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"Das Memorandum ist der Feind, nicht die Migranten"

Die griechische Faschistenpartei Chrysi Avgi hat großen Zulauf. Aber auch Antifaschisten machen mobil. Ein Gespräch mit Thanasis Kourkoulas *


Thanasis Kourkoulas ist Lehrer, Aktivist der Initiative »Rassismus abschieben« und Mitglied der linken Opposi­tionspartei SYRIZA. Zur Zeit befindet er sich auf einer Rundreise in Deutschland.


In Griechenland ist die faschistische »Chrysi Avgi« in relativ kurzer Zeit von einer Splittergruppe zu einer Partei mit 21 Parlamentsabgeordneten geworden. Wie konnte das passieren?

Bei den Parlamentswahlen im Oktober 2009 hatte sie nur 0,2 Prozent der Stimmen bekommen – damals war sie nur eine marginalisierte Neonazigruppe mit 500 Mitgliedern. Doch schon zweieinhalb Jahre später bekamen sie sieben Prozent, also etwa 400000 Stimmen. Jetzt hat sie bis zu 4000 Mitglieder und eröffnet in diversen Städten neue Parteibüros. Am 2. Februar konnte sie 6000 Gefolgsleute zu einer Kundgebung in Athen mobilisieren.

Wie verhalten sich die Regierungsparteien zu den Faschisten?

Die Regierung ist schwächer denn je, denn sie wird jetzt von nur zwei, statt drei Parteien getragen. Doch das macht sie nicht weniger gefährlich. Sie plant Massenentlassungen in öffentlichen Betrieben sowie die Schließung von Krankenhäusern und Schulen.

Eine Zeit lang sah es so aus, als ob auch die sozialdemokratische PASOK die Regierung verlassen könnte. Berater des Ministerpräsidenten Antonis Saramas von der konservativen Nea Demokratia sagten, daß es nach eventuellen Neuwahlen nötig sein könnte, sich auf die Stimmen der Faschisten im Parlament zu stützen. Das ist nicht ihre erste Option, aber in ihrer Ausweglosigkeit denken sie über so etwas nach.

Der PASOK-Vorsitzender Evangelos Venizelos dagegen schimpft unentwegt auf die »Chrysi Avgi«. Aber dadurch gewinnen diese Partei wieder an Sympatie, weil die Bevölkerung Venizelos haßt, dessen Partei die brutale Sparpolitik erst auf den Weg gebracht hat.

Warum bekommen die Neonazis eine so breite Unterstützung?

Bei den Umfragen geben ihre Wähler zwei Gründe an: Erstens sind sie sowieso Rassisten und »Chrysi Avgi« verspricht die Abschiebung aller Ausländer aus Griechenland. Zweitens glauben sie, daß die Faschisten gegen das korrupte politische Establishment vorgehen. Das sind auch die zwei Achsen der Selbstdarstellung der Nazis, sie reichen aber als Erklärung nicht aus.

Der Rassismus ist nämlich seit Jahren offizielle Politik des Staates. Schon 2010 kündigte der damalige Ministerpräsident Georgios Papandreou von der PASOK »null Toleranz« für illegale Migranten an. Dieser rassistische Diskurs der Regierung soll die Bevölkerung von der Sparpolitik ablenken – er nutzt aber in erster Linie den Nazis.

Gleichzeitig wird »Chrysis Afgi« vom Staat geduldet, 30-40 Prozent der Polizisten wählen sie. Strafverfahren gegen Faschisten werden oft eingestellt, auf Polizeirevieren hingegen kommt es immer wieder vor, daß Antifaschisten gefoltert werden.

Was macht die griechische Linke gegen diese Gefahr?

Bis 2012 haben große Teile der Linken die Nazigefahr nicht erkannt, doch deren Wahlergebnis war dann ein Schock. Daraufhin haben sich 500 antifaschistische Initiativen in ganz Griechenland gebildet. Manchmal sind es kleine Gruppen aus Anarchisten und Autonomen, manchmal sind es breite Bündnisse linker Gruppen.

Die Faschisten versuchen, Blutspenden »nur für Griechen« oder »Suppenküchen nur für Griechen« zu organisieren. Aber in den vergangenen Monaten konnten große Mobilisierungen diese Aktionen verhindern. An vielen Orten mußten die Nazis ihre Büros schließen, manche wurden auch niedergebrannt.

Wir nennen sie natürlich Naziverbrecher. Aber sie sind auch Teil des Systems, weil sie dessen Opfer angreifen, aber nicht das System selbst. So attackieren sie diejenigen, die gegen die griechische Regierung und die Troika kämpfen, z.B. Linke und Gewerkschafter. Sie sagen, daß sie für »den griechischen Arbeiter« da seien – aber im Parlament stimmen sie für die Privatisierung von Staatsbetrieben und die Steuererleichterung für reiche Reeder. Deswegen halten wir mit der Parole dagegen: Unser Feind ist das Memorandum, nicht die Migranten.

Interview: Wladek Flakin

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 4. Juli 2013


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