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"Parolen wie 'Tötet die jüdische Ratte' verbreitet"

Internethetze gegen Nazigegner: Losung "Zerschlagt Faschismus" wird als Gewaltaufruf ausgelegt. Ein Gespräch mit Savas Michael-Matsas *


Savas Michael-Matsas (66) ist ein griechisch-jüdischer Kommunist und führendes Mitglied der Revolutionären Arbeiterpartei Griechenlands (EEK).


Sie müssen am 3. September zusammen mit dem ehemaligen Präsidenten der Nationalen Technischen Universität in Athen vor Gericht. Der Vorwurf lautet Diffamierung und Aufruf zur Gewalt – nach einer Anzeige der Neonazipartei Chrysi Avgi (»Goldene Morgendämmerung«). Wie kam es zu dieser Anklage?

Anfang 2009, nach der großen Revolte der griechischen Jugend im Dezember 2008, trat die Regierung mit Hilfe der Neonazis von Chrysi Avgi regelrechte Pogrome in Vierteln mit vielen Migranten los. Die griechische Linke organisierte mehrere antifaschistische Demonstrationen, an denen auch meine Partei beteiligt war. Die »Goldene Morgendämmerung« erstattete daraufhin Anzeige gegen alle linken Parteien – darunter die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), das linke Bündnis SYRIZA, das antikapitalistische Bündnis ANTARSYA und auch die EEK – sowie gegen Migrantenvereine und unabhängige Aktivisten. 2012 wurde diese Anzeige von der rechten Samaras-Regierung wieder aufgegriffen und die Polizei fing an, die Betroffenen zu vernehmen. Im Juni 2013 wurden von den rund 80 Angezeigten zwei ausgewählt: Konstantinos Moutzouris, ehemaliger Präsident der Nationalen Technischen Universität, und ich.

Was wird Ihnen genau vorgeworfen?

Es geht um einen Aufruf unserer Partei zu den antifaschistischen Demonstrationen von Mai 2009. Als Generalsekretär bin ich laut Anzeige für jeden Text der Partei verantwortlich, auch wenn ich nicht selbst unterzeichnet habe. Daß ich Jude bin, macht meinen Fall noch schlimmer. Im Internet werden Parolen wie »Tötet die jüdische Ratte« verbreitet. Es wird behauptet, ich sei Gesandter einer »jüdischen Weltverschwörung«, um ein »Judäo-Bolschewistisches Regime« in Griechenland zu etablieren.

Der Vorwurf der Diffamierung bezieht sich auf unsere Verurteilung der faschistischen Gewalt gegen Migranten. Die Losung »Zerschlagt den Faschismus« wird als Aufruf zur Gewalt ausgelegt, unser Aufruf zu einer Demonstration als »Störung der öffentlichen Ruhe«. Konstantinos Moutzouris wird vorgeworfen, den Betrieb des unabhängigen Nachrichtenportals Indymedia vom Gelände der Universität erlaubt zu haben.

Warum setzen die Faschisten auf juristischen Angriff?

Genau wie die Front National in Frankreich schlagen die griechischen Faschisten diesen Weg ein, um Grundlagen für staatliche Angriffe gegen die Linke zu schaffen. Doch diese »legalen« Mittel stehen immer in Verbindung zu illegalen physischen Angriffen auf linke Aktivisten und migrantische Communities, jüdische Synagogen und Friedhöfe.

Wie konnte die »Goldene Morgendämmerung« in den vier Jahren seit der Anzeige von einer winzigen Splittergruppe zu einer Partei mit 21 Parlamentsabgeordneten anwachsen?

Ihr Aufstieg ist untrennbar mit der Zerstörung der Lebensstandards der Bevölkerung verbunden. In den letzten drei Jahren der Durchsetzung drakonischer Sparmaßnahmen durch die Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds sind Millionen Menschen, vor allem aus der Mittelschicht, in Arbeitslosigkeit und Elend gestürzt worden. Das bürgerliche System ist dadurch völlig diskreditiert. Ein großer Teil der Bevölkerung wählte die linksreformistische Partei SYRIZA zur offiziellen Opposition, aber ein anderer großer Teil wendet sich der extremen Rechten zu. Die Neonazis haben Verbindungen zum Staatsapparat seit der Diktatur von 1967 bis ’74. Aber seit der Jugendrevolte 2008 wurden diese Verbindungen nochmals gestärkt. Vor dem Hintergrund der Krise bekommen die Neonazis Hilfe vom Staat: Sie werden vor Strafverfolgung geschützt, während Staatsanwälte Anklage gegen Antifaschisten erheben. Es ist kein Zufall, daß die Hälfte der Polizei bei den letzten Wahlen für die »Goldene Morgendämmerung« stimmte.

Wie kann der faschistischen Gefahr begegnet werden?

Wir brauchen eine Einheitsfront aller Organisationen der Arbeiter, Migranten und Linken gegen die Neonazis. Durch den Zusammenbruch des Wohlfahrtsstaates ist ein Vakuum entstanden, das die Rechten demagogisch mit Angeboten »nur für Griechen« zu füllen versuchen. Dagegen müssen Netzwerke der Solidarität aufgebaut werden, ebenso wie Selbstverteidigungsgruppen gegen faschistische Angriffe. Doch in erster Linie müssen wir für einen sozialistischen Ausweg aus der aktuellen Krise eintreten, mit einem Notprogramm von Maßnahmen gegen die soziale Katastrophe.

Interview: Wladek Flakin

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 17. Juli 2013


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