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Schirm und Gürtel der EU

Druck auf Griechenland wächst / Koalition führt Debatte über Ausschluss aus der Euro-Zone

Von Uwe Kalbe *

Sparmaßnahmen helfen Griechenland offenkundig nicht aus der Rezession. Der doppelt auf Athen lastende Druck wächst. Innenpolitisch heißt es den Gürtel enger schnallen. Und von außen wird die Kritik lauter. Zu den Drohungen gehört die Debatte über einen Ausschluss aus der Eurozone.

Den »Schlendrian« beenden, darum ging es dem deutschen EU-Kommissar Günther Oettinger, als er seinen Vorschlag in die Welt setzte, EU-Schuldenstaaten in Brüssel symbolisch durch das Setzen ihrer Flaggen auf Halbmast zu strafen. Oettinger ging es auch um Griechenland, dennoch tat ein EU-Sprecher die Idee als »absonderlich« ab. Dabei hat es Griechenland derzeit mit einer Debatte zu tun, die nicht weniger absonderlich klingt, aber folgenschwerer sein dürfte. Das Land aus der Eurozone auszuschließen, darum geht es. So dass Ministerpräsident Giorgos Papandreou bereits »anti-europäische Stimmen« in der EU beklagte. Es gebe »Stimmen, die den Rassismus gegen unser Land kultivieren«, gab ihn dpa wieder.

Den Gürtel enger zu schnallen reicht nicht. Athen sieht sich trotz aller bisherigen schmerzhaften sozialen Einschnitte dem Vorwurf ausgesetzt, das Land nutze nicht alle Möglichkeiten, die Staatsausgaben zu reduzieren und so die Schuldenlast zu mindern. Die Gefahr einer Pleite schwebt über allen Debatten. Der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, übermittelte am Montag nach einem Treffen mit Zentralbankchefs in Basel den dringenden Appell der europäischen Regierungen an Athen, seine Verpflichtungen »vollständig zu erfüllen«. Solche Aufrufe wirken wie alle anderen Indizien des Zweifels auf die Finanzmärkte wie die Aufforderung zur Spekulation.

Auch Deutschland leistet hier seinen Beitrag. FDP-Chef Philipp Rösler, Bundeswirtschaftsminister, dachte in einem Beitrag für die »Welt« über einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone nach. Eine geordnete Insolvenz sei nicht mehr auszuschließen. Die Distanzierung des Koalitionspartners CDU folgte umgehend. Parlamentsgeschäftsführer Peter Altmaier (CDU) nannte die Überlegungen »gefährlich«, Fraktionschef Volker Kauder (CDU) warnte vor »Szenarien, die die Märkte noch weiter verunsichern«. Merkels Sprecher Steffen Seibert lehnte einen Kommentar ab. Seibert verwies darauf, dass die EU-Verträge keinen Austritt eines Landes aus der Euro-Zone vorsehen, von einem Hinauswurf ganz zu schweigen.

Zu einem Machtwort, wie es die Opposition am Montag (12. Sept.) von Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte, kam es nicht. Zumal Überlegungen nun auch in der CSU angestellt werden, die auf einen »Austritt« von Schuldenstaaten aus der EU hinauslaufen. In einem Leitantrag für den CSU-Parteitag im Oktober heißt es, dass Länder, die dauerhaft nicht in der Lage und willens sind, die Euro-Stabilitätskriterien zu erfüllen, aus dem Euro-Raum aussteigen sollten. »Frau Merkel muss noch heute klarstellen, wohin ihre Regierung steuert«, forderte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles. Linksparteichef Klaus Ernst nannte Röslers Überlegungen einen »Brandbeschleuniger«.

* Aus: Neues Deutschland, 13. September 2011


Wie die Märkte es richten würden

Mit einer Pleite Griechenlands samt Austritt aus der Währungsunion wäre wohl das Worst-Case-Szenario erreicht

Von Kurt Stenger **


Der Ton gegenüber Griechenland wird immer schärfer – und die Forderungen werden immer gruseliger.

Es ist wenig verwunderlich, wenn gerade aus den Reihen der FDP der Ruf nach einer Insolvenz Griechenlands samt nachfolgendem Austritt aus der Eurozone lauter wird. Gemäß der neoliberalen Logik, dass der freie Markt alles richtet, war der FDP das Eingreifen der Euro-Staaten in die Schuldenkrise schon immer suspekt. Eine marktkonforme Lösung sieht eben anders aus: Wenn die Finanzmärkte Griechenland als pleite einstufen, dann muss das Land eben pleitegehen. Die Gläubiger verlieren dabei via Schuldenschnitt einen bestimmten Teil ihrer Forderungen. Und da die Märkte zudem auf ein Ausscheren Griechenlands aus der Eurozone wetten, soll dies auch so geschehen.

Doch was würde eine Insolvenz Griechenlands, die mangels internationaler Regelungen nicht geordnet sein kann, mit nachfolgendem Euro-Austritt, der in den EU-Verträgen juristisch nicht vorgesehen ist, bedeuten? Für die Regierung in Athen hätte ein Schuldenschnitt – die Rede ist von 50 bis 60 Prozent – zunächst den positiven Effekt, dass sich der Schuldenberg und vor allem die ständigen Zinszahlungen aus dem Staatshaushalt um diese Quote reduzieren würden. Dieser Effekt würde allerdings schnell wieder verpuffen, wenn Griechenland aus dem starken Euro aussteigen und zur Drachme zurückkehren würde. Diese Mini-Währung wäre ein leichtes Opfer von Spekulanten, sie würde massiv abwerten mit dem Effekt, dass die Last der ausschließlich in Euro notierten und zu bedienenden Schulden am Ende wohl höher als vorher wäre. Die bereits brutalen Sparprogramme müssten wohl noch verschärft werden.

Eine Abwertung der eigenen Währung kann für die Wirtschaft eines Landes theoretisch positive Folgen haben – da sich die Exporte verbilligen, lassen sich heimische Waren besser im Ausland verkaufen. Allerdings fehlt es Griechenland weitgehend an Industriekapazitäten, und der Aufbau neuer Industriesparten wäre aufgrund der massiven staatlichen Sparmaßnahmen nicht möglich. Umgekehrt würde die Abwertung Importe stark verteuern – in dem von Einfuhren von Industriegütern abhängigen Land käme es zu einer massiven Inflation. Viele Produkte würden für den Normalbürger unbezahlbar werden. Kein Wunder also, dass der Bremer Ökonom Rudolf Hickel davor warnt, dass Griechenland mit der Rückkehr zur Drachme zu einer »dauerhaften und schutzlosen Elendsökonomie« werden würde.

Hinzu käme ein weiteres massives Problem: Die griechischen Banken würden allesamt pleitegehen. Zum einen halten sie noch immer in großem Stil griechische Staatsanleihen, wären also vom Schuldenschnitt hart getroffen. Zum anderen würden sie beim Übergang zur Drachme keinerlei Kredite von anderen Banken mehr bekommen, denen das Währungsrisiko zu hoch wäre – und auch nicht länger von der Europäischen Zentralbank, die für Griechenland nach einem Euro-Austritt nicht mehr zuständig wäre. Beim Zusammenbruch aller Banken würden sich auch die Spareinlagen der Griechen in Luft auflösen, denn der finanziell angeschlagene Staat könnte dafür nicht geradestehen. Dies träfe auch nicht die Milliardäre und Superreichen, die längst ihr Geld ins Ausland geschafft haben, sondern die einfachen Griechen.

Für die FDP ist dies nicht von Interesse – ihr geht es um den deutschen Steuerzahler. Der würde aber ebenfalls verlieren: Derzeit ist die Griechenland-Rettung ein gutes Geschäft für den hiesigen Staatshaushalt, während die Risiken nur auf dem Papier stehen. Bei einem echten Schuldenschnitt müsste aber auch der deutsche Anteil an den Hilfskrediten entsprechend reduziert werden. Diese Verluste hätte der Steuerzahler genauso zu tragen wie Abschreibungen bei deutschen Geldhäusern, die Griechenland-Titel besitzen – dabei handelt es sich vor allem um ganz oder teilweise staatliche Banken. Haupteinzelgläubiger Athens ist längst die Europäische Zentralbank, die besonders große Verluste hinnehmen müsste. Diese wiederum werden anteilig von den nationalen Notenbanken, darunter der Bundesbank und indirekt dem Bundesetat, getragen.

Ein Schuldenschnitt träfe also hauptsächlich die öffentliche Hand. Die meisten internationalen Großbanken sind in Griechenland nicht oder nicht mehr engagiert. Nur noch wenige Geldhäuser, insbesondere in Frankreich, würden schmerzhafte Verluste erleiden. Es träfe ausgerechnet die Banken, die einst dem Appell der Politik folgten, sich nicht auch von griechischen Anleihen zu trennen.

Geradezu unkalkulierbar wären darüber hinaus die Folgen für die gesamte Eurozone. Die Finanzmärkte würden, da die spekulativen Attacken auf Griechenland erfolgreich waren, erst recht gegen zahlreiche Euroländer wetten, die dann alle aus der Währungsunion austreten müssten. Übrig bliebe ein harter Nord-Euro der reichen Staaten – für arme und schwache Länder wäre endgültig kein Platz mehr.

** Aus: Neues Deutschland, 13. September 2011


Sündenbock

Von Kurt Stenger ***

Stellen Sie sich vor, Sie wollen bei Rot über eine Ampel gehen und ein daneben stehender Polizist ermahnt Sie, gefälligst bis Grün zu warten. Wie gefordert, überqueren Sie erst dann die Straße, doch ein rücksichtsloser Autofahrer fährt Sie an. Was würden Sie wohl sagen, wenn der Polizist Ihnen statt dem Autofahrer einen Strafzettel überreicht?

Ähnlich ergeht es jetzt der griechischen Regierung. Sie hat sich dazu verpflichtet, brutale Sparmaßnahmen durchzuführen, um das Haushaltsdefizit deutlich zu senken. Daran hält man sich zwar, doch die dadurch verursachte Rezession fällt noch schlimmer als erwartet aus – mit dem Ergebnis, dass die Steuereinnahmen stärker einbrechen und die Sozialausgaben steigen, was die prekäre Finanzlage noch verschärft. Dafür bezieht nun ausgerechnet die griechische Regierung Schelte aus Berlin, Frankfurt am Main und Brüssel, obwohl sie eigentlich nur das ausführt, was die Notkreditgeber von Athen fordern.

Dies belegt, dass die Euro-Granden angesichts des offenkundigen Scheiterns ihres Krisenmanagements nur noch nach Sündenböcken suchen. Der mit widersinnigen Sparvorschriften verknüpfte Rettungsschirm funktioniert nicht richtig, der disharmonische Stimmenkanon mit immer unsinnigeren Forderungen wie der nach einem Euro-Austritt Athens beschleunigt die Krise noch. Man sollte sich endlich dazu durchringen, einen Schutzschirm gegen die Finanzmärkte aufzuspannen.

*** Aus: Neues Deutschland, 13. September 2011 (Kommentar)


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