird für nächste Woche erwartet.




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