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Gläubiger Nummer 1

Von Fabio De Masi *

Spekulanten entscheiden über Griechenlands Zukunft. Ratingagenturen haben griechische Staatsanleihen herabgestuft. Kredite werden teuer. EU-Staaten dürfen sich nur auf dem privaten Kapitalmarkt finanzieren. Griechenland droht Staatsbankrott. Tucholsky meinte: Das Volk versteht das meiste falsch, aber es fühlt das meiste richtig!« Einiges lief falsch in Athen. Die Statistiken wurden gefälscht und der Staat besteuert Unternehmen weit unter EU-Durchschnitt. 71 Prozent der deutschen Bevölkerung sind daher gegen Hilfen für Griechenland.

Aber die Sache ist komplizierter: Japan hat trotz der weltweit höchsten Schuldenstandsquote keinen Stress mit Spekulanten. Spanien und Irland müssen Risikoaufschläge auf Staatsanleihen hinnehmen, obwohl sie vor der Wirtschaftskrise solide Staatsfinanzen hatten. Die privaten Haushalte und Unternehmen unserer EU-Nachbarn haben sich aber stark im Ausland verschuldet. Für diese Schulden haftet nun der Staat im Zuge der Bankenrettung und fehlender Steuereinnahmen.

Der Gläubiger Nummer 1 ist wie immer Deutschland. Der Exportzombie hat sich sein eigenes Grab geschaufelt. Deutschlands dekadente Billiglöhne sind stärker vom Rest der Eurozone abgewichen als die Lohnentwicklung Griechenlands. Das hat unsere Nachbarn in die Schuldenfalle getrieben. Griechenland verblutet daher wegen eines deutschen Verkehrsrowdys. Die Beschäftigten in Deutschland zahlen also doppelt: Für deutsche Billiglöhne und für griechisches Steuerdumping.

Die EU-Verträge sehen keine Hilfe für Griechenland vor. Die EU will Athen nun zu Lohnkürzungen und Entlassungen im öffentlichen Dienst zwingen. Es können aber nicht alle (Vize-)Exportweltmeister sein. Der Satz des ehemaligen US-Finanzministers Connally »Es ist unsere Währung, aber euer Problem!« ist daher in einer Währungsunion ohne Sinn: Hedgefonds werden gegen weitere EU-Staaten spekulieren. Deutsche Banken halten zudem Staatsanleihen bedrohter Euro-Staaten im Wert von 500 Milliarden Euro. Wenn Griechenland verblutet, gefährdet dies auch den Aufschwung in Deutschland.

Daher sind jetzt vier Dinge erforderlich, um den Euro zu retten: Erstens, die EU muss gemeinsame Euro-Anleihen auflegen. Dann sinken die Zinsen für Griechenland. Ähnliche Maßnahmen gab es bereits für Ungarn, Lettland und Rumänien. Sie stützen sich auf Ausnahmen in den EU-Verträgen, nehmen aber bisher Euro-Mitglieder aus. Die EU schickt beim Krisenmanagement bislang den Internationalen Währungsfonds (IWF) vor. Brüssel will die Hände in Unschuld waschen.

Zweitens braucht die EU endlich eine Mindestbesteuerung von Unternehmen. Die EU-Verträge sehen eine Mindestbesteuerung bislang nicht vor.

Drittens muss die EU den »dummen Stabilitäts- und Wachstumspakt« (Romano Prodi) durch einen außenwirtschaftlichen Stabilitätspakt ersetzen. Länder, die chronische Überschüsse oder Defizite im Außenhandel fahren, müssen Strafen zahlen. Starre Regeln für die Staatsverschuldung werden überflüssig. Der Pakt spielt ohnehin keine Rolle mehr, gegen 20 von 27 EU-Staaten laufen Defizitverfahren.

Viertens sollte die Europäische Zentralbank, wie die Federal Reserve in den USA, Staatsanleihen kaufen und Griechenland direkt Kredite gewähren. Die EU-Verträge müssen dafür geändert werden. Damit wird die Macht der privaten Kapitalmärkte gebrochen.

* Fabio De Masi ist Diplom-Volkswirt und Master in Internationalen Beziehungen. Er betreibt den EU-Blog http://fabiodemasi.blogspot.com

Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2010 (Rubrik: "Brüsseler Spitzen")



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